Mordfall Lena: Hilferufe verhallten ungehört Von Hans-Christian Wöste, dpa
Keiner hat auf die Alarmzeichen vor dem Mord an Lena reagiert: Eine
Selbstanzeige des Tatverdächtigen und Hilferufe seiner Eltern blieben
wohl ungehört. Der Chefarzt der Psychiatrie weist Mitverantwortung
zurück. Die Kinderhilfe übt scharfe Kritik.
Berlin/Emden (dpa) - Obwohl die pädophile Neigung des mutmaßlichen
Mörders von Lena bekannt war, hat niemand das spätere Verbrechen
verhindert. Der Chefarzt der Psychiatrie, in der der junge Mann vor
der Tat behandelt wurde, wies am Donnerstag eine Mitverantwortung
zurück. Er sieht eine «Lücke im System». Gegen vier Polizeibeamte
laufen interne Ermittlungen. Die Eltern des 18-Jährigen meldeten sich
bereits 2010 bei Jugendamt und Polizei, ohne nachhaltigen Erfolg. Die
Kinderhilfe prangerte Defizite an.
Der junge Mann hatte am vergangenen Wochenende zugegeben, die
elfjährige Lena am 24. März getötet zu haben. Zur Todesursache macht
die Polizei weiter keine Angaben «Das ist Täterwissen, deshalb äuße
rn
wir uns dazu nicht, auch nicht zu einer möglichen Tatwaffe», sagte
eine Polizeisprecherin Angelika Grüter. Das Nachrichtenmagazin
«Focus» berichtet, das Mädchen sei offenbar zuerst vergewaltigt und
dann erwürgt worden. Der Täter habe erst auf Lena eingestochen, als
sie bereits tot war.
Während seiner psychiatrischen Behandlung im vergangenen
September und November soll sich der damals 17 Jahre alte Jugendliche
unauffällig verhalten haben. «Es war kein Gewaltpotenzial zu
erkennen. Sonst hätten wir ihn nicht entlassen», sagte der leitende
Mediziner der Aschendorfer Kinder- und Jugendpsychiatrie, Filip Caby,
der «Neuen Osnabrücker Zeitung». «Wir machen uns keine Vorwürfe.
» Die
Therapie sei regulär beendet worden, sagte Caby. «Das Ziel war unter
anderem, dass eine Selbstanzeige erfolgt.»
Am 23. November, zeigte sich der junge Mann tatsächlich bei der
Emder Polizei selbst als Pädophiler an. Damit wollte er offenbar
einen Schlusspunkt setzen, doch dies gelang ihm nicht: Einen Tag
später entkam eine Joggerin knapp einer Vergewaltigung in den Emder
Wallanlagen. Auch diese Tat wird dem 18-Jährigen zugeordnet.
Warum ist es nicht zu einer empfohlenen, weiteren Therapie
gekommen? Nach Angaben von Caby war sein Haus als Einrichtung für
Kinder und Jugendliche nicht mehr zuständig: Der Patient aus Emden
sei inzwischen 18 Jahre alt gewesen - und für die Betreuung von
volljährigen Menschen gebe es eine «Lücke im System».
Massive Kritik kam vom Verein Deutsche Kinderhilfe: Es seien
nicht nur Ermittlungspannen, sondern auch erheblichen Defizite des
Jugendhilfesystems zu Tage getreten. Wenn sich Caby für unzuständig
erklärt habe, weil der Täter volljährig geworden sei, wäre weiterhi
n
das Jugendamt zuständig gewesen.«Die Frage ist, ob eine entsprechende
Meldung von der Psychiatrie an das Jugendamt ging und ob das
Jugendamt mit der Polizei Kontakt aufgenommen hat», sagte
Vorstandssprecher Rolf Stöckel nach Verbandsangaben.
Fragen muss sich nun der Landkreis Aurich stellen, in dem der
junge Mann vor seinem Umzug nach Emden gewohnt hatte. Offen ist, ob
das Kreisjugendamt ihn betreut hatte. Seine Mutter hatte ihn dort
laut Medienberichten gemeldet, weil er 2010 die siebenjährige
Freundin seiner Schwester entblößt und nackt fotografiert hatte. Auch
die Polizeiinspektion Aurich war seit September im Bilde, nachdem der
Stiefvater den 18-Jährigen dort wegen Kinderpornos auf seinem
Computer angezeigt hatte.
Jetzt untersuchen interne Ermittler der Polizeidirektion
Osnabrück, wie es zu der Pannenserie im Vorfeld des Verbrechens
kommen konnte. Gegen vier Beamte wird disziplinarrechtlich ermittelt,
gegen zwei von ihnen auch strafrechtlich. Der Verdacht:
Strafvereitelung im Amt.
Die Stadt Emden sucht unterdessen nach Wegen, um dem ursprünglich
und zu Unrecht Verdächtigten zu helfen. 75 Euro Entschädigung für
ihn hält der Berliner Anwaltverein für viel zu gering: Die dauerhafte
Rufschädigung und der entstandene seelische Schaden ließen sich so
nicht wiederherstellen. Aus Solidarität für den inzwischen
18-Jährigen hatten sich am Mittwochabend rund 200 Menschen vor dem
Emder Bahnhof versammelt.
# dpa-Notizblock
## Orte
- [Tatort](Parkhaus am Wasserturm, Emden)
- [Kinder- und Jugendpsychiatrie](Marienstraße 8, 26871 Aschendorf)
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