Lebensretter auf vier Pfoten - Pudel Rocket riecht Unterzuckerung Von Thomas Meyer und Christiane Gläser, dpa

Annegret Pross und ihr Pudel sind unzertrennlich. Und das müssen sie
auch sein, denn der Hund schützt ihr Leben. Sie hat Diabetes und
bemerkt eine Unterzuckerung manchmal zu spät. Der Pudel riecht die
Gefahr, bevor Frauchen ohnmächtig wird.

Margetshöchheim (dpa) - Der weiße Pudel Rocket mit den beigefarbenen
Ohren beobachtet sein Frauchen Annegret Pross während des
Spaziergangs intensiv. Auf einmal stellt er sich Pross in den Weg und
blickt sie an. Das ist für die Diabetikerin aus dem unterfränkischen
Margetshöchheim bei Würzburg ein wichtiger Warnhinweis: Ihr
Insulinspiegel könnte zu niedrig sein.

Sie lässt den Pudel deshalb vorsichtshalber an ihrem Unterarm riechen
und Rocket pfötelt deutlich. Er drückt mit seiner Pfote ihren Arm
fest nach unten. Damit ist klar, dass die 57-Jährige schnell etwas
gegen ihren Unterzucker tun muss, damit sie nicht ohnmächtig wird. Im
schlimmsten Fall kann sogar ein lebensgefährliches Koma drohen. Pudel
Rocket ist ein ausgebildeter Diabetiker-Warnhund. Er riecht die
Gefahr für sein Frauchen.

«Rocket schlägt bei einem Unterzucker-Wert von 70 Milligramm pro
Deziliter an. Dann wird er nervös. Bis 60 kann ich mir noch selbst
helfen», sagt die gelernte Krankenschwester, die mittlerweile
aufgrund ihrer Krankheit als schwerbehindert gilt und erwerbsunfähig
ist. Ein gesunder Mensch hat morgens einen Blutzuckerwert von 70 bis
100 mg/dl. Sie ist seit 1989 Diabetikerin Typ 1. Das heißt, ihre
Bauchspeicheldrüse produziert kein Insulin, deshalb ist Pross von
regelmäßigen Insulinspritzen abhängig.

Bevor der Pudel die Lizenz zum Lebenretten hatte, musste ihr Mann oft
den Notarzt alarmieren oder sie in die Notfallpraxis fahren. Fünfmal
musste sie bereits nachts eingeliefert werden, weil sie die
gefürchtete Unterzuckerung nicht rechtzeitig wahrnahm. «Mein Mann
merkt das erst, wenn ich krampfe wie ein Epileptiker, weil das Gehirn
nicht mehr genügend Zucker hat.»

Vor fünf Jahren fand die Diabetikerin bei der Tierpsychologin Maja
Wonisch aus dem baden-württembergischen Scheer endlich Hilfe. Sie
bildet in ihrem Hundezentrum am Bodensee speziell
Diabetiker-Warnhunde aus und war eine der ersten in Deutschland. «In
den USA werden schon seit Jahren solche Hunde ausgebildet. Hier setzt
sich der Diabetiker-Warnhund langsam durch», sagt Wonisch. 90 Hunde
hat sie bereits trainiert. Es gibt mehrere vergleichbare
Hundeschulen. Die Zuverlässigkeit der Tiere liege bei 97 Prozent.

Geeignet sind laut Wonisch, die sich seit 1996 mit der
Diabetiker-Warnhund-Ausbildung beschäftigt, fast alle Hunde. Sie
sollten keine Erbkrankheiten haben, ein ruhiges ausgeglichenes Wesen
besitzen, eine gute Nase und die absolute Fixierung auf Frauchen oder
Herrchen haben. Pudel Rocket brachte alle diese Eigenschaften mit.

Ein gutes halbes Jahr ging Pross mit ihm in die spezielle
Hundeschule. Dort wurde er auf den besonderen Geruch von Pross
trainiert, den sie ausströmt, wenn ihr Blutzuckerspiegel unter 70
Milligramm Prozent fällt. Dafür musste er Suchspiele mitmachen, das
Apportieren beherrschen und aus einem Riesenberg Wäsche genau das
Hemd mit Pross' Unterzucker-Duft herausfischen. Am Ende müssen Hund
und Halter eine Prüfung bestehen und bekommen ein Diplom. Rund 4000
Euro kostet die Ausbildung. «Wenn sie einen fertig ausgebildeten Hund
haben wollen, ohne mitzuarbeiten, kann das leicht bis zu 15 000 Euro
kosten», sagt Ausbilderin Wonisch.

Der Düsseldorfer Diabetologie-Chefarzt Stephan Martin ist dennoch
zurückhaltend. «Es gibt da derzeit einen ziemlichen Hype, aber keinen
zentralen Standard bei der Ausbildung der Hunde», sagt der Mediziner,
der Mitglied in der Deutschen Diabetes Gesellschaft ist. Wenn der
eigene Hund den Unterzucker erkennen könne, sei das eine schöne
Ergänzung. «Besser noch sind Hypoglykämie-Wahrnehmungstrainings, die

überall in Deutschland angeboten werden und evaluiert sind», so
Martin. Eine weitere Möglichkeit seien neu entwickelte Geräte, die
den Unterzucker kontinuierlich messen. Beides helfe den Betroffenen,
den Unterzucker selbst wieder besser zu bemerken.

Zuschüsse von der Krankenkasse gibt es bislang in den wenigsten
Fällen. Verstehen kann Pross das nicht. «Die Notarztkosten sind doch
wesentlich teurer als die Ausbildung für den Hund.» Eine Sprecherin
des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen erklärt:
Assistenzhunde als Hilfsmittel «müssen laut ständiger Rechtsprechung

die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben
beseitigen oder mildern». Es reiche also nicht, wenn mit dem Hund nur
Nachteile in ganz bestimmten Lebensbereichen ausgeglichen werden. Ein
Blindenhund wäre in diesem Sinne ein Hilfsmittel, das die
Krankenkasse übernimmt, ein Diabetiker-Warnhund nicht.

Hunde-Ausbilderin Wonisch rät dennoch, einen Antrag bei der
Krankenkasse einzureichen und sich dazu vom Arzt einen
Behinderten-Begleithund als Hilfsmittel verschreiben zu lassen. In
jedem Fall ließen sich die Kosten von der Steuer absetzen, viele
Gemeinden erlassen dem Assistenzhund die Hundesteuer.

Rocket trägt seit der Ausbildung immer ein Notfallgeschirr, das
Traubenzucker, Zucker-Messgerät, Spritze und Taschenlampe zur Ersten
Hilfe enthält. Diabetikerin Pross hat ihre investierten 4000 Euro
nicht bereut. Seit der Pudel über sie wacht, war nicht ein einziger
Notarzteinsatz mehr nötig. «Rocket ist mein Glück, meine Sicherheit
und mein Schutz. Ich kann endlich wieder ruhig schlafen.»

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