Vor 60 Jahren startete der Chemieriese Hoechst neu Von Christian Ebner, dpa
Nach dem 2. Weltkrieg zerschlugen die Westmächte den tief ins
Nazi-Regime verstrickten Chemiekonzern IG Farben. Neben den
Schwestern Bayer und BASF strahlte die Hoechst AG in der Folge
besonders hell, bis sie vom eigenen Management zerschlagen wurde.
Frankfurt/Main (dpa) - «Turm und Brücke» - unter diesem Symbol
sind über Jahrzehnte Farbstoffe, Medikamente, Pflanzenschutzmittel,
Folien, Fasern, Kunststoffe und Chemikalien aller Art hergestellt
worden. Die 1863 im damals noch selbstständigen Höchst am Main
begründeten Farbwerke hatten bereits eine wechselvolle Geschichte
hinter sich, als sie im 7. Dezember 1951 die Chance zum Neustart
erhielten. 20 Jahre lang hatte das Unternehmen von 1925 bis 1945 zur
unseligen Interessengemeinschaft Farben gehört, die von den
Westalliierten als eine der wichtigsten Stützen des NS-Systems
angesehen wurde und die daher zerschlagen werden sollte.
Statt wie ursprünglich geplant eine Vielzahl von Kleinunternehmen
wurden 1951/1952 drei große IG Farben-Nachfolger Bayer, BASF und
Hoechst in die Selbstständigkeit entlassen. Sie sollten schnell ihre
Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt unter Beweis stellen. Die
Frankfurter hatten sich schon zuvor den Ruf der «Apotheke der Welt»
erarbeitet, doch die Vielzahl der Produkte stieg mit der Umstellung
auf den Chemie-Grundstoff Erdöl immer weiter.
Neben dem unter US-Lizenz hergestellten Penicillin und weiteren
Blockbuster-Medikamenten entwickelten die Hoechster unter dem
Vorstandschef Karl Winnacker erfolgreiche eigene Produkte. Sie wurden
unter ihren Markennamen berühmt - die Polyester-Faser Trevira, die
Kunstseide Perlon oder der Kunststoff Hostalen. Ärger brachte das
unter dem internen Kürzel RU 486 oder als «Pille danach»
bekanntgewordene Präparat «Mifegyne», mit dem sich Schwangerschaften
abbrechen ließen.
Der einstmals kleinste IG-Farben-Nachfolger entwickelte sich aus
eigener Kraft und über Zukäufe in Frankreich und den USA zum
Chemie-Riesen und zwischenzeitlich größten Pharmahersteller der Welt.
In der Spitze arbeiteten 170 000 Beschäftigte in den diversen
Hoechst-Sparten.
Schnell nach seinem Amtsantritt als Hoechst-Chef 1994 begann der
Volkswirt Jürgen Dormann damit, den über Jahrzehnte gewachsenen und
nur noch mäßig erfolgreichen Gemischtwarenladen in seine Einzelteile
zu zerlegen. Jede noch so kleine Einheit bis hinunter zur
Werksfeuerwehr musste auf eigene Rechnung Profit machen oder wurde im
Namen des damals noch kaum gekannten «Shareholder Value» gleich
verkauft. Unter dem Motto «Entrosten und Entfrosten» sollte ein
hochprofitabler Life-Sciences-Konzern mit den Sparten Pharma und
Agrar entstehen.
Als Anfang vom Ende erscheint im Rückblick der Störfall im Werk
Griesheim. Am Rosenmontag 1993 wurden annähernd zehn Tonnen eines
Chemikalien-Mixes freigesetzt, der sich als gelber Niederschlag in
den Frankfurter Stadtteilen Schwanheim und Goldstein auf der anderen
Seite des Mains niederlegte. Scharfe Attacken der rot-grünen
Regierungen von Frankfurt und Hessen, aber auch die ungeschickte
PR-Strategie des Konzerns machten den einfachen Bedienfehler zum
schwerwiegendsten Störfall in der Geschichte der Hoechst AG.
«Beim Namen Hoechst denken die Deutschen ohnehin nur an
Chemieunfälle», sagte Dormann. Tatsächlich schien kaum jemand in
Frankfurt dem zerschlagenen Weltkonzern eine Träne nachzuweinen.
«Es waren (fast) alle dafür», resümiert der frühere
Hoechst-Manager Karl-Gerhard Seifert. Er listet grimmig auf, wo die
früheren Unternehmensteile überall gelandet waren: Die Lacke bei
Dupont, PVC bei Advent International, die Behring- Impfstoffe bei
Novartis, die Anteile an der Bayerischen Wacker-Chemie zurück an die
Gründerfamilie oder die Schwarzkopf-Haarpflege an Henkel.
Nutznießer waren aus Seifert Sicht trotz steigender Kurse nicht
die Hoechst-Shareholder, sondern Equity-Fonds, die damals noch nicht
Heuschrecken hießen, und in manchen Fällen die frühere Konkurrenz.
Die Beerdigung von Hoechst fand im Juli 1999 statt bei der letzten
Hauptversammlung des DAX-Gründungsmitglieds. Gegen den erbitterten
Widerstand von Kleinaktionären drückten die großen Anteilseigner die
Fusion mit Rhone-Poulenc durch: Die Gemeinschaftsfirma hieß künftig
Aventis und hat ihren Hauptsitz in Straßburg.
Fünf Jahre später übernahm die wesentlich kleinere Sanofi die
Führung bei dem Pharmakonzern. Noch bis 2004 führte die Hoechst AG
als Zwischenholding ein Dasein als untote Hülle eines ehemaligen
Weltkonzerns.
Der Frankfurter Stadtteil Höchst ist dennoch ein der wichtigsten
Chemie-Standorte Europas geblieben. Sanofi-Aventis stellt hier immer
noch große Mengen Insulin für den Weltmarkt her. Rund 90 weitere
Firmen mit meist eindeutigen Hoechst-Genen sind in dem Industriepark
angesiedelt. Zuletzt kam sogar die einstmals ausgelagerte
Kunststoffproduzentin Ticona zurück, weil ihr altes Werk der neuen
Landebahn des nahen Flughafens im Wege stand. Die Firmen beschäftigen
zusammen rund 22 000 Menschen, etwa 4000 davon in Forschung und
Entwicklung, so dass auch die Zukunft gesichert scheint.
# dpa-Notizblock
## Internet
[Industriepark zur Hoechstgeschichte](http://dpaq.de/Gf16p)
[Sanofi-Aventis](http://dpaq.de/lBDyM)
[Artikel Seifert](http://dpaq.de/z5tOm)
## Orte
[Industriepark](50.091363,8.534989)
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