Nicht faul, sondern krank: Experten helfen bei Aufschieberitis Von Marie Rövekamp, dpa
Jeder schiebt mal etwas auf. Doch manche Leute tun es krankhaft oft.
Früher sprach man von Bummelstudenten - heute von Prokrastination.
Psychologen geben Betroffenen Ratschläge. Und manchmal auch Murmeln.
Münster (dpa) - Verträumt sitzt Studentin Lara (Name geändert) in
Münster an ihrem Schreibtisch und schaut aus dem Fenster. Sie will an
diesem Nachmittag endlich mit ihrer Hausarbeit anfangen, die
eigentlich schon im letzten Semester fällig war. Kurz meldet sie sich
noch bei Facebook an, geht einkaufen und telefoniert mit ihrem
Freund. Irgendwann ist der Tag um und das Textdokument am Computer
immer noch leer. Morgen ist ja auch noch ein Tag. Früher wurde
verniedlichend von Bummelstudenten gesprochen. Heute schaut die
Fachwelt hin: Psychologen sprechen von Prokrastination, krankhaftem
Aufschiebeverhalten.
Es ist ein Problem, das die Betroffenen Karriere und Lebensglück
kosten kann. «Betroffene fühlen sich dem Aufschieben hilflos
ausgeliefert und bleiben hinter ihrem Leistungsniveau zurück»,
erläutert Psychologin Eva Frings. Sie arbeitet in der
Prokrastinationsambulanz der Universität Münster und hat mit ihren
Kollegen in sechs Jahren rund 500 Studenten betreut. Das ambulante
Angebot gilt in dieser Form als bundesweit einzigartig.
Die Forscher hören von Studenten Aussagen wie: «Ich bin absolut
bereit, loszuarbeiten und mein Körper bewegt sich nicht. Der
Zeigefinger klickt einfach auf die linke Maustaste und schiebt mich
zur nächsten WWW-Seite». Eine typische Risikogruppe gibt es nicht.
Allerdings sind die Betroffenen häufiger in Studiengängen wie
Geschichte oder Philosophie eingeschrieben, bei denen Studenten ihren
Uni-Alltag sehr stark selbst strukturieren müssen.
Die Einführung der strafferen Bachelor- und Masterstudiengänge
hätten die Zahlen aber nicht gesenkt, sagt Frings. «Oft spielen auch
Versagensängste und hohe Ansprüche an die eigene Person eine große
Rolle.» Viele Studenten erzählten, sie hätten in der Schule nie
richtig gelernt, zu lernen und könnten sich nur schlecht selbst
organisieren. Dieses Problem treibe neben Studenten häufig auch
Selbstständige und Freiberufler in die Prokrastination.
Aus verhaltenspsychologischer Sicht ist das Aufschieben
nachvollziehbar: Kurzfristig verschwinden unangenehme Gefühle wie
Stress und Widerwille, die Zeit kann für schönere Dinge genutzt
werden. «Langfristig jedoch gibt es viele nachteilige Folgen wie die
längere Studiendauer, schlechtere Noten oder den Abbruch des
Studiums», sagt die Psychologin Lena Beck aus Münster. Betroffene
Studenten seien häufiger unzufrieden, schliefen schlecht und hätten
ein erhöhtes Risiko, depressiv zu werden.
Spätestens an diesem Punkt suchten die Studenten nach einer
Behandlung. In Gruppen- und Einzeltherapie sollen sie lernen, ihre
Uni-Arbeit besser zu strukturieren und sich realistische Teilziele zu
setzen. «Als Daumenregel kann helfen, von dem, was man sich intuitiv
vornehmen würde, 50 Prozent abzuziehen», sagt Frings. Wichtig seien
auch Pausen und Belohnungen: «Man kann pro erfolgreicher Einheit eine
Murmel in ein Glas legen. Der Anblick motiviert». Bei 20 Murmeln sei
dann ein Kinobesuch drin. Ohne Gewissensbisse.
# dpa-Notizblock
## Internet
- [Ambulanz](http://dpaq.de/GmJKl)
## Orte
- [Prokrastinationsambulanz](Fliednerstraße 21, Münster)
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