Modell Tunesien - Hoffen auf Jobs, Touristen und Wüstenstrom Von Basil Wegener, dpa
Zum Jahreswechsel bangte Deutschland mit den Tunesiern - bis sie es
schafften, Diktator Ben Ali in die Flucht zu schlagen. Wird Tunesien
zum nordafrikanischen Demokratiemodell? Der Weg ist steinig. Mehr
Touristen auch aus Deutschland könnten helfen.
Tunis (dpa) - Tunesien kann zum demokratischen Vorzeigestaat in
Nordafrika werden - oder es stolpert beim Übergang. Mehr als drei
Monate nach dem Sturz von Diktator Zine el Abidine Ben Ali arbeitet
das Land im Aufbruch fieberhaft auf die freie Wahl am 24. Juli hin.
Doch ob Tunesien zum Modell für den arabischen Raum wird, ist
ungewiss. Viele der jungen, gut ausgebildeten Tunesier sind ohne Job
- systematische Folterungen, Bespitzelung und Korruption noch nicht
voll aufgearbeitet. Der darbenden Tourismusbranche könnte auch eine
Rückkehr deutscher Urlauber an die als sicher geltenden
Mittelmeerstrände helfen.
Hupende Autos, kleinere Demonstrationen für bessere
Lebensbedingungen, gut gefüllte Teestuben, Cafés, Restaurants, Läden
und jede Menge junge Leute auf den Straßen - Tunis wirkt lebhafter
als Berlin und München zusammen im April nach der Jasmin-Revolution.
Doch Claudia Roth steht erstmal unverrichteter Dinge vor einer
Holztür in einem schmucklosen Haus. Dann springt die Tür auf. Der
tunesische Grünen-Chef Abdelkader Zitouni führt die deutsche
Grünen-Vorsitzende in ein staubiges kleines Büro mit vergilbten
Aktenordnern. Seiner Partei fehlt es sichtlich an Geld - nicht aber
am Elan.
«Es kann keine Demokratie geben, wenn es keinen
Wirtschaftsaufschwung gibt», sagt Zitouni. «Unter Ben Ali waren wir
eine kleine, unterdrückte Gruppe von 50 Leuten.» Jetzt wollen die auf
800 Mitglieder angewachsenen Grünen als eine von rund 70 Parteien bei
den unter Hochdruck vorbereiteten Wahlen antreten.
Es ist ein Urnengang unter erschwerten Bedingungen. Die wenigsten
der Parteien sind in der Bevölkerung tief verankert. Die Regeln
werden noch in einer überparteilichen Kommission ausgehandelt. Auf
den Listen müssen zur Hälfte Frauen stehen, so weit ist man schon,
auch dürfen keine Amtsträger der Ben-Ali-Partei RCD dabei sein. Im
Wahlkampf wollen sich die Verfechter einer Modernisierung gegen ein
Erstarken islamischer Kräfte stemmen.
Doch der Schritt zu einem erfolgreichen Tunesien ist mit
gelingenden Wahlen allein nicht getan. «Seit 1987 haben Ben Alis
Familie, sein Umfeld und normale Polizisten Korruption in Tunesien zu
einem richtigen System aufgebaut», sagt der Präsident des noch jungen
Anti-Korruptionsnetzwerks, Chamari Taoufik. Viele schuldig gewordene
Beamte seien noch im Dienst - die Taten noch nicht aufgearbeitet.
Ähnlich ist es mit den Heerscharen von Spitzeln unter Ben Ali. Und
die Anwältin und Aktivistin Radhia Nasraoui erhebt schwere Vorwürfe
gegen ungenannte Polizisten: «Überall im Land haben wir noch immer
Fälle von Leuten, die gefoltert werden.»
Viele in dem Elf-Millionen-Einwohner-Land sind ohne Job - bei
vielen Jungakademikern überwiegt Perspektivlosigkeit. Im
Landesinneren ist die Armut groß. Zugleich fliehen immer mehr Libyer
vor dem Krieg in ihrer Heimat über die Grenze. Allein an einem Tag
kamen jetzt 500 Familien mit Kindern über den Grenzübergang Dhahiba,
darunter viele Verletzte. Insgesamt waren 200 000 Menschen über die
libysche Grenze gekommen, darunter Gastarbeiter, die vielfach in
ihre afrikanischen Heimatländer geschickt wurden. Tunesiens
Übergangsregierung fordert Hilfe. «Alleine können wir den Ansturm
nicht bewältigen», sagt Gesundheitsministerin Habiba Zahi Ben
Romdhane. Die EU streitet derweil über rund 25 000 tunesische
Migranten, die sich in Europa ein leichteres Leben erhoffen.
Doch ist der Aufbruch an vielen Stellen spürbar. Fast jede
Elternversammlung an der Schule verwandelt sich in Kürze in eine
Grundsatzdebatte zur politischen Zukunft, erzählt ein Vater. Auch
großindustrielle Zukunftshoffnungen gibt es - etwa auf ein
gigantisches Desertec-Solarkraftwerk ähnlich wie es unter
marokkanischer Wüstensonne auch für die europäische Stromversorgung
geplant ist. «Bis Ende 2012 wollen wir es auf den Weg bringen», sagt
Koordinator René Buchler, der Ex-Siemens-Chef für Tunesien.
An den Traumstränden von Djerba, Sousse oder Monastir kommen erste
Urlauber zurück, doch es sind noch vergleichsweise wenige. Alleine
von Tunesiens Tourismus hängen rund 800 000 Stellen ab. Claudia Roth
- einem Hang zu Massentourismus sonst unverdächtig - ruft auch
Bundesbürger dazu auf, wieder verstärkt herzukommen: «Die, die Urlaub
machen wollen, sollten nach Tunesien kommen - das ist auch eine Form
von Unterstützung.»
# dpa-Notizblock
## Internet
- [Tunesiens Grüne](greentunisiajournal.blogspot.com)
- [Deutsch-Tunesische Industrie- und Handleskammer]
(www.ahktunis.org)
## Orte
- [Premierminister] (Place du Gouvernement, 1006 Tunis)
- [Deutsche Botschaft](Rue el Hamra 1, 1002 Tunis)
- [Grüne Tunesien](Rue Talleyrand 17, Tunis)
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