Filz und Vetternwirtschaft - Ingolstadt kämpft um seinen guten Ruf Von Paul Winterer, dpa

Es geht um dubiose Geschäfte am Klinikum und um fragwürdige
Immobilienkäufe - neben Regensburg ist auch Ingolstadt in den Sog
eines Korruptionsskandals geraten. Er sorgt bis hinauf zur CSU-Spitze
für Unruhe. Die Staatsanwaltschaft ermittelt umfangreich.

Ingolstadt (dpa) - Seit 45 Jahren stellen die Christsozialen den
Oberbürgermeister in Ingolstadt - ununterbrochen. Die Heimatstadt von
CSU-Chef Horst Seehofer, in der vor 500 Jahren das Reinheitsgebot für
das Bier erlassen wurde, wird von einem Skandal erschüttert, der so
gar nichts mit Reinheit zu tun hat. Es geht um Vetternwirtschaft am
örtlichen Klinikum. Auch ein Wohnungskauf von Ex-Oberbürgermeister
Alfred Lehmann (CSU) beschäftigt die Staatsanwaltschaft.

Schon werden Vergleiche mit Regensburg laut. Der dortige
Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD) sitzt in Untersuchungshaft,
und auch gegen seinen Amtsvorgänger Hans Schaidinger (CSU) ermittelt
die Justiz. Sie wirft ihnen Bestechlichkeit im Zusammenhang mit einer
Grundstücksvergabe vor. Die beiden etwa gleich großen Städte erleben

seit Jahren einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, sehen sich nun
aber dem Vorwurf der Filzokratie ausgesetzt. Der Imageschaden ist
enorm. Die «Süddeutsche Zeitung» machte aus Ingolstadt «Ingeldstadt
».

Den Stein ins Rollen gebracht hatte in der knapp 130 000 Einwohner
zählenden Stadt vor gut einem Jahr der Ombudsmann, der für die
Einhaltung der Richtlinien am Klinikum zuständig ist. Er machte die
Justiz auf Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung des Klinikums

aufmerksam. Das 1100-Betten-Haus, Bayerns viertgrößte Klinik, gehört

zu drei Vierteln der Stadt, den Rest trägt der Bezirk Oberbayern.

Der Klinik-Aufsichtsrat veranlasste daraufhin ein Gutachten mit der
Folge, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Geschäftsführer
Heribert Fastenmeier wegen Untreue einleitete. Im vergangenen Herbst
schlugen die Ermittler bei Razzien zu. Sie suchten nach Beweisen,
dass Fastenmeier bei der Erstellung und Pflege einer 400 000 Euro
teuren Klinik-Homepage die eigene Familie bevorzugt hatte. Auch bei
Kopieraufträgen soll Vetternwirtschaft geherrscht haben.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen zwölf Beschuldigte.
Es geht um eine Reihe von Vorwürfen, darunter: Beschäftigung eines
Familienmitglieds des inzwischen geschassten Klinikchefs,
Wohnungsverkäufe an die Familie, Flüge auf Klinikkosten, Vergabe von
Gutachteraufträgen, Abschluss eines Beratervertrages.

Ende 2016 nahmen die Ermittler auch Lehmann ins Visier, von 2002 bis
2014 Rathauschef. Der 66-Jährige besitze auf dem Gelände des früheren

Krankenhauses eine Wohnung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen
des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit gegen den CSU-Politiker
sowie wegen Bestechung gegen den Geschäftsführer des Bauträgers. Und

Münchens Generalstaatsanwalt prüft, ob Lehmann als Berater für eine
Personalvermittlungsfirma gegen Gesetze verstoßen hat. Der Headhunter
sollte einen neuen ärztlichen Direktor für das Klinikum finden.

Im Stadtrat wird seit Wochen über die Korruptionsaffäre gestritten.
Eine Allianz aus SPD, Grünen, Bürgergemeinschaft und ÖDP lässt nich
t
locker. In einer Sondersitzung vor vier Wochen beantwortete OB
Christian Lösel (CSU) einen langen Fragenkatalog der Opposition. An
diesem Dienstag (21.) muss sich der 42-Jährige im Stadtrat erneut
Fragen stellen. Sie betreffen auch seine Beteiligung an einer Firma,
deren Erlöse er selbst als Altersvorsorge sieht. Eine Verflechtung
von Amtsführung und privaten Geschäften verneint der einstige
«Ziehsohn» von Alt-OB Lehmann vehement.

In der Korruptionsaffäre verspricht Lösel «eine umfassende Aufkläru
ng
aller rund um das Klinikum im Raum stehenden Vorwürfe». Er habe
Anwälte und einen Wirtschaftsprüfer mit der externen Aufarbeitung
beauftragt, man arbeite intensiv mit der Staatsanwaltschaft zusammen.

Längst ist die Affäre «Ingeldstadt» in der CSU-Spitze angekommen. W
ie
es heißt, lässt sich Parteichef Seehofer genau darüber informieren,
was in seiner Heimatstadt schiefläuft. Auch die Rathauschefs anderer
Städte reagieren besorgt auf die Vorgänge in Ingolstadt und
Regensburg. Die Bürger registrierten die Skandale sehr wohl, sagt
Bayerns Städtetag-Chef Ulrich Maly (SPD). Strengere Auflagen für das
berufliche Engagement aus dem Amt geschiedener Bürgermeister fordert
er aber nicht. «Eigentlich genügt es, wenn die gesetzlichen Vorgaben
und die Regeln von Anstand und Moral eingehalten werden.»