Geheilt, aber nicht gesund: Krebs-Nachsorge soll intensiver werden Von Wolfgang Jung, dpa
Etwa 500 000 Krebsfälle werden jedes Jahr in Deutschland neu
registriert. Wer die heimtückische Krankheit überlebt, braucht
Nachsorge. Hier soll künftig vieles besser laufen.
Heidelberg (dpa) - Tumor entfernt, doch die Gefahr bleibt: Die
deutsche Krebsforschung will die Nachsorge für Patienten
intensivieren, aber der Weg zum allumfassenden Konzept ist weit. «In
den vergangenen zehn Jahren ist das Bewusstsein gewachsen, Patienten
über eine Heilung hinaus länger zu versorgen», sagt Volker Arndt vom
Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg vor dem
Weltkrebstag am kommenden Samstag (4. Februar).
Seit langem lautet die Faustregel: Wer fünf Jahre krebsfrei ist, gilt
als gesund. Das hänge aber von der Tumorart ab, meint Arndt. «Bei
vielen Tumorarten, zum Beispiel Brust- und Prostatakrebs, weisen auch
fünf Jahre nach der Diagnose Patienten schlechtere Überlebenschancen
auf als nicht Betroffene. Auch treten manche Spätfolgen erst viele
Jahre nach Abschluss der Therapie auf», sagt der Experte.
«Es lohnt sich, in die USA zu schauen: Die haben viel früher
begonnen, in der Krebs-Nachsorge aktiv zu werden», meint Arndt.
Deutschland hole aber auf. «Wir haben den Vorteil, dass der Zugang
zur Gesundheitsversorgung besser ist als etwa in den USA.» Zudem sei
die onkologische Rehabilitation fester Bestandteil der Versorgung.
Am Neckar-Ufer der Touristenstadt Heidelberg forscht Arndt auf dem
riesigen Gelände des DKFZ - zusammen mit fast 3000 Kollegen in mehr
als 90 Abteilungen und Forschungsgruppen. Ihre Aufgabe: Näheres
darüber zu erfahren, wie Krebs entsteht und welche Faktoren das
Risiko beeinflussen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse entwickeln
die Forscher neue Ansätze - auch in der Nachsorge.
Im Internet sind viele Berichte ehemaliger Patienten nachzulesen.
Eine von ihnen ist Chanel Martin aus Frankfurt, bei der Ende 2014
Lymphdrüsenkrebs festgestellt wurde. Die junge Mutter mit Zweitnamen
Marie veröffentlicht ihre Erfahrungen im Blog «Marie gegen Krebs».
Mit der Krankheit höre sie nicht auf, ein Mensch zu sein, sagt
Martin. Seit Mai 2015 gilt sie als offiziell krebsfrei. Die Angst vor
einem Rückfall (Rezidiv) ist aber wie bei vielen allgegenwärtig.
Der Deutschen Krebshilfe zufolge sterben jährlich in Deutschland etwa
224 000 Menschen an Krebs, der damit eine der häufigsten
Todesursachen ist. «Das Wichtige ist: Patienten sollten mit Blick auf
ihre Lebensqualität früher unterstützt werden, nicht erst nach einer
Therapie», sagt Arndt und verweist auf den Nationalen Krebsplan.
Der Krebsplan formuliert 13 Ziele, eines davon: die Verbesserung der
psychoonkologischen Versorgung. Das Gesundheitsministerium setzt
dabei auch auf klinische Krebsregister. «Der Ausbau der Register soll
mit den Ländern vorangetrieben werden», sagt Minister Hermann Gröhe
(CDU). Damit soll von der Ersterkennung über die Behandlung bis hin
zur Nachsorge die bestmögliche Behandlung gefunden werden.
Manche Krankenkassen haben einen sogenannten Nachsorgepass
erarbeitet. Er soll Betroffenen helfen, nach Chemotherapien oder
Bestrahlungen an die notwendigen Kontrollen zu denken - und den
Überblick über diese Behandlungen und Termine zu behalten.
«Krebs muss heute kein Todesurteil sein», sagt Experte Arndt. Etwa
500 000 Neuerkrankungen werden jedes Jahr in Deutschland registriert.
Derzeit leben hier rund 3,5 bis 4 Millionen Menschen mit dieser
Diagnose. Aber gesund sei der Patient nach Überwindung der Krankheit
nicht automatisch, sagt Arndt.
Früher prüften Ärzte nach überwundener Krebserkrankung oft nur die
Blutwerte und prüften auf Vorliegen eines möglichen Rezidivs. Dabei
würden eine Reihe von Untersuchungen zeigen, dass ehemalige
Krebspatienten Probleme haben, die sich von den Beschwerden kurz nach
Diagnose und Therapie unterscheiden, sagt Arndt. Nach einer
Bestrahlung oder Chemotherapie könnten bei Brustkrebspatientinnen
etwa Herzprobleme auftreten, bei anderen Patienten komme es zum
Beispiel zu Schlafstörungen und einer chronischen Erschöpfung.
Wie Nachsorge aussehen sollte, hänge vom «Risikoprofil» des Patienten
ab, sagte Wolfgang Hiddemann vom Klinikum der Universität München
einmal bei einer Veranstaltung im örtlichen Presseclub. Er warnt
davor, bei der Nachsorge nur auf Apparate-Medizin zu setzen -
mindestens ebenso wichtig sei der Dialog zwischen Arzt und Patient.
Sogenannte Survivorship-Programme (vom Englischen «survive»:
überleben) begleiten Patienten nach einer Krebserkrankung ohne
zeitliche Begrenzung - also auch über die Tumornachsorge hinaus.
«Aufgrund möglicher Langzeitnebenwirkungen und den speziellen
Bedürfnissen von Überlebenden ist eine Nachsorge über die eigentliche
Tumornachsorge hinaus wichtig», sagt die Hamburger Expertin Julia
Quidde. Das Universitäre Cancer Center Hamburg (UCCH) in der
Hansestadt gilt als wichtiges Forschungszentrum.
Geheilten Krebspatienten sollten Ärzte mit Sensibilität begegnen,
aber nicht mit übertriebener Zurückhaltung. «Nicht all diese Menschen
sind traumatisiert», sagt Arndt. «Es ist natürlich ein Einschnitt.
Aber viele sagen, dass sie das Leben neu schätzen gelernt haben. Für
diese Erkenntnis haben sie einen hohen Preis gezahlt.»
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