Stammzellforschung verspricht neue Erkenntnisse über Krebs Von Christine Cornelius, dpa

Stammzellforschung ist zu einem unverzichtbaren Teil der
Krebsforschung geworden. Viel versprechen sich Forscher von
sogenannten Organoiden. In diesen kleinen Gewebestückchen können sie
Krebserkrankungen nachahmen.

Heidelberg (dpa) - Die Stammzellforschung boomt - auch für
Krebsforscher wird sie immer wichtiger. Die Mediziner erhoffen sich
neue Erkenntnisse zur Entstehung von Tumoren und neue Lösungsansätze
für deren Heilung. «Stammzellen und Krebs» ist darum das zentrale
Thema beim Internationalen Heinrich Behr Symposium in Heidelberg.

«Wir verwenden die Stammzellen, um mehr über den Tumor und seine
Metastasen herauszufinden und neue Therapien zu entwickeln, die ihn
gezielt vernichten», sagt einer der Gastgeber des Symposiums,
Wissenschaftler Andreas Trumpp vom Deutschen Krebsforschungszentrum
(DKFZ). Das DKFZ richtet die Konferenz alle zwei Jahre aus.

«Ein Tumor entsteht, wenn sich in einer Zelle viele verschiedene
Genveränderungen anhäufen, sogenannte Mutationen», erläutert Trumpp
.
Kürzlich sei nachgewiesen worden, dass die erste Mutation oft in
Stammzellen auftrete. «Der Ursprung von Krebs liegt damit oft in
unseren Stammzellen.» Die Krebsforschung versuche, Möglichkeiten zu
finden, nicht nur den vollausgewachsenen Tumor zu zerstören, sondern
auch Zellen, die bereits diese ersten Mutationen aufwiesen.

Forscher können auch immer mehr sagen über den Aufbau von Tumoren.
«Der Tumor ist hierarchisch organisiert», erläutert Trumpp. «Ganz
oben sitzt die Krebsstammzelle, die viele nachfolgende, weniger
aggressive Krebszellen produziert.» Das Tückische daran sei, dass
diese Krebsstammzellen sehr viel resistenter seien gegen
Chemotherapien und andere Behandlungen. «Während man den Großteil der

Tumorzellen vernichten kann, bleiben oft die Krebsstammzellen im
Körper zurück.»

Nach einer Therapie könnten sie wieder einen neuen Tumor bilden, sagt
der Krebsforscher. «Deshalb ist es so wichtig, diese Krebsstammzellen
aktiv zu bekämpfen, um die Wiederkehr des Tumors oder auch die
Bildung von Metastasen zu verhindern.»

Stammzellexperte Tobias Cantz von der Medizinischen Hochschule
Hannover sagt: «Vor einigen Jahren haben sich viele gefragt, was
Stammzellforschung denn mit Krebsforschung zu tun haben soll. Eine
Krebserkrankung ist ja ein zu viel an Zellen - was soll man da mit
noch mehr Zellen, die man aus der Stammzellenforschung generiert
hat?» Aber man habe inzwischen verstanden, wie ähnlich sich
Krebszellen und Stammzellen strukturell seien.

Wissenschaftler können mittlerweile aus Stammzellen sogenannte
Organoide züchten. Das sind kleine Gewebestückchen, die aus
verschiedenen Zelltypen bestehen. «Das funktioniert, indem man die
Stammzellen aus einem Gewebe isoliert und sie unter bestimmten
Bedingungen zum Beispiel zu Mini-Därmen oder Mini-Gehirnen auswachsen
lässt», erläutert Trumpp. «Aus Gewebe vom Menschen gelingt das
mittlerweile auch - dieses Verfahren wird jetzt immer häufiger
eingesetzt, auch in Deutschland.»

Organoide spielten in der Krebsforschung eine immer wichtigere Rolle,
sagt Trumpp. «Wir Krebsforscher haben oft das Problem, dass wir nicht
genügend Material von einem Patiententumor bekommen: Die Tumoren sind
klein oder die Proben sind bereits größtenteils abgestorben, da gibt
es vielerlei Gründe.»

Auch Experten vom Paul-Ehrlich-Institut setzen Hoffnungen in die
Forschung mit Organoiden. «Substanzen zum Beispiel aus der Biomedizin
oder Chemotherapie können in Organoiden vorgetestet werden
hinsichtlich ihrer möglichen Verträglichkeit», sagt
Institutspräsident Klaus Cichutek. «So gehen hoffentlich die momentan
notwendigen Tierversuche zurück und werden durch Organoide ersetzt.»

Dem Molekularbiologen Jürgen Knoblich zufolge braucht die Forschung
Organoide, weil sich viele Erkenntnisse aus Tierversuchen nicht auf
den Menschen übertragen lassen. An Organoiden könnten Forscher
Medikamente testen und Krankheitsmechanismen erkennen. «Das Ganze ist
besonders wichtig für das menschliche Gehirn als das Organ, das uns
am meisten von Tieren unterscheidet.»

Knoblich züchtet aus menschlichen Hirnstammzellen sogenannte
Hirn-Organoide - Gewebestrukturen, die in vielen Aspekten einem
Gehirn ähneln. «Unsere Hoffnung ist, dass es uns gelingen wird,
Tumore in diesen Organoiden nachzubauen. Wenn wir das schaffen
würden, dann hätten wir auch die Möglichkeit, hier direkt Medikamente

zu testen - das wäre ein großer Durchbruch.»

Laut Trumpp vom DKFZ hoffen Wissenschaftler, in Zukunft das
Tumormaterial für jeden Patienten spezifisch züchten und daran erste
Tests ausführen zu können. Das Ziel: vorab herausfinden, auf welche
Medikamente oder welche Kombination von Wirkstoffen der Tumor
ansprechen dürfte. «Irgendwann werden wir so viel Wissen angesammelt
haben, dass wir zum Beispiel eine Kombination von Mutationen bei
einem Patienten X finden, die wir ein Jahr vorher schon einmal bei
einem anderen Patienten gefunden hatten. Durch das Wissen, welche
Kombination hier schon gewirkt hat, kann man eine Menge Zeit sparen.»