Todkrankes Baby Charlie - Medizinische Fürsorge gegen Elternliebe Von Claudia Kornmeier und Christoph Meyer, dpa
Das Schicksal des kleinen Charlie hat Großbritannien bewegt. Haben
die Eltern das Recht, ihren Sohn gegen die Empfehlung der Ärzte für
eine experimentelle Behandlung in die USA zu bringen? Die Gerichte
entschieden anders.
London (dpa) - Baby Charlie ist sein Leiden nicht anzusehen. Er kann
nicht weinen, sich nicht bewegen. Auf einem Foto sieht er friedlich
aus. Der zehn Monate alte Junge mit dem akkurat gescheitelten blonden
Haar liegt in seinem Bettchen im Great Ormond Street Hospital in
London. Schläuche sind mit einem großen Pflaster über beide Wangen
auf seiner Nase befestigt. Er muss künstlich beatmet und ernährt
werden. Charlie leidet an einer unheilbaren Erbkrankheit.
Das Leid, das seine Eltern durchmachen, ist dagegen nicht zu
übersehen. Chris Gard and Connie Yates fühlen sich zuletzt vollkommen
entmündigt. Schluchzend bringen sie ihre Unterstützer und die
Öffentlichkeit auf den neuesten Stand. «Wir können unseren eigenen
Sohn nicht einmal zum Sterben mit nach Hause nehmen», sagt der Vater
in einer Videobotschaft mit bebender Stimme.
Monatelang wollten die Eltern die Hoffnung nicht aufgeben, ihrem Kind
könnte noch geholfen werden. Dafür sollte Charlie für eine
experimentelle Behandlung in die USA gebracht werden. Im Internet
sammelten die beiden Briten Spenden, um die Reise und die Behandlung
finanzieren zu können.
Doch die Gerichte entschieden anders. Anfang der Woche urteilte der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass die
lebenserhaltenden Maßnahmen für Charlie eingestellt werden dürfen.
Das Urteil war endgültig. Nationale Stellen hätten einen weiten
Einschätzungsspielraum im Bereich der experimentellen Medizin für
Todkranke und wenn es um sensible moralische und ethische Fragen
gehe, so die Begründung. Die britischen Gerichte hätten den Fall
zudem akkurat und sorgfältig geprüft.
Charlie litt an einer mitochondrialen Myopathie. Die seltene
Erbkrankheit führt zu Muskelschwund und irreparablen Hirnschäden. Die
Behandlung in den USA hätte Charlie möglicherweise Schmerzen bereiten
können, fürchteten die Ärzte in London. Ob sie ihm hätte helfen
können, war unklar - allenfalls wäre sein Zustand aus Sicht der
Mediziner gleichgeblieben. Das Leiden Charlies sollte ein Ende haben,
er sollte in Würde sterben dürfen, argumentierten die Ärzte.
In Deutschland wäre das Tauziehen zwischen Eltern und Ärzten
möglicherweise anders ausgegangen. «An dem Fall wird deutlich, dass
die medizinrechtliche Kultur in Großbritannien - anders als in
Deutschland - sehr paternalistisch geprägt ist», sagt der Basler
Rechtsprofessor Bijan Fateh-Moghadam. «Dem Staat wird recht großzügig
gestattet, in das Eltern-Kind-Verhältnis einzugreifen. Die
staatlichen Gerichte treten sozusagen als der oberste
Erziehungsberechtigte auf.»
Macht bekämen dadurch auch die Mediziner, so Fateh-Moghadam. «Da
steckt der Gedanke dahinter: Wir wissen besser als die Eltern, was
dem Wohl des Kindes dient, die getrieben sind von ihren Emotionen.»
An Emotionen fehlte es im Fall Charlie Gard nicht. Die Mutter Connie
Yates postete auf Facebook regelmäßig öffentlich Fotos: Sie mit Mann
und Kind auf einer Wiese («Unser erstes Familienpicknick»); sie
selbst abgemagert am Bett ihres Sohnes («Das machen 7 Monate Stress
mit dir»); andere Kinder, die an derselben Krankheit leiden sollen,
aber dank einer Behandlung weiter leben («Charlies Zukunft?»). Ein
anderes Foto zeigte das Baby mit offenen Augen. «Ein Bild spricht
tausend Worte», kommentierte sie. Kein Wunder, dass der Fall die
Nation monatelang beschäftigte.
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