Streit um neue Arznei - Kein hoher Preis trotz heilender Wirkung? Von Basil Wegener, dpa

In einem luftigen Saal in Berlin wird über Lebenschancen von
Schwerkranken und Millionenumsätze der Pharmaindustrie verhandelt.
Das Problem: Nicht alles, was neue Pillen den Patienten bringen, ist
klar zu beweisen.

Berlin (dpa) - Haarausfall, verändertes Blutbild, Depressionen,
Selbstmordgedanken - das können Nebenwirkungen gängiger Mittel gegen
das tückische, hochaggressive Hepatitis-C-Virus sein. Die
Pharmaforschung sucht deshalb seit langem einen Weg, auf den dafür
verantwortlichen Wirkstoff Interferon zu verzichten. Mit dem seit
Anfang des Jahres zugelassenen Wirkstoff Sofosbuvir gibt es diesen
Weg - doch um ein Haar hätte das höchste Gremium des deutschen
Gesundheitswesens eine Behandlung Schwerkranker mit dem neuen
Präparat per Beschluss erschwert. Was sind die Probleme im Ringen um
Millionenumsätze und die Lebenschancen der Patienten?

Im luftigen Sitzungssaal des Gemeinsamen Bundesausschusses im
Berliner Tiergarten sind die Positionen klar am Donnerstag
verteilt: Rechts vom durchsetzungsstarken, unparteiischen
Ausschusschef Josef Hecken pochen die Vertreter der Krankenkassen
darauf, dass die Chancen durch das neue Mittel Sofosbuvir nicht klar
bewiesen seien. «Insofern gibt es keine dramatischen Effekte», sagt
die Arzneiexpertin des Kassenverbands, Antje Haas.

Links von Ausschusschef Hecken sind bei den Ärzte- und
Klinikvertretern die Gegenpositionen versammelt. Bei Streit können
die Stimmen der unparteiischen Ausschuss-Chefs entscheiden - und
Hecken selbst macht deutlich, worauf es ihm ankommt: Angesichts der
Vielzahl von Nebenwirkungen der alten Medikamente mit zum Teil sehr
schwerwiegendem Charakter will er zugunsten des neuen Mittels
votieren.

So geschieht es: Je nach Virentyp und vorangegangener Therapien
stimmt der Ausschuss mit sieben zu sechs dafür, dem neuen Präparat
Sofosbuvir etwas mehr Zusatznutzen gegenüber den älteren Mitteln zu
bescheinigen als dies die Kassen ursprünglich wollten.

Über Jahrzehnte galt Deutschland als Paradies für die Pharmaindustrie
- die Firmen konnten die Preise frei festsetzen, die Umsätze waren
gewaltig. Nun kommt ein neues Mitteln auf den Markt, nach dem lange
gesucht wurde. Denn Hepatitis C kann Leberzirrhose und -krebs
auslösen. Nach Ansicht der pharmakritischen Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft verbessert Sofosbuvir die Heilungschancen
deutlich, die Dauer der Therapie sinkt zudem beträchtlich. Trotzdem
passiert das Präparat nur mit Mühe die offiziellen Prüfverfahren.
Sind die Daumenschrauben gegen die Pharmabranche heute zu fest
gezogen?

Michael Manns, Direktor der Klinik für Gastroenterologie der
Medizinischen Hochschule Hannover, ist einer der führenden Experten
seines Fachs. Er begrüßt die Entscheidung des Bundesausschusses. «Ich

finde schon, dass das Medikament einen quantifizierbaren Zusatznutzen
hat.» Das Kernproblem sei gewesen, dass dies schlichtweg nicht nach
bestem Standard bewiesen habe werden können. Denn dazu hätte man
Patienten gezielt mit den älteren Mitteln behandeln und die
Ergebnisse mit der Sofosbuvir-Therapie vergleichen müssen. «Wer als
Patient ist bereit, in eine Studie zu gehen mit der Gefahr, sich
einer einjährigen Tortur auszusetzen bei geringeren Erfolgschancen?»
Das sei eine ethische Frage.

Die Nervosität der Krankenkassen hat wohl auch finanzielle Gründe.
Für eine 24-wöchige Therapie mit dem neuen Mittel fallen heute Kosten
von rund 120 000 Euro an. Das Ausschuss-Votum ist nun Basis für
Verhandlungen der Kassen mit dem Hersteller über den künftigen
Erstattungspreis - nur was wirklich mehr bringt soll laut
Gesetz-Vorgabe auch mehr kosten. Es geht um bis zu 200 000 Patienten,
bei denen eine chronische Hepatitis-C-Infektion einen
fortgeschrittenen Verlauf genommen hat. Weitere neue Mittel sind
angekündigt - ähnliche Debatten stehen ins Haus.

In der Koalition ist man erleichtert. «Sofosbuvir ist ein enormer
Segen für sehr viele Hepatitis C-Infizierten», sagt
CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn. Hersteller und Kassen-Verband
dürften bei ihren Verhandlungen nicht zu hoch pokern. «Denn das
Medikament muss für deutsche Patienten verfügbar bleiben, der
Hersteller sollte aber auch beim Preis fair bleiben.»

Auschussschef Hecken sieht trotzdem den Gesetzgeber gefordert. Denn
ein teures, überzeugendes Mittel wie Sofosbuvir habe seine
Forschungskosten schon wieder hereingespielt bis die Verhandlungen
über den späteren Preis abgeschlossen seien. Etwas verklausuliert
fordert Hecken in der Sitzung im Berliner Tiergarten den Gesetzgeber
zur Überlegung auf, ob der ausgehandelte Preis in Zukunft nicht
rückwirkend gelten könnte. Der Pharmabranche dürfte das gar nicht
gefallen.

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