Berliner Klinik hilft Frauen mit Genitalverstümmelung Von Andrea Barthélémy, dpa

Tausende Mädchen täglich werden bei einer sogenannten rituellen
Beschneidung verstümmelt - ein traumatisches Erlebnis, an dem
Überlebende ihr Leben lang leiden. Eine Klinik in Berlin bietet
ganzheitlich Hilfe.

Berlin (dpa) - Bestsellerautorin und Ex-Model Waris Dirie
(«Wüstenblume») ist das wohl bekannteste Opfer der
Genitalverstümmelung: Die Nomadentochter aus Somalia wurde als
Mädchen beschnitten. Das Trauma verarbeitete sie nicht nur in dem
Roman, sondern auch durch ihren Einsatz im Kampf gegen
Genitalverstümmelung bei Frauen. Am Mittwoch wollte Dirie in Berlin
als Schirmherrin bei der Eröffnung des «Desert Flower Centers» am
Krankenhaus Waldfriede dabei sein. Es ist die erste Klinik
europaweit, die betroffenen Frauen eine chirurgische und
psychologische Rundumbetreuung anbietet.

«Die erste Patientin wurde bereits versorgt, am Donnerstag stehen
drei weitere Eingriffe an», berichtete Chefarzt Roland Scherer,
Experte für Darm- und Beckenbodenchirurgie. «Für die Zukunft rechnen

wir mit 50 bis 100 Patientinnen pro Jahr.» Bezahlt werden die
Operationen von den Krankenkassen oder im Bedarfsfall - falls kein
Versicherungsschutz besteht - über eine Stiftung. Die
rekonstruierenden Eingriffe sind unterschiedlich aufwendig, denn die
Beschneidungen fallen unterschiedlich radikal aus - vom Abschneiden
der Klitoris über das zusätzliche Entfernen der Schamlippen bis hin
zum fast vollständigen Vernähen des Genitalbereichs.

Nach den meist mit Rasierklingen, Messern oder Glasscherben
durchgeführten Eingriffen komme es oft zu chronischen Entzündungen im
Genitalbereich, Inkontinenz und Fistelproblemen, weil Enddarm und
Scheide durchstoßen wurden, berichtet Scherer. Schmerzen und
Unfruchtbarkeit seien oft die Folge, aber auch erhöhte
Kindersterblichkeit, denn viele Babys blieben im durch Narben und
Nähte verengten Geburtskanal stecken.

Die WHO geht davon aus, dass derzeit weltweit rund 140 Millionen
Mädchen und Frauen verstümmelt leben, vor allem in Afrika. Etwa jede
Vierte stirbt an den direkten oder langfristigen Folgen des
Eingriffs. In Deutschland leben schätzungsweise 50 000 Opfer. Etwa
6000 afrikanische Mädchen sind von dem Eingriff - etwa während eines
Ferienaufenthalts in der Heimat - bedroht.

Katharina Kunze von der Menschenrechtsorganisation Terre des
Femmes wollte ebenfalls zur Eröffnung des Centers kommen. «Für
Frauen, die körperliche und psychische Probleme haben, ist das
absolut zu begrüßen.» Aber nicht jede betroffene Frau brauche eine
solche Operation. «Die meisten brauchen vor allem Verständnis für
ihre Lage. Ärzte, vor allem Gynäkologen, sollten besser informiert
sein und nicht verwundert reagieren. Viele Betroffene werden sozial
ausgegrenzt.»

Auch die Wahl-Berlinerin Hadja Kaba (57) hat das schmerzhafte
Ritual hinter sich: Im Alter von sieben Jahren wurde sie in Guinea
traditionell beschnitten - auf eigenen Wunsch. «Ich wollte dazu
gehören.» Heute ist die mehrfache Mutter und Gründerin des Vereins
Mama Afrika Vorkämpferin gegen die Genitalverstümmelung. «Das Thema
ist nach wie vor tabu. Es wird von Müttern an Töchter weitergegeben,
man spricht nicht laut darüber.»

Noch wichtiger als Operationsmöglichkeiten in Europa ist ihr
deshalb Aufklärung in Afrika. «Wir müssen dort reden, reden, reden.
»
Auf Initiative des Vereins solle in ihrer Heimatstadt Kankan ein
Kindergarten entstehen, sagt Kaba. «Ein erster Schritt für die
Bildung der Kinder und als Anlaufstelle für Eltern.» Auch regelmäßi
ge
Infoveranstaltungen gegen Mädchenbeschneidung solle es dort geben.