Schneise durch den Müll schlagen - Messie-Akademie will Hilfe leisten Von Paul Winterer, dpa

Er hat viel Erfahrung mit Messies gesammelt. Nun wagt der Inhaber
einer Firma zum Räumen vermüllter Wohnungen einen großen Schritt.
Michael Schröter gründet nahe München eine Messie-Akademie und bildet

Helfer aus. Doch seine Initiative stößt nicht überall auf Gegenliebe.


Gauting (dpa) - Helfer können ein Lied davon singen: Sie sperren eine
Wohnung auf und stoßen meterhoch auf Müll. Oft krabbelt Ungeziefer
zwischen Essensresten und Papierbergen herum. Meistens zeugt ein
unausstehlicher Gestank von der totalen Verwahrlosung. In solchen
Wohnungen hausen seelisch kranke Menschen, genannt Messies. Sie
können nichts wegwerfen, müssen alles zwanghaft horten. Am Ende sind
sie in einer ausweglosen Situation und brauchen Hilfe. Experten gehen
davon aus, dass an die zwei Millionen Menschen in Deutschland unter
dem Messie-Syndrom leiden.

Die Zahl der Hilfsangebote ist überschaubar. Michael Schröter will
das ändern. Der 64-Jährige hat 14 Jahre Erfahrung mit vermüllten
Wohnungen und deren Inhabern. An diesem Freitag (14. Oktober) ist die
Gründungsfeier seiner Messie-Akademie in Gauting bei München, in der
künftig sogenannte Messie-Hilfe-Fachkräfte ausgebildet werden. Die
Vision des gelernten Altenpflegehelfers: «Eines Tages soll jeder
Betroffene des Messie-Syndroms professionelle und einfühlsame Hilfe
erhalten.»

Schröter geht es dabei um praktische Hilfe, um Wohnraumarbeit, wie er
es nennt. «Wenn wir Zutritt in die Wohnung eines Messies haben, geht
es erst einmal darum, Platz zu schaffen, uns regelrecht eine Schneise
durch den Müll zu schlagen.» Der nächste Schritt sei, die Böden
freizubekommen, um Durchgänge zu schaffen und danach Zimmer für
Zimmer aufzuräumen. Manchmal stapelt sich Angesammeltes bis fast
unter die Decke.

Ein weiteres Problem sei die «schlimme Atemluft» in vermüllten
Wohnungen. «Zu den seelischen Problemen der Messies treten oft
körperliche Beschwerden, vor allem Atemwegserkrankungen», weiß der
64-Jährige zu berichten. Denn Messies lüften nicht, sie können es oft

gar nicht, weil alles in der Wohnung zugestellt ist. Dazu kommt nicht
selten der Gestank von verdorbenen Lebensmitteln.

Und natürlich spielt Ungeziefer eine Rolle. Kakerlaken sind noch das
geringere Problem. Vor allem in Erdgeschosswohnungen werden auch
Mäuse und Ratten Mitbewohner. Schröter erinnert sich an eine
Räumaktion, bei der ein Messie mit rund 50 toten und 50 lebenden
Mäusen hauste. Die Nagetiere waren vom bestialischen Gestank im Haus
angelockt worden. Bei derartigen Extremfällen setzt Schröters Team
schon einmal Atemschutzmasken auf.

Doch mit dem Wegbringen von Unrat ist es nicht getan. Zu Schröters
Arbeit gehört auch, zusammen mit dem Messie ein Konzept zu
entwickeln, damit sich nicht wieder Papierberge und Gegenstände aller
Art ansammeln. Ohnedies weiß er, dass hinter dem Messie-Syndrom eine
seelische Krankheit steckt. Meist seien die Betroffenen vereinsamt
und fühlten sich ausgegrenzt.

Sie lassen aus Scham über ihre Unordnung niemanden mehr in ihre
Wohnung. «Es braucht oft erst einen Zwischenfall, etwa einen
Wasserrohrbruch, damit jemand die Räume des Messies betritt», weiß
der 64-Jährige. «Die Betroffenen empfinden es dann als Erleichterung,
wenn ihr Schicksal bekannt wird.»

Seine ersten Erfahrungen mit Messies sammelte der Altenpflegehelfer
bei der Caritas. «Ich war erschrocken, als ich die ersten
Messie-Wohnungen sah, aber dann wurde ich neugierig», erinnert er
sich. So entstand sein Dienstleistungsbetrieb zur Räumung von
vermüllten Wohnungen. Schröter arbeitet dabei mit Sozialbehörden
zusammen. Bis zu 10 000 Euro kostet das Aufräumen einer total
verwahrlosten Wohnung. In gut der Hälfte der Fälle können Messies das

Geld selber aufbringen, andernfalls springt der Staat ein.

Der Gründer und Leiter der Messie-Akademie will die Hilfe für
Betroffene nun auf ganz Deutschland ausweiten. In mehrwöchigen Kursen
bildet er Messie-Hilfe-Fachkräfte aus. Er will dazu in größere Städ
te
kommen und die Seminare dort abhalten. «Wir haben die Messie-Akademie
als Reise-Akademie konzipiert», erläutert Schröter. Die Helfer sollen

in Messie-Wohnungen aktiv werden. «Es geht nicht um Therapie, die wir
gar nicht leisten können, es geht um praktische Unterstützung in der
Wohnung selbst», bekräftigt er. Für die Therapie seien
Psychotherapeuten gefragt.

In den Gautinger Räumen der Messie-Akademie vor den Toren der
bayerischen Landeshauptstadt gibt es ein Messie-Apartment. Schröter
hat dort Gegenstände gesammelt, die nur in den vergangenen vier
Wochen bei der Räumung von Messie-Wohnungen angefallen sind. Das
Apartment dient auch Schulungszwecken.

Schröters Akademie-Gründung stößt nicht überall auf Gegenliebe. D
ie
nicht mit Michael Schröter verwandte Veronika Schröter etwa, die in
Freiburg das Institut für Messie-Therapie und in Stuttgart ein
Messie-Kompetenz-Zentrum betreibt, fragt: «Wie kann er es wagen, eine
Akademie zu gründen?» Dafür fehle dem 64-Jährigen schlichtweg der
wissenschaftliche Hintergrund. Der Name sei zu hoch gegriffen.

Denn letztlich sei Schröters Unternehmen nichts anderes als ein
Entrümpelungsdienst. «Vielleicht braucht man diesen Mut», argwöhnt

die Expertin, die von 2010 bis 2012 maßgeblich an einer
wissenschaftliche Studie der Uni Freiburg zum Messie-Syndrom
beteiligt war. Trotz aller Skepsis sagt die Inhaberin einer
sozialpsychologischen Praxis aber an die Adresse ihres Namensvetters
gewandt: «Ich wünsche ihm alles Gute.»