Zerrissen zwischen Kulturen - Spezielle Klinik für Migranten Von Christina Sticht, dpa
Migranten sind fast doppelt so häufig psychisch krank wie der
Bevölkerungsdurchschnitt. Sie bekommen nach Ansicht von Experten zu
wenig Hilfe angeboten. In Hannover gibt es eine spezielle Klinik.
Hannover (dpa) - «Wäre ich in meinem Dorf geblieben, hätte ich
nie Depressionen bekommen.» Davon ist Ayse überzeugt. 1992 kam sie
nach Hannover, ihre Eltern hatten die Ehe mit einem Deutschtürken
arrangiert. «Das Heimweh ist immer da», sagt die 40-Jährige, die
ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. Ihr Leben, ein einziger
Kampf: Sprachprobleme, nicht erfüllbare Ansprüche der Familie ihres
Mannes, nach der Scheidung die Einsamkeit der Alleinerziehenden.
Studien zufolge sind Migranten fast doppelt so häufig psychisch
krank wie die Durchschnittsbevölkerung. Wer schlecht Deutsch spricht,
wird oft nicht angemessen behandelt. «Wir brauchen Dolmetscher und
Integrationsbeauftragte in den Kliniken, um die Barrieren zu senken»,
sagt Prof. Wolfgang Maier von der Uniklinik Bonn. Doch die Forderung
der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde werde in Berlin ignoriert.
Eine bessere Behandlung kranker Migranten sei nicht nur aus
humanitären, sondern auch aus ökonomischen Gründen notwendig, betont
Maier. «Vielfach werden unzureichend behandelte psychische
Krankheiten chronisch und führen dann oft zur Erwerbsunfähigkeit.»
Bisher gebe es nur wenige Kliniken, die zum Beispiel Psychotherapie
in der Muttersprache anbieten.
Das private Klinikum Wahrendorff ist mit seiner Tagesklinik Linden
ein Vorreiter. Vor zwei Jahren wurde das Transkulturelle Zentrum in
Hannover eröffnet, mittlerweile gibt es 40 Plätze vor allem für
türkische und russische Patienten im Alter von Anfang 20 bis 65
Jahren. Auch Deutsche werden hier behandelt. Die Therapeuten und
Ärzte haben türkische oder russische Wurzeln.
«Über Probleme kann ich in meiner Muttersprache einfach besser
reden», sagt die Ärztin Özge Pekdogan, selbst Migrantin. Als sie fü
nf
Jahre alt war, kehrten ihre Eltern in die Türkei zurück, seit
drei Jahren wohnt die Medizinerin wieder in Deutschland. Nach ihrem
Eindruck müsste es weit mehr transkulturelle Angebote geben. In
Deutschland leben etwa 15,7 Millionen Menschen mit ausländischen
Wurzeln, das ist jeder fünfte Einwohner.
«Bei den türkischen Migranten der ersten Generation sind die
Frauen definitiv stärker belastet», beobachtet Psychologin Semra
Sgarra. Sie leiden unter Folgeproblemen von arrangierten Ehen.
Flüchtlingen macht der Verlust von Besitz, Beruf und Ansehen zu
schaffen, viele sind durch politische Verfolgung traumatisiert. Eine
Belastung gerade für Jüngere ist der Spagat zwischen zwei Kulturen.
«Da geht es um die Frage: Wer bin ich eigentlich?», sagt Sgarra.
In der Ergotherapie ist die einzige Frau mit Kopftuch die
Therapeutin. Sie leitet die Patienten beim Korbflechten, Malen und
Weihnachtsschmuck-Basteln an. Donnerstags wird nachmittags gemeinsam
gebacken. «Es ist wie eine große Familie hier», sagt eine 54-jährig
e
gebürtige Türkin, die nach dem Tod ihres Mannes depressiv wurde. Mit
ihrer Herkunft habe die Krankheit nichts zu tun, meint sie.
Mitpatientin Ayse dagegen sieht einen engen Zusammenhang: Trotz
ihres deutschen Passes werde sie in Deutschland als Ausländerin
abgestempelt, wegen ihres Aussehens und ihrer Sprachprobleme. «Und im
Urlaub in meinem Dorf in der Türkei bin ich dann auch nur die
Ausländerin.»
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