Hirschhausen: 90 Prozent der Weltbevölkerung wären gern Kassenpatient Interview: Annett Stein, dpa

Klangschale oder Cortison? Oft liegen Welten zwischen dem, was ein
Arzt und was ein Heiler bei einer Krankheit empfiehlt. Sinnvoll sei
die strikte Trennung streng wissenschaftlicher und «magischer»
Facetten oft nicht, sagt Eckart von Hirschhausen.

Berlin (dpa) - Magie und moderne Medizin: Dazwischen gibt es kaum
eine Verbindung. Manchmal täte uns ein bisschen heilsamer Zauber aber
gut, meint der Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen. In seinem
Buch «Wunder wirken Wunder» wirft er einen humorvollen Blick auf die
verzwickte und manchmal bittere Welt der Heilkunst.

Frage: Schul- oder Alternativmedizin - auf wessen Seite sehen Sie
sich?

Antwort: Ich schlage mich auf die Seite der Patienten. Ihnen sage
ich: Wenn es sonst keiner macht, müsst ihr selber steuern, zu wem ihr
geht, was ihr macht oder sein lasst und zu was ihr «ja» sagt.
Verbissene Pro- und Anti-Bücher gibt es schon genug.

Ich will aus dieser sehr verbohrten Glaubensdiskussion heraus, hin zu
einer positiven Überlegung. Wie gehen wir damit um, dass es uns
eigentlich sehr gut geht im weltweiten Vergleich und subjektiv
trotzdem die Menschen immer das Gefühl haben: Keiner hat Zeit für
mich und ich verstehe die Welt nicht mehr, sobald ich beim Arzt war?

Frage: Sie gehen mit vielen Facetten des deutschen Gesundheitswesens
hart ins Gericht. Fürchten Sie die Reaktionen?

Antwort: Nee! Ich freu mich drauf! Weil ich mich ehrlich gesagt eher
wundere, wie wenig wir in Deutschland darüber sprechen, was für eine
Medizin wir uns eigentlich wünschen. Wir pusten fast eine Milliarde
Euro pro Tag im Gesundheitswesen durch die Gegend. Ich wünschte mir
eine Debatte darüber, was damit sinnvollerweise passieren soll!

Frage: Was läuft schief derzeit?

Antwort: Wir treiben durch die ökonomisierte Medizin die Menschen
geradezu weg von der wissenschaftsbasierten Medizin. Weil Apparate
und Eingriffe überbezahlt werden, Zuhören und Zuwendung aber im
Fallpauschalensystem nicht vorkommen, gibt es ein Zuviel an
Herzkathetern, Rückenoperationen und Knieprothesen. In der Praxis
bekommen die Patienten unnötige IGEL-Leistungen aufgeschwatzt. Damit
geht das Grundvertrauen kaputt und viele wandern ab zu den Bereichen,
wo mehr zugehört, wo mehr versprochen wird, wo aber eben auch sehr
viel Unfug passiert.

Frage: Warum geben Menschen lieber Geld für fragwürdige Mittelchen
aus als sich zum Beispiel dem Rat ihres Arztes folgend mehr zu
bewegen und abzunehmen?

Antwort: So ein bisschen fühle ich mich da an Luther erinnert, der
den Ablasshandel anprangerte vor 500 Jahren: Heute glaubt keiner mehr
an das Fegefeuer, aber jeder glaubt, wenn er eine
Multivitamintablette einwirft, dass er sich damit von seinen Sünden
freikaufen kann. Also vom Rauchen oder Wenig-Bewegen. Letzten Endes
ist das die gleiche Psychologie. Wir täuschen uns gern selbst.

Frage: Ein wirksames «Wundermittel» sind Placebos, Scheinarzneimittel
ohne Arzneistoff. Viele Menschen setzen sie mit Lüge, mit Täuschung
gleich - zurecht?

Antwort: Nein, es geht um positive Erwartungen, die eine große
Heilkraft haben, indem sie die Selbstheilungskräfte, die innere
Apotheke aktivieren. Wenn meine Mutter früher bei einem Schmerz
gepustet hat, dann habe ich das «Aua» wirklich davonfliegen sehen.

Frage: Wird die Wortwahl als Placebo unterschätzt?

Antwort: Die Hälfte der in Deutschland verordneten Medikamente wird
nie genommen, auch weil nicht überzeugend vermittelt wurde, dass sie
wirklich helfen. Das zeigt: Die Art und Weise, wie ich etwas erkläre,
spielt eine unglaubliche Rolle. Wir hätten eigentlich so viel in der
Hand, wenn wir uns darüber bewusster wären.

Frage: Wie ließe sich ein positiverer Blick erreichen?

Antwort: Wir können alle froh sein, in Deutschland im 21. Jahrhundert
zu leben! Wie viele unserer Verwandten und Freunde würden ohne die
Fortschritte der Medizin gar nicht mehr leben? Ich glaube, 90 Prozent
der Weltbevölkerung wären gerne bei uns Kassenpatient.

ZUR PERSON: Dr. Eckart von Hirschhausen (Jahrgang 1967) studierte
Medizin und Wissenschaftsjournalismus. Seit mehr als 20 Jahren ist er
als Komiker, Autor und Moderator in den Medien und auf Bühnen in
Deutschland unterwegs, um medizinisches Wissen auf humorvolle Art zu
vermitteln. Seine Bücher wie «Die Leber wächst mit ihren Aufgaben»

und «Glück kommt selten allein...» sind Bestseller. Aktuell ist er
mit seinem Bühnenprogramm «Wunderheiler - Wie sich das Unerklärliche

erklärt» auf Tour.