Führen aus der zweiten Reihe: Die rechten Strategen der AfD Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Die AfD hat eine Doppelspitze. Doch deren Macht ist begrenzt. Großen
Einfluss bei den Rechtspopulisten besitzt Parteivize Alexander
Gauland. Und der setzt in einem Feldzug gegen die CDU zur Zeit eher
auf Björn Höcke.

Berlin/Erfurt (dpa) - «Höcke, Höcke» tönt es durch die Dunkelhe
it.
Die Fassade der sanierten Plattenbauten wirft den Schall zurück. In
der Ferne sind leise die Trillerpfeifen der Gegendemonstranten zu
hören. Polizisten halten sie auf Distanz. Björn Höcke ist erkäl
tet.
Trotzdem schreitet der Thüringer Fraktionschef der Alternative für
Deutschland (AfD) an der Spitze des Demonstrationszuges durch die
Kälte. Vor dem Erfurter Landtag kommt die Menschenmenge zum Stehen.
Die Kundgebung beginnt.

Höcke sagt: «Wir müssen unsere großartige Identität endlich wie
der
selbstbewusst leben.» Jubel. Als Höcke prophezeit, auch in diesem
Jahr würden aus fernen Ländern wieder «eine Million junger Männer
»
nach Deutschland kommen, zischt eine ältere Frau im Anorak:
«Drecksgesindel.» 

Deutschland 2016. Das heißt tiefe Gräben, schrille Töne und ein
Thema, das die Talkshows dominiert: Asyl und Flüchtlinge. Eine erst
vor drei Jahren gegründete Partei, die AfD, setzt in dieser Debatte
konsequent auf stärkere Abschottung. Damit fängt sie viele
Protestwähler ein. Menschen, die nicht wollen, dass die Zuwanderung
Deutschland verändert. Menschen, die nicht mit Fremden teilen
wollen. Mitte März könnte die AfD in drei weitere Landtage einziehen.

Im Osten hat sie besonders viel Zulauf. 

Formal betrachtet ist der ehemalige Geschichtslehrer Höcke nur einer
von zwei Vorsitzenden eines relativ kleinen Landesverbandes. Im
Bundesvorstand der AfD haben - zumindest auf dem Papier - der
Volkswirt Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg und die Chemikerin
Frauke Petry aus Sachsen das Sagen. Doch fragt man Insider, wer die
AfD heute besonders prägt, fallen andere Namen: Björn Höcke (43) und

Alexander Gauland (75). 

Höcke ist ein stets korrekt gekleideter Rechtsaußen mit federndem
Gang, bei dem sich Ehrgeiz mit nationalem Pathos paart. Viele kennen
ihn als den Mann, der im ARD-Talk im Oktober die Deutschlandfahne
über die Stuhllehne legte. Mit dem stellvertretenden AfD-Chef Gauland
bildet der Pädagoge ein ungleiches Duo. Gauland, ein Polit-Profi, war
lange in der CDU. Er zieht seine Strippen so schnell und diskret,
dass seine Opfer oft erst merken, wie ihnen geschieht, wenn sie schon
mit den Füßen nach oben im Netz zappeln.

Der frühere Leiter der hessischen Staatskanzlei und ehemalige
Herausgeber der «Märkischen Allgemeinen» in Potsdam kann seine Gunst

genauso schnell entziehen, wie er sie verschenkt. Erst Bernd Lucke,
dann Petry. Der neueste Favorit heißt Björn Höcke. «Dass es zwisc
hen
den beiden einen guten Kontakt gibt, damit habe ich kein Problem»,
sagt Frauke Petry. «Ich sehe das entspannt.»

