Dyskalkulie: Wenn Rechenschwäche den Alltag belastet Von Katrin Zeiß, dpa

Schätzungsweise vier Millionen Menschen in Deutschland kämpfen mit
Dyskalkulie, einer angeborenen Rechenstörung. Beeinträchtigt ist der
komplette Alltag - nicht nur in der Kindheit.

Erfurt/Berlin (dpa) - Zum Einkaufen zieht der Berliner Helge Pfeffer
immer mit dem Taschenrechner los. Ohne die elektronische Rechenhilfe
könnte er die Summe, die er bezahlen muss, nicht abschätzen. «Im Kopf

überschlagen, das funktioniert gar nicht», beschreibt der 22 Jahre
alte ausgebildete Fremdsprachensekretär sein Problem mit Zahlen und
Rechnen, das er seit seiner Kindheit hat. Pfeffer kämpft mit
Dyskalkulie, einer angeborenen Rechenstörung, die die Betroffenen ein
Leben lang begleitet.

In Deutschland ist das Phänomen gar nicht so selten. Der
Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) geht von vier
Millionen Betroffenen aus. Bis Sonntag tagt in Erfurt der
BVL-Bundeskongress, zu dem rund 800 Teilnehmer erwartet werden.

Wer eine Dyskalkulie hat, kommt mit einfachsten Rechenoperationen wie
Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren nicht klar.
Betroffenen gehe das Verständnis für die sich hinter Zahlen
verbergenden Mengen- oder Entfernungsangaben völlig ab, erläutert
Verbandsgeschäftsführerin Annette Höinghaus. «Das ist, wie wenn man

eine Fremdsprache nicht versteht.»

Im Alltag macht das zum Beispiel Schwierigkeiten, Fahrpläne zu
interpretieren, Kaufangebote zu checken oder den Kontostand
einzuschätzen. Beim Einkaufen behelfen sich Betroffene meist mit der
EC-Karte - um Problemen mit Wechselgeld zu entgehen. Auch die Uhrzeit
ist oft eine Hürde. Helge Pfeffer zum Beispiel kommt nur mit einer
klassischen Uhr mit Zeiger einigermaßen klar.

Hinweis auf eine Dyskalkulie kann es nach BVL-Angaben sein, wenn
Kinder auch Jahre nach dem Schuleintritt noch mit den Fingern zählen
und überdurchschnittlich lange über einfachen Aufgaben brüten. Bei
Helge Pfeffer wurden Eltern und Lehrer stutzig, weil er als
Zweitklässler Zahlen spiegelverkehrt schrieb. Ein Test beim
schulpsychologischen Dienst ergab die Diagnose Dyskalkulie. «Meine
Eltern haben sich bemüht, schnellstmöglich eine Lösung zu finden»,

erinnert sich der junge Mann. Sie hätten viel Geld in
Nachhilfeunterricht gesteckt. Doch das habe wenig gebracht. «Ich habe
das Gefühl, dass ich immer dem fahrenden Zug hinterhergelaufen bin.»

Bei Dyskalkulie helfe die einfache Wiederholung von Schulstoff nicht,
bestätigt Höinghaus. «Nötig ist eine gezielte Lerntherapie, die den

Kindern auf individuelle Weise einen Zugang zu Zahlen und Mengen
verschafft.» Die Suche nach geeigneten Therapeuten sei auf einem
immer unüberschaubarer werdenden Fördermarkt jedoch nicht einfach.
Ein Berufsbild «Dyskalkulie-Therapeut» gebe es nicht. Auch in der
pädagogischen Ausbildung finde Dyskalkulie kaum Berücksichtigung.
«Viele Lehrer denken, dass sich das Problem mit fleißigem Lernen
schon beheben lässt», hat auch Helge Pfeffer erlebt.

Für ihn waren schlechte Mathematiknoten Schulalltag, was er durchaus
als bedrohlich erlebte: «Dyskalkulie gefährdet den kompletten
Schulabschluss.» Mit großem Willen, Ehrgeiz und Fleiß hat er es
dennoch zur mittleren Reife und zum Berufsabschluss gebracht und im
vergangenen Jahr sogar sein Fachabitur bestanden. «Darauf bin ich
ziemlich stolz.»

Der BVL plädiert dafür, Kindern mit Dyskalkulie in der Schule einen
Nachteilsausgleich zu gewähren. Die Schüler sollten in
Klassenarbeiten zum Beispiel Anleitungen für Rechenoperationen
verwenden dürfen, so Höinghaus. «Ohne solche Hilfen werden die Kinder

für ihre Störung bestraft.» Sie wünscht sich auch, dass die
Mathematiknoten bei Dyskalkulie-Schülern einen geringeren Stellenwert
im Notendurchschnitt bekommen - oder die Schulen bei ihnen gänzlich
auf Mathematiknoten verzichten.

Helge Pfeffer hat nach langer Suche zwei Teilzeitjobs in einem
Fortbildungsinstitut und einem Cateringunternehmen gefunden - an
seiner Rechenstörung stößt sich hier niemand. «Für mich ist das e
in
Schritt auf dem Weg in die Vollbeschäftigung.»

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