Extremläufer will für Krebskranke durch Eiswüste gehen Von Fabian Grabenberg und Thalia Engel , dpa

700 Kilometer durch Eis und Schnee. Zu Fuß in nur 13 Tagen. Knapp 30
Kilo Gepäck. Den «Yukon Arctic Ultra» nimmt sich Jörn Theissig nich
t
nur zum Spaß vor: Er macht aus dem Gewaltmarsch einen Spendenlauf,
der sich für Krebskranke stark macht.

Frankfurt/Main (dpa) - Mut, Willenskraft und Durchhaltevermögen sind
im Extremsport genauso gefragt wie im Kampf gegen Krebs. Davon ist
Jörn Theissig überzeugt. Der 43-jährige Kriminaloberrat aus Frankfurt

ist fest entschlossen, im Februar fast 700 Kilometer durch die
Eiswüste am Yukon in Kanada zu laufen. Sein Faible für Ausdauersport
in freier Wildbahn und Eiseskälte verbindet er mit einem guten Zweck.

Seine Teilnahme am «Yukon Arctic Ultra», laut Veranstalter der
kälteste und härteste Extrem-Marathon der Welt, hat er zu einem
Spendenlauf erklärt. Mit dem Verein «Projekt Schmetterling» macht
sich Theissig stark für die psychologische Betreuung von
Krebspatienten.

Regelmäßig zieht er ein selbst gebautes Gespann aus zwei alten
Autoreifen durch den Frankfurter Stadtwald. Mit der gut 25 Kilo
schweren Konstruktion simuliert er die Last seines Gepäckschlittens.
«Das ist gutes Mentaltraining, immer dann rauszugehen und seinen
inneren Schweinehund zu überwinden, wenn andere nicht rausgehen»,
sagt er im strömenden Regen. Schlechtes Wetter, widrige Bedingungen,
Eiseskälte, all das schreckt ihn offenkundig nicht ab.

Im Gegenteil: «Ich mag es eiskalt und nicht anders», erklärt der
BKA-Beamte. Manchmal strampelt er sich bei minus 20 Grad auf einem
Ergometer im alten Kühlhaus eines Lebensmittelhändlers in Frankfurt
warm. Dort simuliert er den Ernstfall und hält es bis zu sieben
Stunden aus. Er testet seine Ausrüstung, schlägt sein Zelt auf und
übt Handgriffe. Auch mit einem Mentaltrainer trifft er sich.

Auch ohne durchgetakteten Trainingsplan geht seine einjährige
Vorbereitung langsam in die «heiße» Phase. Theissig zählt schon die

Tage bis zum Start am 8. Februar 2015. Gegen Jahresende beginnt erst
einmal eine Schonzeit: An Weihnachten will er sich einen letzten
Galgenschmaus gönnen und vorsorglich ein paar Kilo zulegen.

1994 überquerte er in Skandinavien seinen ersten großen Gletscher.
Seitdem unternahm der Polizeibeamte etliche ein- bis zweiwöchige
Wintertouren durch subpolare Regionen, meist mit Laufpartner
Christoph Kurth an seiner Seite.

Das Projekt «Yukon Arctic Ultra» packte das Duo schon einmal an: 2013
machten sie sich auf den 430 Meilen weiten Weg von Whitehorse bis
Dawson City. Dort fallen die Temperaturen auf bis zu minus 50 Grad.

Minus zehn Grad seien damals einfach zu warm gewesen, erinnert sich
Theissig. Die Langlaufski versanken im zu weichen Schnee: «Da kamen
wir uns vor wie Hamster im Laufrad.» Am fünften Tag mussten sie sich
geschlagen geben. Trotzdem sammelten sie 45 000 Euro für Waisenkinder
in Kenia.

Diesmal will Theissig die Strapazen allein durchstehen: «Der Yukon
Arctic Ultra ist einfach kein Teamlauf», stellte Theissig 2013 fest.
Bei Minusgraden im zweistelligen Bereich könne man nicht einfach
stehen bleiben und warten.

Für die Königsdisziplin über knapp 700 Kilometer haben die Teilnehmer

maximal 13 Tage Zeit. Ob sie die Strecke mit Mountainbikes,
Langlaufski oder zu Fuß bewältigen, müssen sie vorher festlegen.
Theissig will in 14 bis 16 Stunden pro Tag rund 60 Kilometer zu Fuß
zurücklegen - davon acht Stunden durch absolute Dunkelheit.

«Der Arctic Ultra ist ein einsames Rennen», erläutert Sportmediziner

Alfred Witting, der selbst viele Extremläufe hinter sich hat. Die
psychische Belastung sei enorm, da die Läufer absolut autark seien.
«Gefährlich ist es allemal, aber die Jungs sind absolut trainiert.»
Trotz Live-Trackings per GPS könne Hilfe Hunderte Kilometer weit weg
sein. «Das Problem im Extremsport ist zu erkennen, wann er uns nicht
mehr gut tut», meint der Mediziner. Immerhin: Die Kälte sei «weniger

bedrohlich als Hitze, da man sich vor Kälte besser schützen kann».

Von der psychologischen Betreuung von Krebspatienten, die er mit
seinem Lauf unterstützt, hat Theissig erst erfahren, nachdem seine
Mutter 2006 an der Krankheit verstarb. Mit seinem Spendenlauf will er
auf das Thema Krebs und «auf die Möglichkeit und Notwendigkeit der
Psychoonkologie aufmerksam machen».

Im Mittelpunkt der «sprechenden Medizin» stehen Gespräche zwischen
Psychologen, Krebskranken und Angehörigen, wie Otmar Debald vom
Verein «Projekt Schmetterling» erklärt. Laut Studien sollen sie bei
der Bewältigung der Krankheit helfen und Heilungschancen erhöhen. Da
die Krankenkassen die Kosten oft nicht übernehmen, schließe der
Verein die Finanzierungslücke mit Spenden. Seit 2007 seien 700 000
Euro Spenden direkt in die Betreuung von 8000 Patienten geflossen.

Krebskranken Mut zu machen sei «ein enormer Ansporn», sagt Theissig.
«Ich begebe mich auf die extremste Wanderung meines Lebens»,
resümiert er. Angst habe er keine, aber Respekt.