AOK-Chef: «Wir schummeln nicht» - Gesamtreform des Finanzausgleichs Von Ruppert Mayr, dpa

Der Streit um eine Reform des Finanzausgleichs zwischen den
Krankenkassen wurde in den vergangenen Wochen zusehends schärfer. Der
Vorwurf des Schummelns steht im Raum. Die AOK distanziert sich.

Berlin (dpa) - Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) haben den
Vorwurf zurückgewiesen, bei Abrechnungen zu manipulieren. «Wir
schummeln nicht», sagte der Vorstandsvorsitzende des
AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, am Freitag in Berlin bei der
Vorstellung eines Positionspapiers der AOK-Gemeinschaft zur Reform
des sogenannten Risikostrukturausgleichs (RSA). Er fügte hinzu, die
Möglichkeiten der Manipulation bei den Abrechnungen seien sehr
gering. Fehldiagnosen seien zwar möglich. Aber es könne keineswegs
die Rede davon sein, dass Kranke auf dem Papier systematisch kränker
gemacht worden seien als sie tatsächlich waren, um mehr Geld aus RSA
zu bekommen.

Litsch reagierte damit erneut auf Äußerungen des Chefs der Techniker
Krankenkasse (TK), Jens Baas. Baas hatte gesagt: «Es ist ein
Wettbewerb zwischen den Kassen darüber entstanden, wer es schafft,
die Ärzte dazu zu bringen, für die Patienten möglichst viele
Diagnosen zu dokumentieren.» Dann gebe es mehr Geld aus dem RSA. Bass

wollte damit offensichtlich den Streit um eine Reform des
Finanzausgleichs weiter anfachen.

Der RSA weist einer Kasse Geld aus dem Gesundheitsfonds zu - unter
anderem je nach Schwere der Erkrankung der Versicherten. Er ist
vielen Kassen seit längerem ein Dorn im Auge. Einige Ersatz-,
Betriebs- und Innungskrankenkassen hatten sich Anfang März zu einer
RSA-Allianz zusammengeschlossen und eine Finanzreform noch in dieser
Legislaturperiode gefordert. Sie sehen insbesondere die Allgemeinen
Ortskrankenkassen (AOK) durch das jetzige System im Vorteil.

Da eine umfassende Reform vor der Bundestagswahl im Herbst 2017
unwahrscheinlich ist, haben sie sich zuletzt auf einige Einzelpunkte
konzentriert. Dazu gehört die Einführung eines «Regionalfaktors», d
er
die Kostenunterschiede zwischen Stadt und Land berücksichtigt. Die
jetzige Regelung mit 80 beispielhaften Erkrankungen, an denen sich
der RSA orientiert, führe dazu, dass kostenintensive Krankheiten wie
Schlaganfall oder Brustkrebs nicht ausreichend ausgeglichen würden,
so die Argumentation.

Die AOK hielt sich bisher zurück. Sie strebt grundsätzlich eine
umfassende Reform des Systems an. Das würde allerdings etliche Zeit
in Anspruch nehmen und wohl nicht vor 2018 angegangen werden können.
In ihrem Positionspapier schlägt sie nun vor, doch einige
Einzelpunkte vorzuziehen und noch in dieser Legislaturperiode zu
regeln. So sollten umgehend verbindliche, bundeseinheitliche
Kodierungsrichtlinien für die ambulante Versorgung eingeführt werden.
Die Zuweisung über den RSA an die Kassen richtet sich nach den
aufgelisteten (kodierten) Diagnosen.

Zugleich solle die im RSA bestehende Begrenzung auf 80
Krankheitsgruppen aufgehoben werden. Damit könne zielgenauer anhand
jeder einzelnen Krankheit zugewiesen werden. Die Debatte über
lukrative und weniger lukrative Krankheiten hätte aus Sicht der AOK
so ein Ende. Eine Regionalisierung lehnt die AOK-Gemeinschaft ab,
obwohl auch einige regionalen AOK in (teuren) Ballungsräumen
angesiedelt sind. Neben solchen Sofortmaßnahmen und kurzfristigen
Anpassungsvorschlägen bleibe das Ziel einer kontinuierlichen,
wissenschaftlich fundierten Weiterentwicklung des RSA, so Litsch.

Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen zeigten sich verärgert: «Die AOK
setzt vor allem auf den Faktor Zeit, um bestehende Überdeckungen aus
dem Gesundheitsfonds möglichst lange als Wettbewerbsvorteil zu
konservieren.» Es sei gerade die AOK, «die die Axt an die Solidarität

in der GKV (gesetzlichen Krankenversicherung)» lege, hieß es in einer
Mitteilung.