Abpfiff Fußball, Anpfiff Leben: Ex-Fußballer in neuen Rollen Von Nikolai Huland sowie Bernd Thissen und Friso Gentsch , dpa

Aus und vorbei: Für Fußball-Profis bedeutet das Karriere-Ende einen
Bruch. Manche bleiben trotzdem im Sport. Andere erfinden sich völlig
neu. Drei Männer, drei Besuche, drei unterschiedliche Arten, den
Übergang zu meistern.

Borgholzhausen (dpa) - Das alte Leben von Tobias Rau ist in
Borgholzhausen sehr weit weg. Der blonde Sport- und Biolehrer spielte
früher beim FC Bayern München und für die deutsche
Fußball-Nationalmannschaft. Sein neues Leben heißt Unterricht.
Erfahrungen, etwa mit Ex-Trainer Felix Magath (64), berüchtigt als
Schleifer, helfen ihm wenig, wenn er vor der zwölften Klasse steht.
Und zum Beispiel in Bio etwas über Pränataldiagnostik vermitteln
möchte, also über Untersuchungen an Föten und Schwangeren.

Um in dieses Thema einzusteigen, hat Rau sich überlegt, zeigt er
einen Ausschnitt aus «Gattaca», einem US-Science-Fiction-Film über
Genmanipulationen. Sein Ziel sei es, nah an die Schülerinnen und
Schüler ranzukommen, um sie zu motivieren. «Das kann man richtig
spüren, wenn die Gedanken durch den Raum fliegen», sagt er. Und: «Die

wichtigsten Sachen, die für mich hier zählen, sind nicht aus der
Fußballwelt.»

Rau, 35 und verheiratet, ist Referendar an einer Gesamtschule in
Borgholzhausen bei Bielefeld. Ende September soll seine
Lehrer-Ausbildung abgeschlossen sein.

2009 beendete Rau mit 27 Jahren, und damit ungewöhnlich jung, seine
Fußballer-Karriere. Wegen vieler Verletzungen, aber nicht nur. Er
hätte noch gekonnt. Doch ihm schien es nicht zu spät, um zu studieren
und Lehrer zu werden. Das Abi hatte er. Jetzt wollte der Sportler ein
neues Leben, deshalb verabschiedete er sich vom alten.

«Ich hätte mir niemals vorstellen können, in dem Geschäft auch nach

der Karriere zu arbeiten», sagt er. Auf Menschlichkeit lege er Wert,
und die habe er in der Bundesliga nicht entdeckt. Heute sei seine
Arbeit zwar nicht mehr so aufregend: Statt vor Zehntausenden
Zuschauern steht er vor der Klasse. Doch sein Lehrer-Leben sei
spaßiger - und angenehmer.

AUS DEM HAIFISCHBECKEN INS KLASSENZIMMER

«Im Fußball steht der Erfolg über allem», sagt Rau. «Man muss
funktionieren, es wird über Leichen gegangen. Hier in der Schule ist
es einfach ein totales Miteinander, und man hilft sich gegenseitig.»

Fußballprofi und dann? Fans wollen wissen, was aus dem Idol von
früher geworden ist. Manche fragen sich, nicht ohne Voyeurismus, was
ein Sportstar aus Geld und Ruhm gemacht hat. Konnte der noch etwas
anderes außer Fußballspielen? Geschichten über Ex-Kicker kursieren
viele.

Auch diesem Sommer beenden wieder Spieler ihre Karriere. Wie
Weltmeister Philipp Lahm (33/«Ab Sommer bin ich Privatier») machen
manche das freiwillig. Andere zögern, selbst wenn sie keinen Verein
mehr haben. Sie hoffen auf einen nächsten Vertrag. Von ihnen halten
sich einige in einem von der Fußballergewerkschaft VdV organisierten
Camp für Profis ohne Verein fit. Nein, nicht in dem bekannteren Camp,
in der RTL-Sendung Dschungelcamp, in der schon Ex-Spieler mitwirkten.

