Nervenaufreibende Pflege - Rösler will Angehörigen helfen Von Luisa Jacobs, dpa

Mit der Pflegereform 2011 will Philipp Rösler Millionen Betroffenen
das Leben erleichtern. An diesem Montag berät er mit
Verbandsvertretern über die schwierige Lage der Angehörigen. Viele
leiden unter enormen Anforderungen, wie ein Hausbesuch zeigt.

Berlin (dpa) - Sie sind in ständiger Alarmbereitschaft, sie
verhandeln mit Krankenkassen und Bezirksämtern, und meist kennen sie
sich besser aus als manche Krankenschwester. Angehörige, die ihre
Familienmitglieder selbst zuhause pflegen, haben mit vielen
Hindernissen zu kämpfen. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP)
will die pflegenden Angehörigen mit der geplanten Pflegereform
entlasten. An diesem Montag berät er mit Spitzenvertretern von
Pflege- und Sozialverbänden über mögliche Verbesserungen.

   Von den mehr als zwei Millionen Pflegebedürftigen werden zwische
n
der Hälfte und drei Viertel derzeit von ihren Angehörigen betreut -
auf eigene Initiative und ohne finanzielle Entschädigung. Eine dieser
Angehörigen ist Petra Voerste. Wenn sie über ihren Alltag auf einem
Hausboot am Treptower Hafen in Berlin spricht, dann hat das wenig von
entspannter Flussromantik. Es drängt sich die Frage auf: Wie schafft
sie das bloß alles? In ihrem schwimmenden Zuhause kümmert sich die
39-Jährige um ihre drei kleinen Kinder und ihre 74-jährige Mutter,
die vor neun Jahren drei Schlaganfälle erlitten hat und seitdem an
den Rollstuhl gebunden ist. Ein Rund-um-die-Uhr-Job, sieben Tage die
Woche. Ihren Beruf als Architektin hat sie vor neun Jahren aufgegeben.

«Sie versauen sich ihr ganzes Leben.» Dies war das Einzige, was
man Petra Voerste mitgab, als sie sich 2002 dafür entschied, sich
zuhause um ihre Mutter zu kümmern. Keine Anleitung für Rollstuhl und
Magensonde, keine Vorbereitung auf die einstündige Körperpflege jeden
Tag. Erst der Hausarzt, der Physiotherapeut und der Logopäde vor Ort
haben ihr die Unterstützung gegeben, die sie sich schon in der
Reha-Klinik gewünscht hatte.

   «Nervenaufreibend» sei der Umgang mit den Behörden. Das Hin-
und
Her mit dem Fahrdienst hat sie dazu bewogen, sich selbst einen
Transporter zu kaufen. Ersatz für den alten Rollstuhl, den Voerste
letzten Sommer beantragt hatte, gibt es immer noch nicht. Eine fremde
Tagespflege käme für die dreifache Mutter jedoch nicht infrage.

   Rösler besuchte Voerste zur Vorbereitung auf das Thema dieser
Tage. Wenn der Gesundheitsminister sie nach ihren Wünschen fragt,
wünscht sie sich vor allem weniger Bürokratie im Alltag. Sorgen macht
sich die studierte Architektin aber auch um ihre Zukunft. Für die
Pflege erhalten Angehörige meist keinerlei Anerkennung, nicht mal ein
Kurs im Pflegedienst wird Nicht-Angestellten gestattet.

   Dem Minister fehlen in diesem Moment die Worte. Im Anschluss des
Besuchs plädiert er für flexiblere und weniger bürokratische Regeln
in den Behörden. «Man muss sich die Menschen angucken und dann
individuell entscheiden», sagt er. In einem Interview vor der
Gesprächsrunde an diesem Montag schlägt er Erholungskuren für
Pflegende und Gepflegte sowie die finanzielle Förderung von
Angehörigen-Selbsthilfegruppen vor.

   Der Sozialverband VdK will Menschen wie Petra Voerste mit der
Kampagne «Pflege geht jeden an» unterstützen und fordert unter
anderem Lohnersatzleistungen für Pflegende. Rösler kündigt an, dass
im Rahmen der geplanten Pflegereform 2011 auch darüber geredet werde.

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## Orte
- [Besuch 1](Nippeserstraße 14, 12524 Berlin-Altglienicke)
- [Besuch 2](Puschkinallee 16A, 12435 Berlin-Treptower Hafen)

## Internet
- [Kampagne «Pflege geht jeden an»](http://dpaq.de/KHzbG)
- [Pflegestatistik](http://dpaq.de/HGocZ)