Geistig Behinderte im Alter - Herausforderung für Heime Von Doreen Fiedler, dpa

Deutschland altert. Auch die Gruppe geistig behinderter Senioren
wächst. Ihre Betreuung stellt vor ganz besondere Herausforderungen.

Magdeburg/Berlin (dpa) - Hildegard Borchers zeigt das großzügige
Bad in ihrer Wohngemeinschaft. An den Wänden laufen Haltegriffe
entlang, in der Dusche hängt ein breiter blauer Sitz für die
Bewohner. Hildegard Borchers ist 79 Jahre alt und geistig behindert.
Sie lebt im Paritätischen Regenbogenhaus in Magdeburg und ist einer
von immer mehr Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland, die
im Alter Betreuung brauchen.

   Dass die Zahlen steigen, liegt zum einen an der besseren
medizinischen Versorgung, der Ernährung und der Hygiene. «Aber auch
die Greultaten in Zeiten des Nationalsozialismus und die damit
verbundene systematische Tötung von Menschen mit Behinderungen haben
dazu beigetragen, dass erst jetzt eine relativ hohe Zahl von Menschen
mit Behinderungen das Rentenalter erreicht», schreibt das
Bundesministerium für Familie und Senioren. Zum ersten Mal nach den
Euthanasie-Programmen kommt eine ganze Generation behinderter
Menschen ins Rentenalter.

Wie viele alte geistig behinderte Männer und Frauen in Deutschland
leben, wird nicht erfasst. Aber weil die Zahl seit Jahren deutlich
steigt, forderte das Familienministerium bereits 2006 in seinem
Heimbericht, geeignete Wohnangebote für diese Menschen zu schaffen.
Pflegebäder, Handläufe, Aufzüge, rutschfeste Böden, Hebelifter und

rollstuhlgerechte Ausstattung für die immer älter werdenden Bewohner
der Heime sind mittlerweile Standard.

«Bei der Ausstattung sehe ich keinen Handlungsbedarf», sagt
Gerhard Ackermann, der das Behindertenwohnheim Regenbogenhaus leitet.
Zentral ist für ihn derzeit vor allem die Weiterbildung der
Mitarbeiter. «Wir müssen viele Fortbildungen machen zum Thema Demenz,
zu Sterbebegleitung und zum Umgang mit Menschen im höheren
Lebensalter.» Trotzdem reichen die Kräfte in seinem Haus manchmal
nicht aus für die 14 Bewohner, die älter sind als 60 Jahre. Dann holt
sich Ackermann externe Hilfe durch Pflegedienste. «Wir wollen es
unter allen Umständen ermöglichen, dass die Menschen hier ihre Augen
schließen», sagt Ackermann.

Das ist ganz im Sinne der Behindertenrechtskonvention der
Vereinten Nationen, nach der behinderte Menschen voll am
gesellschaftlichen Leben teilhaben und nicht ausgeschlossen werden
sollen. Spezielle Heime für ältere Menschen werden in Deutschland
wohl die Ausnahme bleiben. Die bestehenden Betreuungseinrichtungen
müssen sich also auf die Älteren einstellen und zum Beispiel ein
adäquates Freizeitprogramm organisieren.

In Magdeburger Regenbogenhaus gibt es Hocker-Gymnastik, Sitztanz,
Begegnungen mit Hunden und Klangmassage. «Viele Einrichtungen sind
allerdings noch gar nicht auf die alten Behinderten vorbereitet»,
sagt Matthias Konrad von Contec, einer Unternehmensberatung in der
Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Zwar hätten die meisten Häuser
schon immer Pflegeleistungen angeboten, doch nun steige der Bedarf
rasant.

Ein strukturiertes Tagesprogramm ist wichtig für die älteren
Behinderten, viele von ihnen haben zuvor in Behinderten-Werkstätten
gearbeitet. «Das war ihr Lebensmittelpunkt», sagt Achim Backendorf
vom Sozialverband VdK. Die Arbeit in der Werkstatt habe nicht nur für
einen klaren Tagesablauf gesorgt, sondern dort hätten sie auch die
meisten Sozialkontakte gehabt und Bestätigung erhalten. «Sie hatten
das Gefühl, gebraucht zu werden. Darum trifft gerade Menschen mit
Behinderung der Austritt aus dem Arbeitsleben besonders hart», sagt
Backendorf.

Das bestätigt die Heilerziehungspflegerin Martina Garz. «Diese
Menschen betrachten sich mehr als Arbeitslose denn als Rentner. Wenn
sie keine Aufgabe mehr haben, fühlen sie sich minderwertig und
nutzlos.» Die Behinderten im Haus Schmeilsdorf in Mainleus (Bayern),
die die 23-Jährige betreute, wurden nur am Morgen und am Abend einige
Stunden im Heim betreut. Tagsüber gingen sie in die Werkstätten,
wobei die verrenteten Behinderten oft alleine zurückblieben. «Sie
bekommen dann ein Telefon oder ein Handy, um anzurufen, wenn etwas
ist», sagt Garz.

Im Ruhestand verändern viele Menschen ihre Gewohnheiten - auch
Behinderte. Eine der beiden Rentnerinnen des Hauses Schmeilsdorf
wurde laut Garz in die Dorfgemeinschaft integriert und fand neue
Freundinnen. Die 79-jährige Hildegard Borchers begann, für alle in
ihrer Wohngemeinschaft zu kochen. «Das Essen, das hier kommt, ist
unter aller Kanone», beschwert sich die 79-Jährige. Nun bereitet sie
Kartoffelsalat und Buletten für ihre Mitbewohner zu, selbst den Tisch
deckt sie selbst. «Die Jungen helfen da nicht mit.»

# dpa-Notizblock

## Internet
- [Erster Bericht des Familienministeriums über die Situation der
Heime und die Betreuung, ab Seite 223]( http://dpaq.de/E5H8x)
- [Zusammenfassung des Heimberichts]( http://dpaq.de/2XlB6)

## Orte
- [Behindertenheim Regenbogenhaus](Weidenstraße 5, Magdeburg)
- [Familienministerium](Glinkastraße 24, Berlin)
- [Sozialverband VdK](Wurzerstraße 4a, Bonn)

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