(Zusammenfassung 1715 - neu: mit Reaktionen von Südhof) Nobelpreis an Thomas Südhof - Grundlage vieler Krankheiten entdeckt (Foto - aktuell und Grafik 19962)
Ohne ein ausgefeiltes Transportsystem würde die Welt im Chaos
versinken. Auch jede Zelle hat Packstationen, Adressaufkleber und
Annahmestellen. Diese haben die diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger
erforscht. Bedeutend ist das System auch für die Nervenbahnen.
Stockholm (dpa) - Für die Aufklärung der blitzschnellen
Nervensignale erhält der gebürtige Deutsche Thomas Südhof (57) in
diesem Jahr den Medizin-Nobelpreis. Der Neurochemiker teilt sich die
Auszeichnung mit den US-Forschern James Rothman (62) und Randy
Schekman (64). Die drei Wissenschaftler haben weitgehend unabhängig
voneinander wesentliche Transportmechanismen in Zellen entdeckt,
deren Defekte Grundlage von Diabetes, Tetanus, degenerativen
Nervenleiden und vielen anderen Krankheiten sind. Das teilte das
Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Die höchste
Auszeichnung für Mediziner ist mit insgesamt umgerechnet 920 000 Euro
(8 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert.
Innerhalb von Zellen werden Stoffe oft in winzigen Bläschen, den
Vesikeln, verpackt und weitergeleitet. «Ohne diese wunderbar präzise
Organisation würde die Zelle im Chaos versinken», schreibt das
Nobel-Komitee. «Ein defekter Transport von Vesikeln kommt in einer
Reihe von Krankheiten wie vielen neurologischen und Immunstörungen
und Diabetes vor», erläuterte die Vorsitzende des Komitees, Juleen
Zierath. Auch für das Hormonsystem sei der Transport wichtig.
Komitee-Mitglied Göran Hansson ergänzt: «Sie (die Entdeckung) hat
bislang nicht zu Medikamenten geführt, aber zu Diagnosen.»
Für den 1955 in Göttingen geborenen Südhof ist der
Medizin-Nobelpreis «von enormer Bedeutung». Sie sei aber nicht nur
eine Anerkennung seiner eigenen Arbeit. «Er ist auch eine Würdigung
der Arbeit vieler Leute, die mit mir zusammengearbeitet haben», sagte
Südhof in Baeza in Südspanien, wo er an einer Fachkonferenz teilnahm.
Südhof wuchs in Göttingen und Hannover auf und machte an der
Waldorfschule in der Landeshauptstadt 1975 sein Abitur. Er studierte
in Aachen und in Göttingen, wo er 1982 seine Doktorarbeit abschloss.
Daraufhin ging er zunächst an die Universität von Texas. Seit 2008
arbeitet er an der Stanford Universität. Ungeachtet seiner langen
US-Karriere blieb Südhof nach Meinung von Kollegen «in vieler
Hinsicht typisch deutsch».
«Wenn wir denken, werden Substanzen von einem Neuron zu einem
anderen freigesetzt», erklärte Komitee-Mitglied Jan Andersson.
«Südhof hat herausgefunden, wie das Freisetzen kontrolliert wird.
Also wie man seine Gedanken und Bewegungen kontrollieren kann.»
Das geht so: Elektrische Signale lassen Kalzium-Ionen in die
Zelle. Diese treiben dann Vesikel in einer Nervenzelle dazu,
Botenstoffe nach außen zu entlassen. So können Signale in
Sekundenbruchteilen von einer zur anderen Nervenzelle gelangen.
Südhof sei «eine sehr starke und fordernde Persönlichkeit, sehr
ehrlich und offen», aber auch in seiner Kritik immer konstruktiv,
erläuterte sein ehemaliger Mitarbeiter Nils Brose, der Direktor am
Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen ist. Er
nannte Südhof einen «sehr guten Mentor und kollegialen Unterstützer,
der seinen Mitarbeitern gegenüber sehr großzügig ist».
Der Amerikaner Schekman hatte erst am vergangen Donnerstag die
Otto-Warburg-Medaille in Frankfurt/Main erhalten - für
Forschungsergebnisse zu Transport-Prozessen in Zellen. «Ich war
gerade aus Deutschland zurückgekommen und hatte meiner Frau stolz die
Warburg-Medaille gezeigt, die ich gerade in Frankfurt bekommen
hatte», sagte Schekman. Er forscht derzeit an der Yale Universität in
New Haven. Nach kurzem Schlaf und dem Nobel-Anruf um 01.30 Uhr
Ortszeit habe er erst einmal seine Gedanken ordnen müssen. Stärker
als die Freude sei die Überraschung gewesen: «Mein erster Gedanke
war: "Mein Gott!" Und das war auch mein zweiter Gedanke.»
Schekman entdeckte zunächst in Hefezellen Gene, die für das
Transportsystem in Zellen wichtig sind. Rothman fand in
Säugetierzellen Proteine auf den Vesikeln, die wie zwei Seiten eines
Reißverschlusses genau zu spezifischen Proteinen der Zellmembran
passen. Treffen beide zusammen, dann öffnet sich das Bläschen und
entlässt seine Fracht.
«Das ist eine hervorragende Wahl», sagte Prof. Franz-Ulrich Hartl,
Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried mit
Blick auf die Preisträger. «Im Moment gibt es noch keine konkreten
therapeutischen Ansätze, aber die Chance ist ganz erheblich, dass das
passieren wird.»
Nützlich seien die Forschungen bereits etwa bei schweren
Immunkrankheiten von Kindern, erläuterte Nobel-Komitee-Mitglied Jan
Andersson. Weil entscheidende Gene identifiziert seien, könne man
innerhalb weniger Tage feststellen, wo genau diese Funktionsstörung
liege und in das Immunsystem eingreifen.
An diesem Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und
des Chemie-Nobelpreises benannt. Die feierliche Überreichung findet
traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters
Alfred Nobel.
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