Früher oder später kommt aber für alle der sportliche Abpfiff. Mit
Mitte 30 gelten Profis meist als alt und müssen eine neue Rolle im
Leben finden. Rennen, schießen, grätschen, darin sind sie dann zu
langsam. Wenn ihr Körper den Hochleistungssport überhaupt so lange
mitgemacht hat. Einige Ex-Spieler finden im engen Fußball-Umfeld eine
Aufgabe als Trainer und Manager. Oder als TV-Experte wie Torwart
Oliver Kahn (48). Doch für viele geht das Flutlicht ganz aus.

Es ist ein Bruch in der Biografie. Ein Neubeginn, wie andere Menschen
ihn kennen nach einer Krankheit, einem Unfall oder bei plötzlicher
Arbeitslosigkeit. Der Job stiftet Identität, heißt es. Erfolge formen
das Selbstbild mit. Auch bei vielen Profispielern. Meistertrainer
Ottmar Hitzfeld (68) hat jedoch schon vor Jahren mal mit kritischem
Unterton gesagt: «Sie glauben, sich als Fußballer eine Stellung in
der Gesellschaft erarbeitet zu haben, aber das stimmt nicht.»

Die Geschichte des frühen Fußball-Ausstiegs von Tobias Rau ist keine
ganz typische. Er besaß eine klare Idee seiner neuen Rolle. Die von
Carsten Ramelow scheint typischer. Er spielte, solange er konnte.

Das Karriereende vergleicht er mit einem Kinobesuch: «Der Film ist
aus, und du kommst raus aus dem Kino. Keiner erkennt dich mehr», sagt
Ramelow. In seinem neuen Leben ist er Geschäftsmann und steht nur
noch selten im Fokus.

AUSGESORGT, ABER OHNE AUFGABE

Der Ex-Mittelfeldspieler hat heute ein Büro in Hürth, einem Vorort
von Köln. Ramelow, 43, anthrazitfarbenes Langarm-Shirt, dunkelblaue
Jeans, sucht und hält Augenkontakt, wenn er Gästen die Hand reicht.

An seine Fußballzeit erinnert in dem hellen Büro nur wenig. Auf dem
Hof vor dem Gebäude rauscht ein künstlicher Wasserfall. Auf Ramelows
Schreibtisch liegen zwei Stapel Visitenkarten, die von Küchengummis
zusammengehalten werden.

Carsten Ramelow ist Teilhaber mehrerer Eventfirmen, die hier sitzen.
Er kümmere sich um Strategie und Personalführung, sagt er. Zudem
vermittelt er an Unternehmen Leuchtwerbung für Flughäfen und
Einkaufscenter. Und über das Unternehmen Booker verkauft Ramelow
VIP-Karten für Konzerte und Sportveranstaltungen. In der Lanxess
Arena in Köln und in der Münchner Allianz Arena vermarktet sie Logen.
Manchmal begleitet Ramelow Kunden zu Events.

«Wenn die Leute fußballinteressiert sind, und da ist der alte Hase
dabei, der ein bisschen was erzählen kann, dann ist das für beide
Seiten eine ganz nette Atmosphäre», sagt Ramelow. Zu erzählen hat er

einiges. Er spielte in der Bundesliga für Bayer Leverkusen und auch
in der Nationalelf. In der Statistik stehen 333 Erstliga-Partien, 46
Einsätze für Deutschland und 8 zweite Plätze in
wichtigen Wettbewerben. Aber kein großer Titel.

DIE KARRIERE DANACH WIRD SELTEN GUT VORBEREITET 

Seine Spieler-Karriere ging 2008 zu Ende. Bundesliga konnte der
Körper nicht mehr. Einen ausgereiften Plan, wie es weitergehen
sollte, hatte er nicht.

Leverkusen gab ihm zwar einen vierjährigen Anschlussvertrag für das
Leben nach dem Spiel. Aber kaum Aufgaben. Mehr als ein Jahrzehnt
hatte er bei Bayer gespielt, war sogar Kapitän gewesen. Doch konkrete
Gespräche über Ziele für danach habe es nicht gegeben. Das ist häuf
ig
so: Die Gewerkschaft VdV fordert deshalb von den Proficlubs, ihrer
Fürsorgepflicht in dem Bereich stärker nachzukommen.

