«Das Menschliche fällt oft weg» - Pflegealltag im Krankenhaus Von Simon Ribnitzky, dpa

Immer mehr Patienten, immer weniger Pfleger: In vielen Krankenhäusern
ist der Pflegenotstand längst Alltag. Wenn eine Krankenschwester fast
20 Patienten versorgen muss, bleibt vieles auf der Strecke.

Nürnberg (dpa) - Leise summt der alte Mann vor sich hin. Sein
Krankenbett steht auf einem Flur des Klinikums Nürnberg, da haben ihn
die Krankenschwestern besser im Blick. «Sie sind gestern 90
geworden», begrüßt Renate Deinzer den Patienten und nimmt seine Hand.

Der alte Mann freut sich, auch wenn er die stellvertretende
Stationsleiterin der Onkologie nicht richtig versteht. «Ich komme
später noch einmal zu Ihnen» sagt Deinzer. Dann muss die 55-Jährige
weiter. Ob sie es heute wirklich noch einmal schafft, bei dem
Patienten vorbeizuschauen?

Nicole Hartmann hat am Elisabethenstift-Krankenhaus in Darmstadt mehr
als 20 Jahre als Pflegerin in der Psychiatrie gearbeitet. «Wir müssen
jeden Tag Patienten enttäuschen», sagt die 44-Jährige. Prioritäten

setzen, überlegen, was ich weglassen oder auf später verschieben
kann, so sehe der Alltag aus. «Als ich auf der Station angefangen
habe, hatten wir vier Pfleger für 20 Patienten. Heute ist da noch
einer, unterstützt von einer unqualifizierten Hilfskraft.»

Am Helios Klinikum im niedersächsischen Helmstedt wurden Fachbereiche
erweitert, mehr Personal gab es nicht. «Da bleibt Arbeit liegen, das
ist nicht mehr zu schaffen», sagt die stellvertretende
Betriebsratsvorsitzende Dagmar Lehmann. Hinzu kommen Überstunden,
weniger Freizeit, der Verzicht auf die Mittagspause.

In vielen Krankenhäusern fehlt an allen Ecken und Enden Personal. 162
000 Stellen sind es bundesweit, allein 70 000 davon in der Pflege,
hat die Gewerkschaft Verdi ausgerechnet. Während der Nacht muss eine
Fachkraft in deutschen Krankenhäusern nach Verdi-Angaben im Schnitt
fast 19 Patienten versorgen.

Krankenschwester Deinzer schiebt einen Pflegewagen über den Flur.
«Die Arbeit hat sich unglaublich verdichtet», sagt sie. Früher kam
der Patient montags zur Magenspiegelung, mittwochs zum Ultraschall.
«Heute machen wir das oft an einem Tag.» Vor allem aufmunternde
Gespräche kommen zu kurz, für Zuwendung fehlt die Zeit. «Der
menschliche Auftrag, der fällt oft weg.» Den schwitzenden Patienten
bei großer Hitze mal mit einer kühlenden Waschung erfrischen - keine
Zeit.

Eine andere Krankenschwester ergänzt: «Ich will nicht mehr Geld, wir
brauchen mehr Personal. Was nützt mir ein höheres Gehalt, wenn ich
trotzdem jeden Abend fix und fertig nach Hause komme?» Mehr als die
Hälfte der Pflegekräfte im Nürnberger Klinikum arbeitet in Teilzeit.

Viele wollen sich eine volle Stelle auch nach einer Auszeit für die
Familie nicht zumuten.

Die Krankenhausstrukturreform, die 2016 kommen soll, verspricht den
Kliniken in drei Jahren bis zu 660 Millionen Euro für zusätzliche
Pflegekräfte. Was sich nach viel Geld anhört, bedeutet für das
Nürnberger Klinikum auf jeder Station 0,1 Stellen mehr, etwa vier
Stunden Pflegezeit. «Das wird den Pflegenotstand nicht beseitigen»,
sagt Peter Schuh, Klinikleiter für Personal- und Patientenversorgung.

Hartmann beobachtet, dass immer mehr aus dem Pflegeberuf aussteigen.
«Die setzen sich lieber im Supermarkt an die Kasse, als weiter in der
Pflege zu arbeiten». Nachwuchsmangel ist deshalb ein großes Problem,
immer weniger Leute wollen den Job machen. «Wir können noch nicht
einmal alle bewilligten Stellen besetzen», erklärt Hartmann. Zum
Einsatz kommen deshalb häufig Leihkräfte. «Das ist qualitativ eine
Katastrophe, die kennen sich im Haus nicht aus.» Bei so wenig
Personal seien Gefahren für die Patienten nicht auszuschließen.

Das Klinikum Nürnberg kann noch alle Stellen besetzen, doch auch hier
spürt man den Rückgang der Bewerberzahlen. Zudem brechen viele ihre
Ausbildung nach der Probezeit ab. «30 Prozent steigen nach einem
halben Jahr aus», sagt Pflegedienstleiterin Hannelore Erb. Wie viele
andere Kliniken bemüht sich das Nürnberger Krankenhaus zunehmend um
Pflegekräfte aus dem Ausland. Das Problem: In vielen Ländern ist die
Pflegeausbildung ein Studium, die Praxis fehlt. «Die müssen wir an
die Hand nehmen, wie Schüler im zweiten Ausbildungsjahr», sagt Erb.

Renate Deinzer macht ihre Arbeit trotz aller Anstrengung immer noch
Spaß. «Wichtig ist, dass man auch mal was für sich tut.» An einer
Wand der Station hängt eine Tafel mit den Aufgaben des Tages. Ein
Feld ist mit «Heute wichtig» überschrieben. Darin steht: «Eiskaffee
».

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