«Welcome to the Pentagon»: Ein Tag im Nervenzentrum des US-Militärs Von Johannes Schmitt-Tegge, dpa
Kolossal ruht das Pentagon am Ufer des Potomac. Das zur Festung
gewachsene Ministerium funktioniert wie eine eigene Stadt. Besuch in
der Schaltstelle des schlagkräftigsten Militärs der Welt.
Washington (dpa) - «Wenn jemand von Ihnen die Toilette allein
benutzen möchte, jetzt ist die letzte Chance.» Die Gruppe kichert,
aber Shakeem Serville meint es ernst. Kerzengerade hat sich der junge
Matrose in schwarzer Uniform vor zwei Dutzend Touristen aufgebaut.
Die Bügelfalte am Halstuch führt direkt unters Kinn, Medaillen
schimmern, die Schuhe blitzen.
Die für Besucher vorgeschriebene Eskorte zur Toilette ist erst der
Anfang. Wenige Schritte von Servilles Lackschuhen entfernt liegt
einer der am strengsten bewachten Orte der Vereinigten Staaten: die
Schleuse ins Nervenzentrum des amerikanischen Militärs. Hoch hängen
die Sternenbanner, Weißkopfseeadler wachen. Im Sekundentakt piepen
Elektroschranken, sobald ein Hausausweis eine der 19 Ampeln auf Grün
springen lässt. Goldene Blockschrift: «Welcome to the Pentagon.»
26 000 Menschen arbeiten im Hauptquartier der schlagkräftigsten
Streitmacht. Es ist das größte Flachbau-Bürogebäude der Welt: sechs
Postleitzahlen, 24 Restaurants, etwa von den Fast-Food-Riesen
McDonald's und Burger King, Post- und Bankfilialen, eine Apotheke,
Zahnarzt und Optiker, Geschäfte für Süßigkeiten, Blumen, Schmuck un
d
Koffer, Boutiquen, ein Schuster, eine Zweigstelle der
Straßenverkehrsbehörde DMV. Starbucks betreibt im Pentagon vier
Filialen, pro Tag werden hier 33 000 Becher Kaffee konsumiert.
Neuankömmlinge verlaufen sich in dem fünfeckigen Bau schnell, denn
zunächst verwirrt das Netz aus Stockwerken, Ringen und Korridoren.
Wer etwa zur Reinigung im Raum 2E1076 will, muss im zweiten Stock auf
Außenring E in Korridor 1 nach Raum 076 suchen. Hat man das System
begriffen, ist jeder Ort dank des fünfeckigen Grundrisses innerhalb
von sieben Gehminuten erreichbar. Besitzer von Elektroscootern sind
schneller, müssen diese aber beim DMV anmelden und dürfen nur an
vorgeschriebenen Plätzen parken. Falschparker werden abgeschleppt.
«Es ist wie eine kleine Stadt», sagt Steven Calvery, der die Pentagon
Force Protection Agency (PFPA) leitet. Die gut 1300 Mitarbeiter der
Sicherheitsbehörde beschreibt er als die Besten der Besten: Gut ein
Prozent der Bewerber bekommt einen Posten, der Rest wird abgewiesen.
Wer mit Calvery sprechen will, muss sein Handy in ein kleines Fach
vor den codegesicherten Türen schließen. «FOUO» steht auf Monitoren
im Konferenzraum - «For Official Use Only». Darüber verorten rote
Digitaluhren den Rest des Erdballs: Eastern 11:25, Pacific 8:25, Irak
19:25, London 16:25, Tokio 1:25 und Zulu 16:25 - die im US-Militär
geläufige Bezeichnung für die koordinierte Weltzeit.
Dass täglich Tausende über die U-Bahn-Station «Pentagon» und den
angrenzenden Busbahnhof von und nach Washington pendeln, macht
Calverys Job nicht leichter. Seine Wachleute müssen Angreifer aus der
menschlichen Unordnung filtern. Nur das Weiße Haus und das Kapitol
würden ebenso streng bewacht, abgeschirmt und ausgeleuchtet. «Wir
verstehen, dass wir ein Ziel von Terroristen sind. Wir sind einer der
wenigen Orte in den USA, die erfolgreich angegriffen wurden.»