Ramelow - beim Abschied Mitte 30, hatte seine Mittlere Reife in
Berlin gemacht, die Polizisten-Ausbildung danach abgebrochen -
schaute sich also um. Geldsorgen plagten ihn zwar keine. Aber
Mitanpacken mache ihm Spaß. Kontakt zu Booker besaß er schon,
probierte sich dort aus und stieg ein.

Wer zehn Jahre in der Ersten Bundesliga gespielt hat, dürfte
mindestens einen mittleren einstelligen Millionenbetrag verdient
haben, rechnet Sportmanagement-Professor Dirk Mazurkiewicz von der
Hochschule Koblenz vor. Nationalspieler können viel mehr
einstreichen.

In der Saison 2015/16 gaben nach Zahlen der Deutschen Fußball Liga
DFL die 18 Clubs der Ersten Liga rund 1,06 Milliarden Euro für
Spieler- und Trainergehälter aus. In der Zweiten Liga betrug der
Posten 202,6 Millionen Euro. Die Summen haben sich in den vergangenen
zehn Jahren etwa verdoppelt. Bei den 36 Clubs stehen jährlich
insgesamt rund 1000 Spieler unter Vertrag.

Was aus denen wird, die aufhören (müssen), ist sehr unterschiedlich.
«Je länger diese Menschen in der Branche waren, desto eher wollen sie
auch ein Teil davon bleiben», erläutert Mazurkiewicz. «Damit
provozieren sie aber ein Problem: Das kann rechnerisch gar nicht
klappen, weil es ein Vielfaches weniger solcher Arbeitsplätze als
Ex-Profis gibt.» Nach einer Untersuchung, die Mazurkiewicz mit
der VdV erstellt hat, bereiten sich zwei Drittel der Spieler nicht
zielgerichtet auf einen Job nach der Karriere vor.

EX-PROFI AUS DER ZWEITEN REIHE - EIN JOB MUSS HER

Das ist vor allem schlecht für Spieler, die nicht ausgesorgt haben.
Wie Christian Mikolajczak. Er spielte als junger Mann mit Tobias Rau
in der Junioren-Nationalmannschaft. Bei einer Junioren-WM kämpfte er
mit dem späteren brasilianischen Weltstar Kaka um den Ball. Da waren
die fetten Jahre für ihn fast schon wieder vorbei.

«Micky» wäre 2001 in seinem ersten Profijahr fast mit dem FC Schalke

04 Deutscher Meister geworden. Den Pokalsieg holte er mit dem Team,
zu dem Spieler wie Andy Möller (49) gehörten. Aber wer Fußballfans im

Bekanntenkreis fragt, ob sie Christian Mikolajczak kennen, erntet oft
Stirnrunzeln.

Dabei sind Fußballer-Namen teils auch Marken, sie lösen ein Gefühl
von Kennen aus. Manchmal Grinsen, eine Erinnerung. Aber Christian
Mikolajczak ist nicht so ein Name, obwohl er länger als Rau im
Geschäft war. Nach seinem ersten Profijahr bei Schalke ging er unter
anderem zu den Provinzclubs von Ahlen in Westfalen, Aue im
Erzgebirge, nach Kiel und Spiesen-Elversberg. Das liegt im Saarland.

Seine Reise endete mit 30. Neue Verträge kamen nicht mehr. Ab diesem
Moment machte er sich Gedanken über seine Zukunft.

Wenn er heute mit der neue Arbeit anfängt, klatscht es. Denn bei der
Feuerwehr Oberhausen begrüßen sich die Kollegen zu Beginn ihrer
24-Stunden-Schicht so, wie es Fußballer oft tun: Mit der vollen Hand
kräftig zupacken, die Daumen zeigen dabei nach oben. Wie Kumpel eben.

