Am Küchentisch verwahrlost - Frau nach Tod von Mutter freigesprochen Von Elke Silberer, dpa
Die Mutter verwahrloste, wurde sterbenskrank - unter den Augen der
Familie. Doch die Tochter trifft strafrechtlich keine Schuld,
entschied der Richter. Ein Vorwurf bleibt allerdings.
Aachen (dpa) - Richter Arno Bormann brauchte für den Freispruch und
die Begründung keine drei Minuten: Die 54-jährige Angeklagte sei für
den Tod ihrer Mutter strafrechtlich nicht zur Verantwortung zu
ziehen. «Wie sie persönlich damit umgeht, ist ihre Sache», sagte er
am Mittwoch bei der Urteilsverkündung im Aachener Landgericht. Seit
2010 dürfte die 54-jährige Frau wohl keine ruhige Nacht mehr gehabt
haben, vermutete Bormann. 2010 war das Jahr, als die bei der
Angeklagten lebende 73-jährige Mutter plötzlich nicht mehr
ansprechbar war und ins Krankenhaus kam.
Es mussten erst Fremde hinschauen, um das entsetzliche Ausmaß der
körperlichen und gesundheitlichen Verwahrlosung zu sehen: die
Rettungssanitäter, die die großflächigen Geschwüre mit dem leichten
Verwesungsgeruch bemerkten; das empörte Klinikpersonal, das der Frau
die verlausten Haare abrasierte, weil sonst kein Mittel mehr half;
der Arzt, der davon ausging, dass die Frau länger unbeweglich auf
einer Stelle gelegen haben muss, um Druckstellen solchen Ausmaßes zu
bekommen.
Die Staatsanwaltschaft hatte der 54-Jährigen Misshandlung von
Schutzbefohlenen mit Todesfolge durch Unterlassen vorgeworfen. Die
Mutter sei bettlägerig gewesen und die Tochter habe sich mit ihrer
gefühllosen und gleichgültigen Art nicht um sie gekümmert - wie sonst
wären diese schockierenden Druckgeschwüre zu erklären?
Das Leben der 73-Jährigen spielte sich auf der Eckbank am Küchentisch
ab, schilderten Verwandte im Prozess: Kaffee und Zigaretten, das war
ihre Welt. Kaum mal raus, immer in der Wohnung. Abends mit der
Familie fernsehen, für die Familie alles ganz normal. Die Mutter
hatte seit Jahren Diabetes - aber um Gotteswillen nur ja keinen Arzt,
wie Verteidiger Björn Hühne in seinem Plädoyer zusammenfasste: Der
Ehemann der 73-Jährigen war vermutlich an einem Behandlungsfehler
gestorben und die Frau selbst hatte bei einer Brustkrebstherapie
schwere Verbrennungen erlitten. Darum hatte sie auch Pflegestufe 1.
Die Tochter sei mit der Situation hoffnungslos überfordert gewesen -
auch intellektuell, sagte Hühne: «Für sie war es schwierig zu
erkennen, was richtig und was falsch ist.» Die Mutter habe Kaffee und
Zigaretten gewollt, das habe sie von der Tochter bekommen. Erst als
die Mutter im Sommer 2010 kaum noch ansprechbar war, habe die Tochter
sie gegen ihren erklärten Willen ins Krankenhaus bringen lassen.
Die Bilder von den großen faulenden Druckstellen der Patientin hatten
Richter, Verteidiger und Sachverständige schockiert. Kann das
passieren, wenn jemand nicht dauernd im Bett liegt? Ja, sagte der
Rechtsmediziner Karl-Heinz Schiwy-Bochat: Die Organe waren
unzureichend durchblutet und damit bestand ein Risiko für
Druckgeschwüre. Die Frau hatte Herzmuskelschwäche, eine akute
chronische Lungenentzündung, eine Entzündung des Bauchfells,
Diabetes, was zu einem gedämpften Schmerzempfinden führte. «Das hatte
alles einen Anteil am Sterbegeschehen.»
Die Tochter hätte den Tod verhindern können, sagte Richter Bormann.
Viele Vorwürfe in der Anklage seien widerlegt, nicht aber der Vorwurf
der gefühllosen und gleichgütigen Gesinnung.
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