Bundesweit schließen Kreißsäle - Wird Kinderkriegen zum Problem? Von Christina Sticht, dpa

Wegen Kostendrucks verabschieden sich immer mehr Krankenhäuser von
ihren Geburtshilfestationen. Den verbliebenen Kliniken fehlen oft
Hebammen und Gynäkologen. Der Hebammenverband schlägt Alarm.

Hannover/Berlin (dpa) - Im September geschah, was viele nach
Schließung der Geburtshilfe-Station auf Sylt befürchtet hatten: Die
kleine Hanna kam im Autozug auf dem Weg von der Nordsee-Insel zum
Festland zur Welt. Ihre Mutter hatte es nicht mehr in die nächste
Klinik nach Husum geschafft. Mutter und Tochter seien wohlauf,
berichtete Hebamme Heidrun Hepper nach der Entbindung auf der
Schiene. Sie hatte die werdende Mutter im Autozug begleitet und nicht
damit gerechnet, dass es das Baby so eilig hat.

Nicht nur auf den Inseln, überall in Deutschland schließen Kreißsäl
e.
Die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, Martina Klenk,
befürchtet, dass es immer mehr ungeplante Hausgeburten oder Geburten
im Auto geben wird. Seit 1991 ging in rund 40 Prozent der Kreißsäle
in Deutschland das Licht aus, während die Geburtenrate im selben
Zeitraum nur um etwa 12 Prozent sank. «Es ist eine dramatische
Entwicklung», sagt Klenk. «Wenn sich die Bedingungen zur
Berufsausübung nicht verbessern, wird sich das Problem verschärfen.»


Aktuell gibt es in vielen ländlichen Regionen kein Krankenhaus mit
Geburtshilfe mehr. Beispielsweise im fast 2000 Quadratkilometer
großen Landkreis Diepholz in Niedersachsen. «Bei Anfahrtswegen von
bis zu 50 Kilometern haben Frauen große Sorgen, es rechtzeitig zur
Klinik zu schaffen», erzählt Hebamme Jutta Meyer-Kytzia. Christin
Hartje aus Bassum wird zur Entbindung ins knapp 30 Kilometer
entfernte Wildeshausen fahren. «Ich bin noch ganz entspannt», sagt
sie. Aus dem Bremer Raum habe sie aber schon gehört, dass Schwangere
von Kliniken nach Hause geschickt wurden.

Die bundesweit rund 700 verbliebenen Geburtskliniken klagen
häufig über Personalnot. Nach einer vom Hebammenverband in Auftrag
gegebenen Umfrage betreuen angestellte Hebammen aktuell drei bis fünf
Frauen während der Geburt gleichzeitig. «Aufgrund der enormen
Arbeitsverdichtung und des Zeitdrucks wollen viele Kolleginnen nicht
mehr im Kreißsaal arbeiten», sagt Klenk. Vielerorts müssen Kliniken
ihre Kreißsäle vorübergehend dicht machen. «Frauen, die mit Wehen v
or
der Tür stehen, werden abgewiesen. Wir kennen das aus München,
Stuttgart oder Freiburg», erzählt die Verbandspräsidentin.

Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft
(DKGEV), Georg Baum, sagt: «Ein Drittel der Krankenhäuser in
Deutschland macht Verluste. Vielfach bleibt den Häusern nichts
anderes übrig, als die personalintensive Geburtshilfe-Station zu
schließen.» Am Donnerstag entscheide sich, ob das Sterben der
Geburtshilfe weitergehe.

Im Gemeinsamen Bundesausschuss steht dann der Sicherstellungszuschlag
auf der Tagesordnung. Mit diesem Instrument sollen Krankenhäuser im
ländlichen Raum, die für Notfälle wichtig sind, ergänzende
finanzielle Mittel bekommen, um überleben zu können. Aus Sicht der
DKGEV sollten auch Geburtshilfestationen auf diese Weise unterstützt
werden. «Die Krankenkassen lehnen dies ab. Das halten wir für nicht
gerade familienfreundlich», sagt Baum.

Nach Schließung von Kreißsälen auf den zu Schleswig-Holstein
gehörenden Inseln gibt es inzwischen einen Lösungsversuch.
Bewohnerinnen von Föhr, Sylt und Fehmarn können bis zu zwei Wochen

vor dem errechneten Geburtstermin ein Zimmer auf dem Festland
beziehen. Dieses «Boarding»-Konzept sei eine freiwillige Leistung der
gesetzlichen Krankenkasse, sagt Florian Unger vom Verband der
Ersatzkassen. Wenn der niedergelassene Gynäkologe die medizinische
Notwendigkeit für eine vorzeitige Einweisung ins Krankenhaus
sehe, bedeute das aber eine stationäre Aufnahme und sei kein Fall
fürs «Boarding».

Hebammen halten die «Boarding»-Lösung nicht für optimal. «Kaum ei
n
Kind wird am errechneten Termin geboren», sagt Verbandschefin Klenk.
«Sie brauchen ein mindestens vierwöchiges Zeitfenster.» Mütter

harrten oft so lange wie möglich auf der Insel aus, weil sie ältere
Geschwister nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reißen wollten. Auch für
die Mutter der im Autozug geborenen kleinen Hanna war «Boarding»
wegen ihres älteren Sohnes keine Option.

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