Das Trauma sitzt bis heute tief. 184 Menschen starben, als fünf
Männer des Terrornetzwerks Al-Kaida am 11. September 2001 um 9.37 Uhr
morgens ein Passagierflugzeug ins Pentagon stürzen ließen - mit einer
Geschwindigkeit von 850 Stundenkilometern. Die Boeing 757 durchschlug
drei Gebäuderinge und zog einen gewaltigen Riss durch den Stahlbeton,
eine Fläche von fünf Fußballfeldern wurde zerstört oder beschädig
t.
Dreieinhalb Tage dauerte der Kampf gegen die vom Kerosin befeuerten
Flammen, der Ruß an einer Außenwand und einem Türgriff wurde bis
heute bewusst belassen. «Mit der Attacke versuchten die Terroristen,
Angst zu schüren und zu spalten, stattdessen einte sich die Nation
wie nie zuvor», ist auf der schwarzen Tafel in einem Raum des
Gedenkens eingraviert. «Diese Terroristen-Bastarde brennen in der
Hölle», hat jemand in das Kondolenzbuch geschrieben.
In der angrenzenden Kapelle, der landesweit einzigen Kirche innerhalb
eines Regierungsgebäudes, umschließt die Aura des Religiösen auf
beklemmende Weise die Kraft und Macht der Vereinigten Staaten.
«Vereint im Gedenken - 11. September 2001», steht im bunt leuchtenden
Bleiglasfenster geschrieben. Darunter der Weißkopfseeadler vor dem
Sternenbanner und einem Ölzweig, den in der christlichen Symbolik
sonst weiße Tauben als Zeichen des Friedens im Schnabel tragen.
Das Fanal 9/11 zwang die Regierung, Terrorabwehr neu zu denken. «Die
Mission änderte sich für das gesamte Verteidigungsministerium über
Nacht», sagt Calvery. Plötzlich mussten Monumente, bekannte Denkmäler
und Symbole der USA wie die New Yorker Freiheitsstatue geschützt
werden. «Wer hätte gedacht, dass wir uns über ein Flugzeug sorgen
müssen, das ins Pentagon kracht? Niemand. Niemandem war bewusst, dass
das überhaupt im Bereich des Möglichen war.»
Und so wuchs der 1941 fertiggestellte Bau zur Festung heran. Schon am
Haupteingang liegt die Sorge vor Attacken bleiern in der Luft. Hinter
Straßenabsperrungen, Barrikaden und Kontrollposten ist ein Wachmann
an einer Stahlschutzwand postiert, die Maschinenpistole im Anschlag.
Wer ihm lang in die Augen sieht, sich vom Gehfluss der Angestellten
und Pendler löst oder gar stehenbleibt, macht sich verdächtig. Seit
hier im März 2010 John Patrick Bedell das Feuer eröffnete und zwei
Sicherheitskräfte verletzte, könnten plötzliche, ruckartige
Bewegungen für Besucher tödlich sein.
«Einige Menschen haben Angst, wegen 9/11 und so», sagt Latricia
Prioleau, die im Souvenirladen arbeitet. «Sie haben Angst wegen der
Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind.» Ihren Job macht die
32-jährige trotzdem gern. «Pentagon. Schützt dieses Haus», steht au
f
dem Kapuzenpullover, als die Afroamerikanerin ihre geflochtenen Zöpfe
zur Seite zieht. In ihrem Geschäft verkauft sie kleine Armee-Helme,
Tassen und Krawatten mit Pentagon-Logo und passende Baby-Lätzchen.
Schuster Carlos Rojas, der eben einen Lederschuh aufgespannt hat, ist
stolz auf seinen besondern Arbeitsplatz. «Einigen sage ich, dass ich
im wichtigsten Gebäude der Welt arbeite. Und dann sagen sie «Wow! Das
glaube ich Dir nicht.» Dann zeige ich ihnen meinen Ausweis», sagt der
Bolivianer und hält die Plastikkarte mit seinem Foto in die Höhe. Auf
dem Boden, in Regalen und auf der Werkbank stapeln sich Herrenschuhe,
kaputte Pumps neben Militärstiefeln.