Mikolajczak, 36, ledig, ist wieder in der Heimat. Aus dem Ruhrgebiet
kommt er, in Essen wuchs er auf. Nicht nur das Begrüßungsritual auf
der Wache erinnert an sein altes Leben: In der Umkleidekabine hat er
einen Spind, in dem die blau-neongelbe Arbeitskleidung hängt. Wie im
Fußballteam tragen alle Kollegen die gleichen Farben. Auf einer
Magnettafel zeigen Plättchen, wer welche Position hat. Beim ersten
Rettungswagen steht: Fahrzeugführer: «Kopanka», Fahrer:
«Mikolajczak». Einlaufmusik gibt es nicht, nur die Sirene.

Er findet, dass sein altes und sein neues Leben sich ähneln: «Im
Endeffekt ist man auch in einem Team zusammen. Man trainiert
verschiedene Szenarien, und wenn man raus geht, muss man
funktionieren.»

Nach dem Ende der Fußballer-Zeit solle man herausfinden, woran man
sonst noch Spaß habe, sagt er. Freunde hätten ihm von der Feuerwehr
erzählt. Ihm gefiel, was er hörte. Christian Mikolajczak machte eine
Ausbildung zum Rettungsassistenten, dann die zum Brandmeister.
Nächster Schritt soll sein, Beamter auf Lebenszeit zu werden.

«Ich habe einen sicheren Job, und ich habe ein geregeltes Leben. Ich
lebe nicht mehr aus dem Koffer», lobt Mikolajczak. Und: «Als
Fußballer bekommt man vielleicht mal negative Schlagzeilen, aber das
hier ist das wahre Leben.» Leben anderer zu retten, das gehört nun
zum Job.

GELD HABEN MANCHE, GESCHICHTEN HABEN ALLE

Trotzdem, die Zeit als Fußballprofi war für ihn wie ein Traum, wie
eine Reise in eine andere Welt. Sein Vater arbeitete auf dem Bau. Von
dem schweren Schreibtisch im Büro von Schalke-Manager Rudi Assauer
(73), wo Mikolajczak den ersten Profivertrag unterschrieb, erzählt er
heute noch: «Da hätten wir mit der ganzen Familie essen können.»

Wenn der junge Lehrer Rau über sein altes Leben berichtet, klingt das
nicht so vergnügt wie die Erzählungen von Mikolajczak. Im Fußball sei

immer Druck gewesen, sagt Rau. Von den Fans, den Medien, den
Managern, dem Trainer - und den Mitspielern. Nur mit einem ehemaligen
Kollegen habe er noch regelmäßig Kontakt.

Und doch: Er denke gerne an die Zeit zurück. Mit Freunden schaut er
Länderspiele im Fernsehen, trägt dann manchmal sein Trikot von damals

und erzählt von den Ex-Mitspielern. Auch kickt er bei
Ehemaligen-Spielen oder tritt als Gast in Fußball-Sendungen auf.

Bei Raus sieben Einsätzen für Deutschland war Carsten Ramelow
Stammspieler der Nationalmannschaft. Er lebt heute mit seiner Frau
und den zwei Kindern im Bergischen Land, züchtet auch Bienen und hält
Hühner. Gerne treffe er sich mit den benachbarten Bauern. Seine
Familie sei das Wichtigste. «Das normale Leben liebe ich», sagt er.

Fußball sei heute für ihn eine angenehme Nebensache. Im Leben, im
alten und im neuen, gehe es darum, schöne Momente zu sammeln. Als
einen solchen bezeichnet er den Mannschaftsgeist während der
Weltmeisterschaft 2002, als Deutschland als Außenseiter bis ins
Finale im japanischen Yokohama kam. «Diesen Zusammenhalt hast du
richtig gespürt», sagt Ramelow.

In seinem Büro in Hürth hängen im Flur zwei Fotos von damals. Eines

zeigt ihn als Kapitän von Bayer Leverkusen, eines bei der WM 2002. Er
sagt: Das Schönste und Beste, was man konnte, sei das Fußballspielen

gewesen. «Alles, was man danach macht, wird nie so sein, wie auf dem
Platz zu stehen.»

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