Doch wer ist dieser Mittsiebziger eigentlich? Was sagen alte
Weggefährten über Alexander Gauland? Konrad Adam kennt ihn schon seit
über 30 Jahren. Der Publizist hat den ehemaligen
CDU-Staatssekretär 2013 zur AfD gebracht. Er überzeugte
ihn, mitzumachen bei dieser neuen Partei von Konservativen, die sich
durch den Mitte-Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
heimatlos fühlten. Adam sagt: «Wir haben uns Anfang der 80er Jahre
in
Frankfurt kennengelernt, und ich habe ihn immer geschätzt. Doch sein
Techtelmechtel mit Höcke, das stört mich.»

Adam hat «Finks Krieg» gelesen, den 1996 erschienenen Schlüsselroma
n
von Martin Walser. Er beschreibt den Schlagabtausch zwischen dem
finsteren Staatssekretär Tronkenburg und dem Beamten Fink. Der
Mächtige lässt den Schwächeren vor die Wand laufen. Dass er wohl das

Vorbild für den Bösewicht Tronkenburg war, hat Gauland später selbst

eingeräumt. Er hat Walsers Roman damals für die «FAZ» rezensiert.
Die
Überschrift seines Textes: «Ich war Tronkenburg, Ansichten einer
Hauptfigur.» Gauland, der unter Ministerpräsident Walter Wallmann
(CDU) die hessische Staatskanzlei leitete, fühlte sich von Walser
verzerrt dargestellt.

Vielleicht vertraute Adam darauf, dass Gaulands Version dieser Sache
mit «Fink» der Wahrheit entsprach. Vielleicht war es ihm auch egal.
Fest steht: Auf dem AfD-Parteitag in Essen wird im Juli 2015 erst
Lucke entmachtet, dann Adam. Gauland verzieht keine Miene. Gemeinsam
mit dem nordrhein-westfälischen AfD-Chef Marcus Pretzell wirft er
seine Netze aus, organisiert Mehrheiten. Adam ist enttäuscht - wohl
auch menschlich. Formvollendet verbeugt sich Gauland zum Handkuss für

die Siegerin und neue Parteichefin Frauke Petry.

«Der stand ganz lange an meiner Seite, und dann hat er irgendwann die
Seiten gewechselt», sagt Lucke heute über Gauland. Doch weshalb?
Ärgerte sich Gauland womöglich über Luckes Besserwisserei, einen
wenig geschmeidigen Führungsstil, den auch andere AfD-ler beklagten? 

Nein, sagt Lucke. Nachdenklich blickt er aus dem Fenster im Büro
seiner neuen Partei Alfa in Berlin-Charlottenburg. Die Gefühle
anderer Menschen zu analysieren, ist nicht seine Stärke. Die Kälte in
den zwei kleinen Büroräumen lässt Besucher frösteln. Gauland habe
strategisch gehandelt, urteilt der Volkswirt schließlich. «Gauland
hat mich nicht zu Unrecht wahrgenommen als jemand, der das normal
bürgerliche, akademische liberal-konservative Spektrum unserer
Wählerschaft an die Partei binden will», sagt Lucke, der mit seiner
neuen Partei gegen die Bedeutungslosigkeit ankämpft.

Gauland habe ihm damals gesagt, er halte das für aussichtslos, weil
diese Wähler zurückgehen würden zur CDU und zur FDP. Die Chance der
AfD seien die «kleinen Leute». Die hoffte er wohl eher mit Petry zu
erreichen.

In «Finks Krieg» sagt der Ministerialrat über Tronkenburg: «Ich bin

ihm in den Weg geraten. Er wollte einfach seinen Weg gehen. Das war
er gewohnt. Sich durchsetzen. Da musste er mich, weil ich störte, zur
Seite schieben.» Lucke sagt, er habe den Roman nie gelesen.

Rund acht Monate nach dem internen Machtwechsel steht Gauland im
Grundsatz weiter zu Petry. Doch in jüngerer Zeit sind Risse
erkennbar: Erst fährt Gauland Petry in die Parade, als diese
versucht, Höcke aus der Partei zu drängen. Anlass waren dessen
Äußerungen über den «lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp
».
Auch andere Manöver des inzwischen privat verbandelten Duos
Petry-Pretzell missbilligt Gauland: etwa die Forderung nach dem
Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge als Ultima Ratio, um
illegale Einreisen zu stoppen.