Und überall: German, German, German. Kaum ein Angestellter, der nicht
von Bekannten, Verwandten, einem Besuch oder einer Stationierung in
Deutschland berichten kann. Von Kaiserslautern, Heidelberg, Nürnberg,
von Gießen und Bremerhaven. Sehr oft sind es gute Erinnerungen.
Im fünfeckigen Innenhof blühen Rosen, Spatzen hüpfen zwischen
Parkbänken und Picknicktischen. Die Brutalität des Krieges, die
gefallenen Soldaten, die toten Zivilisten in Afghanistan und
Pakistan, die Flüchtlinge aus Syrien: Sie sind hier sehr weit weg.
Grüne Overalls der Luftwaffe mischen sich mit khakifarbenen Uniformen
der Marine; Tarnfarben des Heeres mit zu großen Anzügen der
Zivilangestellten.
Doch die militärische Ruhmeshalle liegt nicht weit. Von den Welt- und
Golfkriegen erzählen Dauerausstellungen in den Korridoren, vom
Gemetzel in Vietnam, von Fliegerassen, die bei Jagdeinsätzen fünf
oder mehr feindliche Flugzeuge abschossen. Vom Fünf-Sterne-General
Dwight D. Eisenhower oder dem «vergessenen Sieg» in Korea. Dem
B29-Bomber, mit dem Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen
wurden, ist hinter einer Vitrine ein Modell gewidmet.
«Ich werde die Mission immer an erste Stelle setzen», wird aus dem
«Krieger-Ethos» des Heeres zitiert. «Ich werde nie eine Niederlage
hinnehmen. Ich werde nie aufgeben. Ich werde nie einen gefallen
Kameraden zurücklassen.» Die Army sei für die ganze Familie da, hei
ßt
es. Daneben hängt das Foto einer jungen Frau, die zwischen einer
Ehrengarde einen Trauerkranz an einer Gedenkstätte ablegt.
Doch das patriotische Donnerwetter wäre nicht komplett ohne die
hauseigene Kunstsammlung, in der die militärische Übermacht USA mit
Öl auf Leinwand zum Friedensstifter verklärt wird. In goldener
Morgenröte blicken getarnte Kampfeinheiten dem Horizont entgegen,
durchschlagen Army Rangers in tiefer Nacht eine Hausmauer, landen die
Kampfdrohnen Predator und Reaper in einer Wüste des Nahen Ostens. Das
Ölgemälde eines Transportflugzeugs heißt «Engel auf meiner Schulter
».
Selbst Journalisten, die regelmäßig aus dem Pentagon berichten,
werden im «Correspondents Corridor» mit Plaketten geehrt. NBC-Mann
Jim Miklaszewski etwa, der hier seit 30 Jahren ein und aus geht, oder
CNN-Veteranin Barbara Starr oder Jamie McIntyre von Al Jazeera. In
der täglichen Propagandaschlacht wird die Presse direkt eingebettet
in den gewaltigen Apparat des Militärs.
Tief unten, hinter weiteren Codes, Stahl und Handy-Schließfächern,
wartet John Oneill. In seinem teppichgedämpften Einsatzzentrum voller
Bildschirme und Videowände laufen alle Fäden zusammen: Kameras,
Zugangs- und Alarmsysteme, der Status aller Fahrstühle und
Rolltreppen, der Polizeifunk und die Überwachung des Flugverkehrs,
Daten für Sprengstoff, biologische, chemische und nukleare Waffen.
«Wir haben Duschen, Pritschen und Räume zum Schlafen, Notfallrationen
zum Essen und Wasser», erklärt Oneill. Die Luftzufuhr zu dem 1500
Quadratmeter großen Raum lässt sich notfalls umkehren - für den Fall
eines Angriffs mit chemischen oder biologischen Kampfstoffen. Oneill:
«Damit unsere Leute keine Gasmasken benutzen müssen.»
