Mythos Bismarck - Ein schwieriges Erbe Von Andreas Hoenig, dpa
Reichseinigung, Sozialgesetze, Kulturkampf - das wissen viele noch
über Bismarck. Über die Jahrzehnte hinweg aber war sein Wirken
hochumstritten: «Eiserner Kanzler» oder «Dämon der Deutschen»?
Berlin (dpa) - Meterhoch steht Bismarck auf seinem Sockel, in Bronze
gegossen, in Sichtweite der Siegessäule in Berlin. Die rechte Hand
auf der Urkunde der Reichsgründung, die linke am Säbel. 1901 ist
dieses monumentale Denkmal entstanden, nur drei Jahre nach dem Tod
des Reichskanzlers. Es steht für seine damals fast kultische
Verehrung. Bismarck war ein Mythos - eine Schlüsselfigur deutscher
Geschichte, ein Staatsmann weltpolitischer Bedeutung. Am kommenden
Mittwoch jährt sich seine Geburt zum 200. Mal - was bedeutet er uns?
Schlachtschiffe und Heringe wurden nach ihm benannt, Schnäpse und
Mineralwasser. Niemandem seien mehr Denkmäler errichtet worden,
schreibt der Publizist Norbert F. Pötzl. Am Geburtstag selbst, dem 1.
April, ist in Berlin ein Festakt angesetzt: Im Deutschen Historischen
Museum Unter den Linden spricht Bundespräsident Joachim Gauck. Es
gibt neue Biografien, Ausstellungen, Vorträge - und eine
Sonderbriefmarke. Das ist Einiges für einen Mann, der in vergangenen
Jahrzehnten sehr kritisch gesehen wurde. Als «Dämon der Deutschen»
stufte ihn gar der Journalist und Historiker Johannes Wilms ein.
WER WAR BISMARCK ALSO?
Geboren wurde Otto von Bismarck am 1. April 1815 auf dem Gut
Schönhausen im heutigen Sachsen-Anhalt als Spross eines alten
Adelsgeschlechts. Er war ehrgeizig, erzkonservativ und hatte vor
allem ein Ziel: Preußens Macht zu sichern und zu mehren. «Als
Politiker schreckte er vor keinem Winkelzug zurück und verfolgte
seine Gegner mit abgrundtiefem Hass noch bis ins Grab», schreibt der
Historiker Christoph Nonn. Privat sei Bismarck «egozentrisch und
cholerisch» gewesen, er neigte zur Hypochondrie.
Nach einer diplomatischen Karriere unter anderem als preußischer
Gesandter in Sankt Petersburg und Paris schlug 1862 Bismarcks Stunde.
Inmitten einer schweren Krise der Monarchie ernannte der preußische
König und spätere deutsche Kaiser Wilhem I. Bismarck trotz Bedenken
zum Ministerpräsidenten.
Fast 30 Jahre lang sollte Bismarck die Geschicke der in Kleinstaaten
zersplitterten Nation lenken. Er schuf als kleindeutsche Lösung, also
ohne Österreich, mit «Eisen und Blut» den deutschen Nationalstaat -
nach Siegen in den Kriegen gegen Dänemark (1864), Österreich (1866)
und Frankreich (1870/71). Mit einem komplizierten Bündnissystem
sorgte er anschließend für ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa -
mit dem Hauptziel, Frankreich zu isolieren. Als «ehrlicher Makler»
verhinderte er 1878 auf dem Berliner Kongress einen neuen Krieg.
Innenpolitisch war Bismarck ein gnadenloser Gegner der
Arbeiterbewegung, das «Sozialistengesetz» von 1878 bedeutete de facto
ein Verbot der Sozialdemokratie. Im Kulturkampf kämpfte er gegen den
Einfluss der katholischen Kirche. Auf der anderen Seite schuf er eine
moderne Sozialgesetzgebung und führte Kranken-, Unfall- und
Rentenversicherung ein - als Teil seiner Doppelstrategie gegen die
Sozialdemokraten: Zuckerbrot und Peitsche.
Die für Bismarck bittere Entlassung durch den jungen Kaiser Wilhelm
II. 1890 kommentierte das britische Magazin «Punch» in einer
berühmten Karikatur mit den Worten: «Der Lotse geht von Bord.»
Am 30. Juli 1898 starb Bismarck, mit 83 Jahren. «Ein Schauern und ein
Zittern ergreift einen - auch wenn man nicht will», schrieb der
Theaterkritiker Alfred Kerr. «Ein Stück von Deutschland ist es, das
in die Fluten des Weltgeschehens für alle Ewigkeit versank.»
HELDENVEREHRUNG UND GÖTTERDÄMMERUNG - WIE WURDE ER GESEHEN?
Die Heldenverehrung Bismarcks sollte in weiten Teilen der Bevölkerung
andauern. Adolf Hitler stellte sich in eine Reihe mit Friedrich dem
Großen und Bismarck. Spätestens ab den 1970er Jahren aber setzte eine
Götterdämmerung ein. Bismarcks Wirken wurde nun teils äußerst
kritisch bewertet. Viele Historiker sahen ihn als Ahnherrn einer
preußischen und deutschen Kriegs- und Gewaltpolitik, die in letzter
Konsequenz zur Katastrophe geführt habe. Einen ausgewogenen Weg
wählte der Historiker Lothar Gall: Bismarck habe in einer Zeit des
grundlegenden Umbruchs gelebt, davon zeugten Kulturkampf und Kampf
gegen die Sozialdemokratie, aber auch die fortschrittliche
Sozialgesetzgebung - kein roter, «ein weißer Revolutionär».
Im Jubiläumsjahr werben vor allem jüngere Historiker für einen
nüchternen Blick. Bismarck vereine Widersprüchliches in sich, sagt
der Historiker Carsten Kretschmann von der Universität Stuttgart:
«Preuße und Reichsgründer, Christ und Kulturkämpfer, Landjunker und
Shakespeare-Verehrer.» Auch für den Passauer Historiker Hans-Christof
Kraus ist es an der Zeit, sich Bismarck gelassener zu nähern. Er sei
weder Übervater noch Dämon - ein «Mann mit Begabungen und Fehlern,
mit hoher Intelligenz und Charakterstärke, aber auch mit einer
Neigung zu kleinlicher Rachsucht».
WAS ALSO BLEIBT VON BISMARCK?
Von einem «widersprüchlichen Erbe» spricht der Historiker Heinrich
August Winkler. Außenpolitisch sorgte Bismarcks Bündnissystem zwar
für einen langen Frieden - allerdings nicht dauerhaft. Pötzl sagt:
«Es war ein höchst riskanter Ausgangspunkt für die Außenpolitik unt
er
seinen Nachfolgern, als das Kaiserreich nach Weltgeltung strebte.»
Innenpolitisch hinterließ Bismarck mit seiner «Revolution von oben»
ein zerissenes Land. Kraus nennt Bismarck einen «konservativen
Erneuerer», der Deutschland modernisiert habe - aber nur so lange,
wie bestehende Machtstrukturen nicht angetastet wurden. Zwar führte
Bismarck auf Reichsebene das allgemeine Wahlrecht für Männer ein.
Eine Parlamentarisierung des Regierungssystems aber folgte nicht -
eine schwere Vorbelastung der Weimarer Republik. «Es bedurfte der
Katastrophe der Jahre 1933 bis 1945, um die deutschen Vorbehalte
gegenüber der westlichen Demokratie, das fatalste Erbe der
Bismarck-Zeit, zu überwinden», sagt Winkler.
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