Giftschlangen-Alarm: Weltweiter Engpass bei Gegengift Von Christiane Oelrich, dpa

Giftige Schlangen verletzen mehr als 2,5 Millionen Menschen im Jahr,
100 000 sterben. Das Fatale: Es gibt kaum noch wirksames Gegengift.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO will jetzt für Abhilfe sorgen.

Genf (dpa) - Ein schriller Schrei, ein giftiger Taipan, und innerhalb
von Minuten ringt Schlangenexperte David Williams mit Atemnot. Das
Tier hat zugebissen. «Beeilt euch, Leute», beschwört er seine
Kollegen noch, ehe er ins Koma fällt. Die Schlange hatte Williams,
den Leiter der australischen Schlangengiftforschung, im Jahr 2007
erwischt, vor laufenden Kameras eines Fernsehteams. Eine 1500 Euro
teure Spritze mit Gegengift rettet ihm das Leben. «Wenn ich die nicht
bekommen hätte, würdet ihr jetzt nicht mit mir reden, sondern meine
Grabrede vorbereiten», sagt er nach dem Aufwachen trocken in die
Kamera.

Williams hatte Glück, dass die Dosis Gegengift in der Klinik seines
Schlangenprojekts in Papua-Neuguinea zur Hand war. Für weltweit mehr
als 100 000 Menschen endet ein Schlangenbiss im Jahr dagegen tödlich.
Das Fatale: Weltweit fehlt Antiserum. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) in Genf hat Alarm geschlagen und Williams hilft ihr mit seiner
Expertise, die Produktion von sicheren Gegengiften anzukurbeln.

«In vielen Ländern gibt es keine eigene Qualitätsprüfung für
Medikamente», sagt Micha Nübling, Leiter der zuständigen
WHO-Abteilung. So wurden manche Märkte in Afrika über Jahre mit kaum

wirksamen Gegengiftmedikamenten aus Asien überschwemmt. Die halfen
nicht, die Menschen wurden skeptisch und gingen zu dubiosen Heilern,
die meist auch nichts ausrichten konnten. So ging der Markt kaputt.
Der einzige Hersteller eines wirksamen Produkts, das gegen Bisse von
Schlangen in Afrika hilft, die französische Firma Sanofi, stellte die
Produktion 2014 ein. «Insbesondere in Afrika südlich der Sahara gibt

es große Engpässe», sagt Nübling.

Dabei ist Gegengift nicht gleich Gegengift. Wenn ein asiatischer
Taipan zubeißt, hilft nur ein Mittel, das aus den Giftkomponenten der
selben Tierart hergestellt wurde. Serum aus dem Gift indischer
Nattern bewirkt in Afrika hingegen wenig. «In Ghana hat ein indisches
Produkt 2004 das französische ersetzt und die Todesrate durch
Schlangenbisse stieg um das Sechsfache», sagt Williams.

In Afrika ist das Problem besonders groß, weil es kein einziges
adäquates Mittel gibt. Bis zu 30 000 Menschen sterben jedes Jahr an
Schlangenbissen. Indien ist auch in Nöten, da wird zwar Gegengift
hergestellt, aber: «Viele Produkte sind von zweifelhafter Qualität»,

so Williams. Mindestens 50 000 Menschen sterben dort im Jahr nach
Schätzungen.

Was kann die WHO tun? Sie hat Schlangenbisse zum einen auf die Liste
der vergessenen tropischen Krankheiten gesetzt. Das erhöht die
Aufmerksamkeit für die Misere und macht hoffentlich mehr Geld in
reichen Ländern für die Unterstützung von Lösungen locker. Die Za
hl
der Todesopfer durch Bisse ist so hoch wie bei Dengue-Fieber, eine
Krankheit, die deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Zudem arbeitet die WHO an Richtlinien für die sichere Produktion
wirksamer Mittel und lässt nun auch selbst Mittel testen. Sie sind
polyvalent, das heißt, sie sollen gegen die Bisse möglichst vieler
Giftschlangen in Afrika südlich der Sahara wirken. «Die erste Phase
der Labortestung ist abgeschlossen, als nächstes stehen Tests auf
Wirksamkeit bei Mäusen an», sagt Nübling. Sobald die WHO Mittel mit
ihrem Gütestempel versieht, sollte die Produktion anlaufen und die
Skepsis in der Bevölkerung überwunden werden. Zwölf Monate könnte e
s
aber noch dauern, bis die Produktion läuft, meint Nübling.

Ein Kriterium für die nachhaltige Produktion: Der Hersteller braucht
große Pferdeherden. Giftschlangen werden gemolken, und mit den
Giftkomponenten werden Pferde infiziert. Sie sterben daran nicht,
bilden aber Antikörper, die bei der Blutentnahme gewonnen und für das
Gegengift für Menschen verwendet werden. Manche Impfstoffe würden
auch schon mit Hilfe «humanisierter Kühe» gewonnen, sagt Nübling. B
ei
diesen Kühen seien Gene für das Immunsystem durch menschliche Gene
ausgetauscht worden. Mit diesen Tieren liefen in den USA 
vielversprechende Impfstofftests. Für die großen Mengen
Schlangengift, die benötigt werden, sei das aber keine Alternative.

In Deutschland gibt es nur zwei giftige Schlangen, die Kreuzotter und
die Aspisviper. Auch hier habe ein langjähriger Lieferant aus
Kroatien die Produktion eingestellt, sagt Florian Eyer, Chefarzt für
Klinische Toxikologie am Klinikum rechts der Isar und Leiter des
Giftnotrufs München. Ein polnisches Produkt sei aber auch recht
wirksam. «Bei den deutschen Schlangen ist das Antiserum ohnehin nicht
lebensrettend, sondern eher heilungsunterstützend», sagt er. Der
Giftnotruf hält auch Seren parat, falls jemand in einem Zoologischen
Garten oder von exotischen Giftschlangen im eigenen Terrarium
gebissen wird.

Was machen aber Touristen auf Auslandsreisen? «Nicht barfuß im Busch
herumlaufen, eine Taschenlampe mitnehmen und bei Dunkelheit Wege
beleuchten», sagt Williams. Das Risiko gebissen zu werden, sei für
Touristen aber minimal. Es treffe vielmehr Einheimische, die barfuß
in Feldern arbeiteten, und Kinder, die im Dunkeln zum Toilettengang
nach draußen müssten. «Hier kann jeder Tourist helfen: Für 20 Eur
o
kann man eine ganze Familie in Asien oder Afrika mit Gummistiefeln
ausstatten», sagt er. Auch Moskitonetze, sorgfältig unter die
Schlafmatte gesteckt, hielten giftige Schlangen ab.

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