Wenn Bedürftige den Arztbesuch scheuen - Ehrenamtliche helfen Von Jonas Mueller-Töwe, dpa

Obdachlose, Drogenabhängige, Unversicherte: In Nordrhein-Westfalen
behandeln Ärzte im Ruhestand und Medizin-Studenten ehrenamtlich
diejenigen, die den Gang in eine «normale» Praxis scheuen. Der
Schmerz ist da, doch auch die Scham.

Hagen/Witten (dpa) - Der hagere Mann mittleren Alters, mit weißem
Hemd, strubbeligen Haaren und orange-schwarzem «Palästinensertuch»,
spricht hektisch und doch etwas stockend, als er seine Symptome
schildert. Der Arztbesuch stresst ihn. Prof. Dr. Theo Scholten legt
die Stirn in Falten. «Durchfall trotz Methadon? Eigentlich kriegt man
davon ja eher Verstopfung», sagt er. Da muss ein Mittel her, «das
muss in den nächsten zwei, drei Tagen verschwinden». Die Pillen holt
er direkt aus einem Arzneischrank und drückt sie seinem Patienten in
die Hand.

Scholten, in Bluejeans und mit dickem grauen Schnäuzer, arbeitet
ehrenamtlich - hier in einem Waschsalon in der Hagener Innenstadt in
Nordrhein-Westfalen. Es kommen Leute, die sich nicht zu einem
«normalen» Hausarzt trauen: Drogenabhängige, psychisch Kranke,
Unversicherte, Geringverdiener, Obdachlose. Bundesweit sollen laut
Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW)
etwa 284 000 Menschen ohne festen Wohnsitz sein, Tendenz steigend. 50
bis 70 Projekte kümmern sich um ihre medizinische Versorgung.

«Die Leute fühlen sich in normalen Praxen häufig zurückgesetzt -

auch wenn dem gar nicht so ist. Das Schamgefühl ist einfach zu groß»,

sagt Scholten. Mindestens 137 000 Menschen sind nach Angaben der
Deutschen Stiftung Patientenschutz ohne Krankenversicherung. Der
Versicherungsschutz sei allerdings häufig nicht einmal das Problem,
etwa 80 Prozent der Wohnungslosen sind laut BAGW krankenversichert -
viele könnten sich schlicht die Medikamentenzuzahlung nicht leisten.

Vor 15 Jahren schaffte die evangelische Luthergemeinde in Hagen
eine Waschmaschine und Duschen für Bedürftige an - heute ist im
Gebäude der Diakonie ein komplettes soziales Dienstleistungszentrum
entstanden: Frühstück, Waschmöglichkeiten, Kleiderkammer, Friseur,
Fußpfleger, Sozialarbeiter - und eben das medizinische Angebot, das
Ärzte im Ruhestand gemeinsam mit Studenten der Universität
Witten-Herdecke zur Verfügung stellen.

Scholten war bis 2009 Leiter des Lehrstuhls Innere Medizin sowie
Chefarzt der Inneren Medizin im Hagener Krankenhaus. Seit zwei Jahren
ist die Arbeit in Luthers Waschsalon für die Studenten ein
Wahlpflichtmodul. Nicht nur für die Humanmediziner. Noch länger sind
die Zahnmediziner dabei.

Im Raum nebenan beugt sich die 22-jährige Luise Weber über den
weit geöffneten Mund einer Patientin. Gemeinsam mit ihrer 24 Jahre
alten Kommilitonin Johanna Lafontaine begutachtet sie den kariösen
Zahn. Die blonden Haare zurückgesteckt, mit Mundschutz, Schutzbrillen
und Handschuhen sind die angehenden Zahnärztinnen konzentriert bei
der Arbeit. Der Karies muss mit einem Bohrer herausgeschält werden,
der Nerv muss intakt bleiben, dann kommt die Kunststofffüllung.

Ein waches Auge wirft Dr. Hans Ritzenhoff auf ihr Vorgehen. Fast
40 Jahre leitete er eine Zahnarztpraxis im nordrhein-westfälischen
Solingen. Hier gibt er sein Wissen an die Studenten weiter. «Keine
Instrumente über die Augen führen - falls die mal im falschen Moment
herunterfallen...», wirft er ein.

Die Patientin, eine Frau mit schwarzen, lockigen Haaren, spricht
kein Deutsch. Immer mehr Menschen aus Bulgarien und Rumänien seien in
den vergangenen Monaten in Luthers Waschsalon, mit sehr rudimentären
Englischkenntnissen, einige könnten etwas Spanisch. Die Studentinnen
stellen sich auf ihre Patienten ein. «Wir müssen in einer Sitzung
möglichst viel schaffen. Manche kommen einfach nicht zu einem
Folgetermin», sagt Weber. Die häufigsten Beschwerden sind Karies und
beginnende Parodontose. Bei den Humanmedizinern bestimmen Infektionen
der oberen Atemwege, chronische Schmerzen, Hautkrankheiten und offene
Wunden den Behandlungsalltag.

Scholten sagt: «Ziel wäre es eigentlich auch, die Leute wieder an
normale Praxen heranzuführen. Das funktioniert bislang allerdings nur
bedingt.» In Luthers Waschsalon wird auch in Zukunft ehrenamtlich
behandelt - jeden Montag und jeden Donnerstag.

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