Grünenthal und die Contergan-Akten Von Elke Silberer, dpa

Unterlagen mit hochpersönlichen Daten von Opfern des
Contergan-Skandals lagerten über Jahre beim Hersteller des
Schlafmittels, das die Missbildungen verursacht hatte. Ein Skandal,
finden Betroffene.

Aachen (dpa) - Betroffene sprechen von einem Skandal: 161 Aktenordner
gefüllt mit hochpersönlichen Informationen von Contergan-Opfern haben
jahrelang im Archiv des Pharmaunternehmens Grünenthal gelegen - also
bei dem Unternehmen, das mit seinem Schlafmittel Missbildungen bei
Tausenden Kindern verursacht hat. Betroffene wie Andreas Meyer
stellen die Frage: Was hatten Unterlagen mit persönlichen Daten zu
seinen familiären Verhältnissen, zu seiner Versicherung oder zu
Details seiner Schädigung bei Grünenthal zu suchen? Mittlerweile sind
die Akten an die Conterganstiftung überführt. Die Stiftung hat jetzt
einiges aufzuarbeiten.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Verhältnisse in der
Conterganstiftung in den 1970er Jahren: Die aufgetauchten Unterlagen
sind die Handakten von Herbert Wartensleben. Der war damals Leiter
der medizinischen Kommission und entschied maßgeblich mit, wer als
Conterganopfer anerkannt wurde und entsprechende Zahlungen bekam.

Gleichzeitig war Wartensleben auch Anwalt des Unternehmens
Grünenthal. Zu der Frage, wie die Akten bei Grünenthal landeten,
erklärte er der Deutschen Presse-Agentur: «Als ich 1981 bei
Grünenthal ausschied, hatte ich mit der damaligen Geschäftsleitung
vereinbart, dass meine gesamten Anwaltshandakten im Archiv der
Rechtsabteilung unter sicherer Verwahrung bleiben (...).»

Die heutige Vorsitzende der Contergan-Stiftung, Marlene Rupprecht,
will die Sachverhalte aufarbeiten. «Wir versuchen aufzuklären und
wollen nichts vertuschen», verspricht sie. Allerdings war die
Doppelfunktion von Wartensleben schon damals bekannt. Rupprecht geht
es jetzt auch darum, dass die Rolle der Conterganstiftung insgesamt
historisch aufgearbeitet wird. Erstes Geld steht dafür bereit.

Außerdem will die Stiftung auch andere Akten zurückholen, von
Gutachtern, Kommissionsmitgliedern und einem anderen Vorsitzenden.
«Das Bewusstsein ist bei vielen aus dieser Zeit nicht da, dass sie
fragen, in welcher Funktion haben sie die Akten angelegt», sagt
Marlene Rupprecht. Ein Gutachten der Bundesdatenschutzbeauftragten
soll klären, inwieweit die Stiftung ein Recht auf die Herausgabe der
Akten hat.

Allein die Sichtung und Auswertung der Unterlagen, die nun bei
Grünenthal entdeckt wurden, ist ein mühsames Geschäft. Sie könnte b
is
2017 dauern und verschlingt viel Geld: bis jetzt 300 000 Euro, wie
die Stiftung sagt. Die Unterlagen seien völlig ungeordnet und
unsystematisch. Deshalb weiß auch noch niemand, von wie vielen der
2700 in Deutschland lebenden Contergan-Opfer persönliche Daten in den
Aktenordnern liegen.

Bei Grünenthal sei man sich nicht bewusst gewesen, dass die Akten aus
der Zeit nach der Stiftungsgründung 1972 im Unternehmensarchiv waren,
teilte Sprecher Frank Schönrock mit. Erst auf eine Anfrage hin habe
man eine externe Kanzlei mit der Prüfung beauftragt und die
Unterlagen 2014 zügig und bereitwillig der Stiftung übergeben.

Die Akten seien jetzt da, wo sie nach Einschätzung der
nordrhein-westfälischen Datenschutzbeauftragten hingehörten, teilte
ein Sprecher der Behörde mit. Man sehe keine Anhaltspunkte für einen
Straftatbestand.

Rupprecht will in Zukunft verhindern, dass Mitglieder der Stiftung
gleichzeitig mit dem Contergan-Hersteller Grünenthal in Verbindung
stehen. Dazu hat sie in der Stiftung Leitlinien eingeführt. «Jeder,
der mit uns zu tun hat, muss eine Erklärung unterschreiben, dass er
mit Grünenthal keinerlei Geschäftsbeziehungen unterhält», sagte sie
.
Nicht jeder sei erfreut gewesen, aber unterschrieben hätten dann doch
alle.