Zirndorf und die Flüchtlinge - «Toleranz ausgeprägter» als anderswo Von Cathérine Simon, dpa

Wer Zirndorf hört, denkt an Playmobil und Flüchtlinge. Mit den
Spielsachen hat man hier wenig Probleme. Das Thema Asyl treibt die
Bewohner dagegen zunehmend um. Toleranz und Hilfsbereitschaft im Ort
sind groß - doch für manche ist auch langsam eine Grenze erreicht.

Zirndorf (dpa/lby) - In der schmucken kleinen Innenstadt von Zirndorf
ist sofort sichtbar, wofür die Kommune bekannt ist. Große
Playmobilfiguren stehen vor hübschen Fachwerkhäuschen. Und kleine
Grüppchen von Flüchtlingen laufen über den Marktplatz. Die etwa
25 000 Einwohner der Kreisstadt bei Nürnberg leben schon seit knapp
60 Jahren mit der Zentralen Aufnahmeeinrichtung (ZAE) für
Asylbewerber. Doch zurzeit ist die Stimmung gedrückter und
angespannter, wie Bürgermeister Thomas Zwingel (SPD) sagt. Die
katastrophalen Zustände in der völlig überfüllten Einrichtung «be
wegt
die Menschen». Er warnt jedoch, dass die Stimmung auch kippen könnte.

«Die Zirndorfer kennen die ZAE als Teil der Stadt», sagt Zwingel, der
seit acht Jahren Chef im Rathaus ist. «Daher ist die Toleranz der
Menschen auch ausgeprägter als dort, wo Flüchtlingsunterkünfte ganz
neu entstehen.» Bislang seien keinerlei rechte Ressentiments spürbar.
Der Bürgermeister warnt dennoch: «Man muss immer schauen, dass es
nicht kippt.» Die Toleranz der Menschen habe oft dort ihre Grenze, wo
sie persönlich betroffen seien. «Wenn die Asylbewerber etwa in
Turnhallen untergebracht werden sollten, weiß ich nicht, was
passieren würde.» Daher sei es umso wichtiger, dass schnell etwas
unternommen werde, um die Menschen sinnvoll unterzubringen.

Denn auch die Zelte in mehreren Kommunen seien keine Lösung. Zwingel
sieht sie als Schnellschüsse der Regierung aus Hilflosigkeit.
«Getriebene sind nie Gestaltende», sagt er. Die aktuelle Situation
sei eindeutig ein «Versäumnis der Politik». Schon vor 20 Jahren
hätten seine Kollegen und er - damals noch Sachbearbeiter für
Asylwesen - gefordert, dass in jedem Regierungsbezirk eine
Erstaufnahmestelle geschaffen wird. «Diese Problematik heute hätten
wir dann nicht gehabt.»

Auf dem Marktplatz fallen die Flüchtlinge zwischen den Einheimischen
kaum auf. Sie gehören zum Alltag. «Die Leute laufen hier oft mit
großen Augen rum», erzählt Gertraud Engel. Meist suchen sie dann
einen Arzt, die Apotheke oder den Bahnhof. «Die Stimmung gegenüber
den Flüchtlingen hat sich massiv geändert - zum Positiven», sagt die

75-Jährige. Das Elend von Kriegsflüchtlingen bewege die Menschen mehr
als wenn jemand komme, um Arbeit zu finden. «Ich habe auch noch nicht
erlebt, dass jemand etwas Negatives geredet hat.»

Es sei daher schade, dass Zirndorf wegen der Probleme in der ZAE oft
in ein schlechtes Licht gerückt werde, sagen Johannes und Corinna.
Das Pärchen Anfang 30 ist erst vor kurzem in die Stadt gezogen. Immer
wieder würden sie von Freunden auf das Thema angesprochen, sagen sie.
Viele in der Stadt engagierten sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge,
sagt Johannes, etwa beim gemeinsamen Fußballspielen.

Ganz so entspannt sieht Ursula Rauch das nicht. Sie besitzt den
kleinen Tabakladen am Marktplatz. «Das ist schon grenzwertig, was man
Zirndorf gerade zumutet», sagt sie. «Wie lange will die Politik da
noch zuschauen?» Ihrer Ansicht nach wurde die Stadt mit dem Problem
alleingelassen. «Für Zirndorf ist es jetzt genug», sagt sie.

Dabei bleiben die Flüchtlinge meist in der Nähe der ZAE und decken
sich in den nahen Supermärkten mit Lebensmitteln ein. Die Einrichtung
ist etwa einen Kilometer Fußmarsch von der Innenstadt entfernt.

Fast täglich in der ZAE ist Erwin Bartsch. Der Gemeindepädagoge der
evangelischen Kirche und seine Kollegen betreiben die Cafeteria und
einen Internetraum, sie veranstalten Deutschkurse und Aidsberatungen.
Hier ist für die Asylbewerber auch oft die einzige Möglichkeit, mit
ehrenamtlichen Dolmetschern über ihre Sorgen zu sprechen.

Denn die ZAE hat keine Übersetzer. Doch die Cafeteria musste zuletzt
geschlossen werden, um dort Matratzen unterzubringen. «Wir haben seit
drei Jahren eine ständige Überbelegung», sagt Bartsch, «aber als ic
h
neulich aus dem Urlaub zurückkam, habe ich es nicht mehr
wiedererkannt».

Auf dem für 650 Menschen gedachten Gelände waren plötzlich fast 2000.

«Es war sehr chaotisch», sagt Bartsch. Der 51-Jährige macht seinen
Job jetzt schon seit 26 Jahren. Und dennoch kann auch er nicht
verstehen, warum es in der ZAE keine einzige Person mit medizinischen
Kenntnissen gibt. «Außerhalb der Dienstzeiten muss man so jedes Mal
den Notarzt rufen.» Bei den Ärzten in der Stadt bildeten sich in den
Wartezimmern lange Schlangen. Auch hier sei die Sprache das
Hauptproblem, sagt Bartsch. Einige Mediziner weigerten sich, einen
Asylbewerber ohne Übersetzer zu behandeln. «Und manche Praxen
schaffen es von der Kapazität einfach nicht mehr.»

Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK

Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.

Jetzt der TK beitreten





Zur Startseite