Höckes Eskapaden beurteilt Gauland dagegen mit väterlicher Milde.
O-Ton Gauland: «Ihn treibt ein geradezu nationalromantisches Gefühl
der Liebe zu seinem Vaterland.» Romantik? In den Ohren der
Abgeordneten, die sich im Thüringer Landtag an Höcke und seinen
Fraktionskollegen abarbeiten, muss das wie Hohn klingen. Sie werfen
der AfD-Fraktion vor, sie bereite den Nährboden, auf dem
fremdenfeindliche Straftaten gediehen.

In Höckes Reden geht es oft um «die Heimat», die es vor negativen
Einflüssen aus dem Ausland zu schützen gelte. Doch die Heimat von
Björn Höcke ist gar nicht so einfach einzugrenzen. Über den Untergang

der DDR habe er sich gefreut, sagt Höcke. Dass sich die Kultur und
Politik Westdeutschlands mit ihren «Parallelgesellschaften» nach
Osten ausdehnen würden, habe er jedoch kritisch gesehen. Die neuen
Bundesländer als eine Art Deutschland-Freilichtmuseum, das es zu
erhalten gilt?

Björn Höcke ist in Anhausen aufgewachsen, einem Dorf in
Rheinland-Pfalz. Trotzdem habe er, der Sohn einer
Vertriebenenfamilie, sich «nie als Wessi gefühlt», betont er. In

seiner Familie habe man «gesamtdeutsch» gedacht. Höcke sagt, er habe

das Landleben als Kind genossen, «aber es war natürlich in diesem
kleinen Dorf auch so, dass man in eine sehr abgeschlossene Einheit
letztlich eingedrungen ist». Das klingt nicht gerade nach
Willkommenskultur. Zum Studium zog Höcke in verschiedene westdeutsche
Städte, bevor er sich als Lehrer für Geschichte und Sport im
hessischen Bad Sooden-Allendorf niederließ. Zunächst wohnte er in der
Nähe der Schule. Dann zog er mit Frau und Kindern in ein Dorf im
benachbarten Thüringen.

Wo ihr Lehrer politisch stand, wussten seine Schüler damals nicht.
«Er hat nie ein schlechtes Wort über Ausländer verloren», sagt Malt
e
M. (29), der von Höcke in der Oberstufe in Geschichte unterrichtet
wurde. Bei den Schülern sei Höcke wegen seiner offenen, lockeren Art

sehr beliebt gewesen. «Ich hätte ihn damals eher als jemanden
eingeschätzt, der die Grünen wählt», sagt der Ex-Schüler. Und:
«Ich
möchte nicht, dass er eines Tages meine Kinder unterrichtet.» Seinen
vollen Namen möchte Malte M. hier nicht veröffentlicht sehen.

Eine andere Ex-Schülerin von Höcke will ebenfalls lieber anonym
bleiben. Sie sagt, sie wolle nicht riskieren, dass eines Tages
radikale Anhänger von Höcke bei ihr vor der Tür stünden. Sie zeichn
et
das Bild eines Lehrers, zu dem Schüler schnell Vertrauen fassten, der
für jeden Spaß zu haben war. Auffällig fand sie damals nur die
altmodischen Namen von Höckes Kindern, und dass er einmal bei einer
Diskussion über die traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und
Frau gesagt habe, «früher sei auch nicht alles schlecht gewesen».
Wenn sie heute Höcke-Reden im Internet anschaue, könne sie ihren
Lehrer kaum wiedererkennen. Die junge Frau sagt: «Er ist ganz, ganz
anders - alleine wie er die Stimme verstellt.»

