Gefährliche Handy-Strahlung? Neue Studien befeuern Streit Von Andrea Barthélémy, dpa

Der Streit um Gesundheitsgefahren durch Handystrahlung schwelt seit
Langem. Und mit der steigenden Zahl auch junger Menschen, die ihr
Smartphone dauernutzen, wächst die Gruppe der potenziell Betroffenen.
Jetzt wurden zwei neue große Studien veröffentlicht.

Washington (dpa) - Können Handys Krebs auslösen? Seit Jahren suchen
Wissenschaftler nach Klarheit. Eine neue Studie aus den USA liefert
nun Anzeichen für ein leicht erhöhtes Krebsrisiko im Tierversuch.
Eine große epidemiologische Langzeitstudie aus Australien hingegen
findet fast zeitgleich keinen Nachweis für erhöhte Krebszahlen in der
Bevölkerung. Die Diskussion um potenzielle Gefahren durch die
Mikrowellen-Strahlung von Mobiltelefonen wird also weiter mit
Leidenschaft geführt - und mit unterschiedlichen
Forschungsergebnissen.

Die 25 Millionen US-Dollar (22,4 Mio Euro) teure, von der
US-Regierung in Auftrag gegebene Studie lässt Handy-Kritiker erneut
aufhorchen: Über mehrere Jahre lang haben Forscher des National
Toxicology Program (NTP) mehr als 2500 Ratten und Mäuse mit
Mikrowellen der beiden gängigen Übertragungstechnologien, GSM und
CDMA, bestrahlt. 10 Minuten Bestrahlung, 10 Minuten Pause - in diesem
Rhythmus wurden die Ratten über zwei Jahre je neun Stunden pro Tag
900 Megahertz-Frequenzen ausgesetzt, die Mäuse 1900 Megahertz. Die
Bestrahlung der Ratten erfolgte in drei verschiedenen Stärken.

Das - wegen der ausstehenden Werte für die Mäuse noch vorläufige -
Ergebnis: Bei männlichen bestrahlten Ratten entstanden einige
bösartige Tumore im Hirn (Gliome) und bestimmte Geschwülste am Herzen
(Schwannome). Für das Team um Michael Wyde ist dies «wahrscheinlich
das Ergebnis der Ganzkörper-Bestrahlung mit GSM oder CDMA-modulierten
Radiofrequenzen». Von den jeweils 90 bestrahlten männlichen Ratten in
den sechs Testgruppen bekamen bis zu drei Tiere Hirntumore und bis zu
sechs Herzgeschwülste. Die 90 Kontrolltiere zeigten keine dieser
Veränderungen.

Weibliche Ratten hingegen entwickelten nicht statistisch signifikant
mehr Tumore. Auch lebten die bestrahlten Tiere im Schnitt sogar
länger als die der Kontrollgruppen, und Tierversuche seien nicht eins
zu eins auf Menschen zu übertragen, merkten andere Wissenschaftler in
Begleitartikeln prompt kritisch an.

Allerdings entsprachen die Tumore genau denjenigen, die zuvor schon
in mehreren epidemiologischen Studien mit Handystrahlung in
Verbindung gebracht worden waren. Und diese waren 2011
Schlüsselfaktoren für die WHO gewesen, Handystrahlung als
«möglicherweise krebserregend» einzustufen. In diese Kategorie fallen

jedoch auch bestimmte Sorten eingelegten Gemüses und ebenso Kaffee.


Fast zeitgleich mit der großen Tierstudie legten australische
Forscher Ergebnisse einer rund 30 Jahre laufenden Langzeitstudie vor.
«Wir fanden keinen Anstieg bei der Gehirntumor-Häufigkeit, die dem
steilen Anstieg der Mobilfunk-Nutzung entsprochen hätte», berichten
Simon Chapman und Kollegen im Journal «Cancer Epidemiology».

Den Forschern nutzte dabei das verpflichtende Krebsregister
Australiens, für das sie zwischen 1982 und 2012 die
Hirntumor-Diagnosen von 19 800 Männern und 14 200 Frauen zwischen 20

und 84 Jahren sichteten. 1987 wurden in Australien die ersten Handys
genutzt, 2014 telefonierten 94 Prozent der Bevölkerung mit ihnen.

Die Wissenschaftler erwarteten auf Basis vorheriger Studien
eigentlich eine deutliche Steigerung bei den Krebsfällen. Doch dies
blieb aus. Einen leichten Anstieg der Diagnosen bei den Männern in
diesem Zeitraum erklären die Forscher mit besseren Diagnosemethoden.

Allerdings bleibt auch diese Studie nicht unangefochten.
Biotechnologie-Experte Prof. Dariusz Leszczynski (Universität
Helsinki), der die WHO 2011 bei ihrer Entscheidung beraten hatte,
hält die zugrundegelegte Latenzzeit von 10 Jahren für die Entwicklung
eines Tumors für zu gering. «Außerdem sollte die irreführende
Behauptung von 29 Jahre Mobilfunk-Nutzung durch höchstens 15 Jahre
ersetzt werden, als die Handys wirklich verbreitet waren», kritisiert
er in seinem Blog.