«Das geht mir nicht über die Hände» - Akzente bei Gebärdensprache

Hamburg (dpa) - «Das geht mir nicht über die Hände», sagt Prof.

Christian Rathmann von der Universität Hamburg in der Deutschen
Gebärdensprache. Der 41-Jährige ist Deutschlands einziger gehörloser

Professor, er leitet das Institut für Deutsche Gebärdensprache und
Kommunikation Gehörloser. An diesem Wochenende feiert es 25-jähriges
Jubiläum mit Vorträgen und Führungen. Beim Interview mit der
Nachrichtenagentur dpa übersetzen zwei Dolmetscherinnen aus der
deutschen Gebärdensprache in die Lautsprache und umgekehrt.

Wie viele Menschen in Deutschland verwenden die deutsche
Gebärdensprache (DGS)?

Rathmann: «Nach Schätzungen gibt es 80 000 gehörlose Menschen in
Deutschland. Doch auch schwerhörige Menschen,
Cochlea-Implantat-Träger, hörende Eltern von gehörlosen Kindern und
verschiedene Berufsgruppen nutzen die Deutsche Gebärdensprache.»

Stimmt es, dass es Dialekte gibt?

Rathmann: «Ja. Die Gebärde für "wie alt bist Du?" sieht in Bayern
beispielsweise anders aus als in Hamburg. Das führt aber nicht zu
schlimmen Missverständnissen.»

Wie viele Gebärdensprachen gibt es auf der Welt?

Rathmann: «Gebärdensprachforscher gehen von etwa 150 Sprachen
weltweit aus.»

Sie waren lange Jahre in den USA, und können die amerikanische
Gebärdensprache. Haben Sie einen deutschen Akzent?

Rathmann: «Durch meine Mimik werde ich erkannt, vielleicht auch durch
meine kulturelle Haltung. Wenn ich die Gebärde für "I am fine"
verwende, falle ich auf, die Amerikaner machen das ganz anders als
ich, das geht mir nicht über die Hände.»

Seit 2002 ist die Deutsche Gebärdensprache in Deutschland gesetzlich
anerkannt. Was hat das bewirkt?

Rathmann: «Die Gehörlosengemeinschaft hat eine Art Lizenz zur
Verwendung der Gebärdensprache schwarz auf weiß erhalten, und die
Sprache hat sich im öffentlichen Leben mehr verbreitet. Es gibt eine
gesetzliche Verpflichtung, gehörlosen Arbeitnehmern einen
Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung zu stellen, so dass diese im
beruflichen Alltag auch damit kommunizieren dürfen.»

Und wo hakt es noch?

Rathmann: «Es gibt einige Bereiche, wo es noch an Bewusstsein für
unsere Interessen mangelt. Die Verwendung von Gebärdensprache im
Bildungsbereich ist noch nicht zufriedenstellend, wir haben noch viel
zu wenig gebärdensprachlich qualifizierte Lehrer an Schulen mit
Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation. Beim Fernsehen ist die
Barrierefreiheit nicht optimal, und auch Telefonieren ist schwierig.
In Großbritannien oder den USA gibt es schon lange einen zentralen
Service. Da gibt es die Möglichkeit, über Videotelefonie einen
Gebärdensprachdolmetscher einzusetzen, um mit Hörenden telefonieren
zu können.»

Was halten Sie davon, gehörlose Kinder in Regelschulen mit hörenden
Kindern zu unterrichten, anstatt an Gehörlosenschulen?

Rathmann: «Das Konzept der Inklusion ist positiv zu betrachten. Aber
entscheidend ist: Wie kann man das wirklich umsetzen? Es sollten
beispielsweise mindestens zwei oder drei hörbehinderte Kinder pro
Klasse sein. Und es muss sichergestellt werden, dass die Kinder mit
der Lehrkraft und untereinander kommunizieren können, beispielsweise
mit einem Gebärdensprachdolmetscher.»

Sie arbeiten gerade an einem elektronischen Wörterbuch für die
Deutsche Gebärdensprache. Wie kann man sich das vorstellen?

Rathmann: «Wir haben drei Jahre lang Videos von 330 Gehörlosen aus
ganz Deutschland aufgezeichnet. Jede Gebärde wird in allen
Einzelheiten beschrieben, man kann sie unter anderem nach Parametern
wie Handform und Bewegung, aber auch nonmanuellen Merkmalen
einteilen. Bisher wurde das bei solchen Lexika so gemacht, dass man
nur von einem deutschen Wort ausgehen und nach einer Gebärde suchen
konnte. Wir wollen aber beide Suchrichtungen. Sie können also eine
Gebärde eingeben, und das deutsche Wort dazu erhalten. 2015 soll ein
Teil bereits im Internet veröffentlicht werden.»

# dpa-Notizblock

## Internet
- [Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation
Gehörloser](http://dpaq.de/UM9RX)
- [Informationen zum elektronischen Wörterbuch]
(http://dpaq.de/0UJX6) und (http://dpaq.de/wmxzP)

## Service
- Empfang «25 Jahre Institut für Deutsche Gebärdensprache»,
Anna-Siemsen-Hörsaal und Foyer des Pädagogischen Instituts,
Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg - 30. März 2012, 19.00 bis 21.30 Uhr
- «Orte von Gebärdensprachen - Forschung, Lehre und Bildung»,
Anna-Siemsen-Hörsaal und Foyer des Pädagogischen Instituts,
Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg] - Samstag, 31. März 2012, 10.00 bis
18.00 Uhr