Hunderte Patienten hoffen auf Cannabis auf Rezept Von Christina Sticht, dpa

Haschisch ist eine in Deutschland illegale Droge und gleichzeitig ein
Heilmittel. Die Bundesregierung bereitet ein Gesetz zur medizinischen
Verwendung von Cannabis vor. Verschrieben werden soll der Stoff
jedoch nur schwerkranken Menschen, denen nichts anderes hilft.

Hannover (dpa) - Ohne Cannabis wäre er längst blind und könnte vor
Schmerzen nicht vor die Tür gehen, ist Bernd Vohwinkel überzeugt. Der
Frührentner aus Duderstadt bei Göttingen inhaliert jeden Tag 3,0 bis
3,5 Gramm. Er ist einer von 779 Patienten bundesweit, die eine
Ausnahmeerlaubnis zur ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit
Cannabis besitzen.

Die Döschen mit den Hanfblüten bezieht sein Apotheker aus Holland.
Aufgrund von Lieferengpässen muss Vohwinkel manchmal wochenlang auf
das Medikament warten. «Wir Patienten werden dann quasi zum
Schwarzmarkt und in die Illegalität gezwungen», sagt der 56-Jährige,

den die Augenkrankheit Glaukom, Hepatitis C und chronische
Schulterschmerzen seit einem Unfall plagen.

Vohwinkel hat wie einige Leidensgenossen bei der Bundesopiumstelle
einen Antrag auf Eigenanbau von Hanf gestellt, der wegen fehlender
Sicherheitsvorkehrungen abgelehnt wurde. «Die verlangen eine Haustür
wie in einer Apotheke, Gitter vor dem Badezimmerfenster, ein
Fingerprint-Schloss und eine Überwachungskamera», erzählt der frühe
re
Kraftfahrer. «Dafür habe ich kein Geld.» Schon jetzt sei er auf
finanzielle Hilfe seiner Familie angewiesen, denn die Krankenkasse
übernimmt die Cannabis-Kosten in Höhe von etwa 1300 Euro monatlich
nicht.

Die Bundesregierung hat vor, schwerkranken Menschen demnächst den als
illegale Droge eingestuften Stoff auf Rezept zu ermöglichen - ein
entsprechender Gesetzentwurf ist auf dem Weg. «Wir wollen, dass für
Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer
Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen
werden kann», sagt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).
«Außerdem wollen wir eine Begleiterhebung auf den Weg bringen, um den
medizinischen Nutzen genau zu erfassen.»

In vielen Ländern wie den USA oder Israel ist Cannabis als Medizin
schon etabliert. Es wird zur Linderung der Nebenwirkungen von
Chemotherapien, zur Appetitsteigerung bei HIV/Aids oder bei
chronischen Schmerzen eingesetzt. In Deutschland ist Sativex das
einzige zugelassene Präparat auf Cannabis-Basis. Es kann bei
multiplen Spastiken an Patienten mit Multipler Sklerose verschrieben
werden.

Kirsten Müller-Vahl erforscht an der Medizinischen Hochschule
Hannover die Wirksamkeit von Cannabis bei der Nervenkrankheit
Tourette-Syndrom, die mit Tics einhergeht. «In unserem Körper
befindet sich ein weit verzweigtes Cannabinoid-System, dessen
Stimulation zu vielfältigen Wirkungen führt», sagt die Neurologin und

Psychiaterin. «Deshalb könnten Cannabis-basierte Medikamente
möglicherweise bei rund 50 Krankheiten beziehungsweise Symptomen
helfen. Leider gibt es viel zu wenig Geld für die Forschung.»

Wer sich mit Cannabis nicht auskennt oder von eigenen
Kiffererlebnissen ausgeht, denkt schnell, dass der Stoff auf die
Patienten eine dämpfende, betäubende Wirkung hat oder aber high
macht. Die Wirkung auf die Psyche ruft fast nur das THC
(Tetrahydrocannabinol) hervor. Insgesamt enthält die Hanfpflanze aber
mehr als 100 Cannabinoide sowie Hunderte weitere pflanzliche Stoffe.
«Cannabis ist kein Wundermedikament», sagt Müller-Vahl. Einigen
Patienten helfe es nicht, sie berichteten von Nebenwirkungen wie
Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Das Suchtrisiko sei aber sehr
gering.

Dass die Bundesregierung Cannabis auf Rezept ermöglichen will, findet
die Professorin gut. «Die politische Umsetzung wird aber schwierig»,
meint sie. Bisher dürfen die Patienten mit Ausnahmegenehmigung ihr
Medizinalhanf nicht ins Ausland mitnehmen, können also nicht dorthin
reisen. Dies soll sich mit dem neuen Gesetz ändern.

Der Entwurf sieht zudem die Gründung einer staatlichen
Cannabis-Agentur vor. Zum Anbau von Cannabis als Arzneimittel soll es
ein Ausschreibeverfahren geben. Im Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte gehen seit Veröffentlichung des Gesetzentwurfes
täglich Anfragen zu dem Thema ein. «Die Anfragen stammen
hauptsächlich von Einzelpersonen und Unternehmen aus den Bereichen
Landwirtschaft beziehungsweise Obst- und Gemüsebau und von neu
gegründeten Unternehmen», sagt Behördensprecher Maik Pommer.

Wie viele Cannabis-Rezepte ausgestellt werden könnten, will das
Bundesgesundheitsministerium nicht vorhersagen. Nicht alle Ärzte sind
der Pflanze gegenüber positiv eingestellt. Der Psychiater Rainer
Thomasius hält Cannabis für «kein besonders gutes Medikament» und
zählt dafür gleich eine Vielzahl an Gründen auf. «Wir wissen nicht,

was die über 400 Wirkstoffe im Körper machen», sagt der Leiter des
Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zudem gebe es ein
Psychose-Risiko. Die akuten Nebenwirkungen wie Schwindel oder
euphorische Zustände könnten bei älteren Menschen zu Stürzen führ
en.

Davon kann Cannabis-Patient Bernd Vohwinkel nicht berichten. «Wenn
ich das Zeug nehme, sehe ich keine bunten Farben und habe auch keine
Ausfallerscheinungen», betont der chronisch kranke Frührentner. «Im
Gegenteil - ich kriege dadurch wieder Appetit und Antrieb.» Vohwinkel
hofft, dass es in Deutschland ein Umdenken gibt und Hanf aus der
kriminellen Ecke geholt wird. «Ich kann nicht verstehen, dass sich so
viele schwertun mit der Pflanze, die Jahrhunderte als Heilmittel und
Medikament gebraucht wurde.»

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