Auch ehemalige Weggefährten von Höckes neuem Parteifreund Alexander
Gauland fragen, was da passiert ist. Sie verstehen nicht, wie aus dem
«konservativen Intellektuellen» im feinen Tweed ein «rechter
Stammtisch-Politiker» werden konnte. Er habe es immer geschätzt, dass
«Gauland auch mit Leuten, die anderer Meinung sind, ganz gut kann»,
sagt jemand, der ihn in seiner Zeit bei der «Märkischen Allgemeinen
»
gut kannte. Ihn erstaune, dass so ein «elitärer, dünkelhafter Mensch
»
jetzt im Wahlkampf den Schulterschluss mit den weniger Gebildeten
suche. Konrad Adam findet das dagegen folgerichtig. Er sagt über
Gauland: «Er will Mehrheiten haben, das ist für ihn das Wichtigste.»


Doch warum? Was treibt diesen Pensionär, der im Laufe einer langen
Karriere schon viel erreicht hat? Neben dem Spaß am Spiel der Macht

ist es sicher auch die Wut auf seine alte Partei, die CDU. «Es ist
gut, wenn die CDU jetzt ins Schwitzen kommt», sagt Gauland. «Die
müssen Angst kriegen, um ihre Mandate zittern.»

Er erzählt von der Enttäuschung, die er 2012 verspürt habe, als er

und die anderen «Rebellen» aus dem «Berliner Kreis» beim damaligen

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe mit ihren Ideen für eine
«konservative Erneuerung» der Partei abgeblitzt waren. «Wie der
letzte Dreck» seien sie von Gröhe behandelt worden, weshalb ihm der
Höhenflug der AfD jetzt schon eine «gewisse Befriedigung»
verschaffe. 

Gröhe will auf diese Anwürfe selbst nicht antworten. Eine Sprecherin

sagt, dass von schlechter Behandlung keine Rede sein könne. Das werde
schon darin deutlich, dass der heutige Bundesgesundheitsminister zu
anderen Angehörigen der Gesprächsgruppe von damals ein sehr gutes
Verhältnis habe. Auch Adam, der ebenfalls zum «Berliner Kreis»
gehörte, erinnert es anders. Er sagt: «Wir wollten damals das
konservative Profil der CDU schärfen, aber die Angehörigen dieses
Kreises waren leider größtenteils Männer ohne Mumm.»

Gaulands neuer Mitstreiter, Björn Höcke, denkt auch in diesen
Kategorien. Im vergangenen Jahr forderte er bei einer Kundgebung:
«Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken.» Doch blind
voranzustürmen, ist seine Sache nicht. Höcke wägt durchaus vorsichtig

ab. Für den AfD-Bundesvorstand hat er auf dem stürmischen Essener
Parteitag bewusst nicht kandidiert. Er unterstützte lieber die
Kandidatur von André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt, den Parteifreunde
wegen seiner Loyalität schon als «Höckes Bauchredner im
Bundesvorstand» bezeichnet haben.

Von der Besuchercouch in seinem Landtagsbüro in Erfurt schaut Höcke
hinauf zu Otto von Bismarck. Der «Eiserne Kanzler» hängt neben der
Tür hinter Glas. Ist das ein Fan-Poster? Mit Vorbildern tue er sich
schwer, sagt der beurlaubte Pädagoge. Für seine Partei scheint ihm
kaum ein Ziel zu kühn: Er sieht sie in naher Zukunft als
«Kanzlerpartei».

Für AfD-Vize Gauland findet Höcke lobende Worte: «Wir haben ein sehr

gutes und inniges Verhältnis. Er ist ein sehr politikerfahrener und
lebenserfahrener Mann, der mir manchen wichtigen Ratschlag erteilt.»
Dazu gehört möglicherweise auch die Kunst des Führens von hinten.
Höcke weiß, dass sich beschädigen kann, wer zu früh in der ersten
Reihe steht. Er sagt: «Ich bin zwar Langstreckenläufer, aber ich bin
kein Sprinter, ich muss mich nicht sofort an die Spitze setzen.»