Über 10 Meter flimmern drei Videowände durch den dunklen, niedrigen
Raum. Auf digitalen Grundrissen sind Brandschutztüren, Heiz- und
Klimaanlagen, Wasser- und Kühlsysteme für Serverräume angezeigt. Auf
einem der Bildschirme zoomt ein Mitarbeiter sich ins Gesicht eines
Mannes am Busbahnhof, der in sein Handy tippt. Der ahnt kaum, wie
groß sein Antlitz in Farbe auf einer Wand im Pentagonkeller zu sehen
ist. Die Auflösung ist erstklassig.
Stummgeschaltet diskutieren daneben TV-Moderatoren über die
Nachrichten des Tages. «Wir bekommen viele Informationen durch die
Geheimdienste, aber manchmal sind CNN, Fox oder die lokalen Medien
die ersten», sagt der Direktor. Eine Wetterkarte simuliert, wie weit
und wohin der Wind Stoffe von Massenvernichtungswaffen im Fall einer
Attacke tragen würde. All das wird überlagert von dicken, roten
Balken, in denen die Worte «Uncleared Person» blinken - nicht
autorisierte Person. Oneill blickt die Besucher an: «Das seid Ihr.»
Ob der verheerende Terroranschlag von 9/11 mit der heutigen Technik
hätte verhindern werden können? «Ja, absolut», sagt Oneill. «Di
e
Leute glaubten einfach nicht, dass es passieren könnte.» Neben ihm
hängt ein schwarzer Bildschirm, auf dem kleine, grüne Flugzeuge über
einer schematischen Landkarte der US-Hauptstadt ticken: Das
Kontrollsystem der Flugsicherheitsbehörde FAA. Deren Kopplung mit dem
Pentagon ist ein direktes Ergebnis der Terrorattacke von Al-Kaida.
«Wenn ein Flugzeug nicht mit dem Tower spricht, die Kommunikation
verloren hat, nicht die richtigen Codes übermittelt oder sich nicht
angekündigt hat, wechselt es von Grün zu Gelb», sagt Oneill - und
zwar sobald es einen der konzentrische Ringe auf der Karte überquert
hat. Der erste liegt in 30, der zweite in 15 Seemeilen Entfernung.
Nach diesem zweiten Ring wechselt die Farbe des Fliegers von Orange
zu Rot. Mittelpunkt der digitalen Zielscheibe: das Pentagon.
«Rund um die Uhr fliegen Helikopter über uns, sie sind die erste
Reaktion und sehen nach, was da los ist.» Verschlimmert sich die
Lage, startet die Luftwaffe. Erteilt der Präsident den Befehl,
schießen Kampfflugzeuge auch einen Passagierflieger ab. Die größte
Bedrohung aber, sagt Oneill, komme heute direkt aus dem Inneren des
Pentagon, von «einsamen Wölfen» und «aktiven Schützen».
Auf diese bereitet Jim Marx die Polizeibeamten vor. Flink tänzelt er
im hauseigenen Sportzentrum vor Dummy «Bob» auf und ab, peitscht der
Gummipuppe seitlich auf den Kopf, schlägt ihr Kinn nach oben. «Das
Wichtigste spielt sich im Kopf ab», sagt Marx, tippt sich an die
Stirn. Auf seinem T-Shirt: «Fit für den Dienst, fit fürs Leben.»
Während Kampfjets Terroristen in Syrien bombardieren, Tausende
Soldaten um die Sicherheit in Afghanistan und im Irak ringen, während
sie Kuwait und Südkorea bewachen, während weltweit 1,3 Millionen
US-Militärs an ihrer Karriere feilen oder sich nach ihren Familien
sehnen, verkauft Carol Bull gerade einen Strauß Blumen. Ihren Laden
muss sie bald schließen, bald soll ein anderer Blumenhändler
einziehen. «Ich kann nicht glauben, dass Du gehst», sagt eine Kundin
in Tarnuniform. Bull: «Es war nicht unsere Idee, wir wollten nicht
gehen.» Als die traurige Nachricht kam, brachten Mitarbeiter ihr
Kuchen. «Wir sind hier wirklich eine große Familie.»
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.