Experten: Eine Depression ist vor nahen Angehörigen kaum zu verbergen Von Bernhard Sprengel, dpa

Mehrere Millionen Menschen leiden in Deutschland an Depressionen.
Nach außen hin wirken Kranke oft normal. Vor nahen Angehörungen lasse
sich die Erkrankung aber nur schwer verbergen, meinen Experten.

Berlin/Leipzig (dpa) - Was kann das Verhalten des
Germanwings-Copiloten erklären? Jetzt ist bekannt, dass der junge
Flieger seine Ausbilder schon vor Jahren über eine «depressive
Episode» informierte. Doch kann diese Diagnose eine Erklärung sein?
Schließlich ist kaum ein Krankheitsbild so vielschichtig.

Rund 10 000 Menschen nehmen sich pro Jahr in Deutschland das Leben,
in 150 000 Fällen gibt es einen Versuch. Nach Ansicht der Stiftung
Deutsche Depressionshilfe machen diese Zahlen deutlich, dass viele
Depressive keine optimale Behandlung erfahren. Dabei ist die
Erkrankung für nahe Angehörige kaum zu übersehen, wie
Psychiatrie-Professor Ulrich Hegerl sagt. Er ist Vorsitzender der
Stiftung und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
am Universitätsklinikum Leipzig.

Wer über mehr als 14 Tage in gedrückter Stimmung sowie freud- und
antriebslos ist, keinen Appetit hat, sich mit Schuldgefühlen im Bett
wälzt und daran denkt, sich etwas anzutun, gilt als depressiv. «Bei
Berufskollegen, wenn man nur oberflächlich kommuniziert - da kann es
durchaus hinter einer Fassade verborgen werden», meint Hegerl. «Aber
nahe Angehörige merken dann schon, dass der Mensch nicht so ist, wie
sie ihn kennen.»

Professionelle Hilfe sollte nach Ansicht der Psychotherapeutin Julia
Scharnhorst geholt werden, wenn die Betroffenen ihren Alltag nicht
mehr in den Griff bekommen, überhaupt nicht mehr aufzuheitern sind
und vor allem, wenn Selbsttötungsabsichten geäußert werden. «Laien

tun es oft ab», sagt Scharnhorst, man sollte so eine Äußerung aber
auf jeden Fall ernst nehmen.

Wie Betroffene mit ihrem Leiden umgehen, sei allerdings sehr
verschieden: Manche versuchten, sich selbst zu therapieren, viele
griffen dabei zum Alkohol. Es komme auch vor, dass Menschen sich
nichts anmerken ließen, erklärt die Leiterin der Sektion
Gesundheitspsychologie im Bundesverband Deutscher Psychologen.
Scharnhorst weiß von dem Fall einer 25-jährigen Frau, die heiraten
wollte und sich kurz vor der Hochzeit das Leben nahm. Sie habe bis
zuletzt gejoggt und gescherzt.

Behandeln lassen sich Depressionen mit Medikamenten und einer
Psychotherapie. Anders als vielfach angenommen, machten
Antidepressiva nicht abhängig, und wer sie einnehme, werde nicht
«high», betont die Deutsche Depressionshilfe. Während einer
Depression ist nach Ansicht vieler Wissenschaftler der Stoffwechsel
im Gehirn gestört. Antidepressiva beeinflussen die Botenstoffe
Serotonin und Noradrenalin. Von denen sind entweder zu wenige im
Gehirn vorhanden, oder die Übertragung funktioniert nicht richtig.
Bei einer leichten Depression helfen mitunter bereits Tageslicht und
sportliche Bewegung. Beides verbessert den Hormonhaushalt.

Bei einer akuten Suizidgefahr könne jedoch auch die Einweisung in
eine geschlossene Psychiatrie notwendig sein, sagt Scharnhorst. Eine
Garantie für die Verhinderung von Selbsttötungen gebe es trotzdem
nicht.

Suizidabsichten oder eine Depression kann man nach Ansicht von Hegerl
nicht im Vorhinein mit einem psychologischen Test erkennen. «Es gibt
keinen Depressionstest.» Ärzte, die einen Menschen untersuchten,
sollten aber so geschult sein, dass sie Anzeichen bemerken und
nachhaken könnten.

Ratlos macht die Experten ein sogenannter erweiterter Suizid - die
Fälle, in denen Lebensmüde etwa mit ihrem Auto in den Gegenverkehr
oder die eigene Familie töten. «Das kann man nicht nachvollziehen»,
sagt Scharnhorst.

Spielt Hass eine Rolle? «Es ist sehr schwer, sich in diese Menschen
mit ihrer Verzweiflung hineinzuversetzen», sagt auch Hegerl. «Ich
glaube eher, dass sie so auf das Negative eingeengt sind in ihrem
Erleben, dass sie fast ausblenden und gar nicht so richtig
wahrnehmen, was um sie herum vorgeht.» Das Motiv, andere Menschen mit
in den Tod zu reißen, passe absolut nicht zu Depressionen. «Das kann
man nicht übertragen auf die zwei bis drei Millionen depressiven
Kranken in Deutschland. Diese sind eher besonders verantwortungsvoll
und fürsorglich, und nichts liegt ihnen ferner als anderen zu
schaden.»

Eine Depression kann durch einen Schicksalsschlag wie den Verlust des
Arbeitsplatzes oder einen Trauerfall ausgelöst werden, aber auch
durch etwas grundsätzlich Erfreuliches, wie eine bestandene Prüfung
oder eine Beförderung. Sie sollte darum nicht mit einer akuten
Belastungsreaktion verwechselt werden. Wer zum Beispiel in tiefer
Trauer versinke, müsse nicht zugleich eine umfassende Sinn- und
Freudlosigkeit empfinden oder gar die Gefühle gegenüber den geliebten
Kindern verlieren. «Das wird leider oft vermengt», sagt Hegerl. «Wir

wollen auf keinen Fall das normale Auf und Ab des Lebens, das ja oft
auch sehr schmerzhaft ist, psychiatrisieren.»

Und: Experten warnen davor, psychisch Kranke zu stigmatisieren. So
sieht etwa Ulrich Krüger, Geschäftsführer der Aktion Psychisch Kranke

(APK), die öffentliche Diskussion der vergangenen Tage mit Sorge:
«Hier wird suggeriert, dass Menschen mit einem psychischen Leiden
automatisch mit einer Gefährdung verbunden sind.» Das könnte dazu
führen, dass Betroffene es nicht mehr wagten, über ihre Erkrankung zu
sprechen, sie sogar verheimlichten.

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