Koalition folgt Pharmalobby - Breite Front gegen Reform

Die Gesundheitspläne der Koalition schlagen hohe Wellen. Wie von der
Pharmaindustrie gewünscht soll die Regierung die Bewertung neuer
Arzneimittel regeln. Die Krankenkassen sagen raschere Zusatzbeiträge
als gedacht voraus. Jeder zweite lehnt die Gesundheitsreform ab.

   Berlin (dpa) - Die Koalition ändert ihre Pläne gegen ständig

steigende Kosten für Arzneimittel nach dem Wunsch der
Pharmaindustrie. Die Regierung soll nun Vorgaben für die Bewertung
neuer Medikamente machen - und nicht ein unabhängiges Gremium. Die
Opposition warf Schwarz-Gelb deshalb drastische Klientelpolitik vor.
Union und FDP wiesen die Kritik vehement zurück.

Trotz Beitragserhöhung und besserer Konjunktur warnten die
Krankenkassen vor einer neuen Finanzlücke, die die Versicherten
stopfen müssten. Insgesamt lehnt mehr als jeder Zweite die
Reformpläne Röslers ab.

Ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sieht vor, dass das
Bundesgesundheitsministerium durch Rechtsverordnung das Nähere zur
Nutzenbewertung neuer Medikamente regelt. Dies hatte der Verband
forschender Arzneimittelhersteller (vfa) fast wortgleich
vorgeschlagen. Im Entwurf für die Neuordnung des Arzneimittelmarkts
war noch geplant, dass der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und
Kassen (G-BA) die wichtigen Details unabhängig von der Politik
regelt. Die «Süddeutsche Zeitung» (SZ) und die «Frankfurter
Rundschau» hatten zuerst über die Änderung berichtet.

   «Rösler stellt nicht den Nutzen für die Patienten in den
Vordergrund, sondern den Nutzen für die Pharmaindustrie», sagte die
SPD-Gesundheitspolitikerin Carola Reimann der dpa. Der SPD-Experte
Karl Lauterbach wertete in der «SZ» die Änderung als «dreisteste
Lobbyarbeit». Seine Grünen-Kollegin Birgitt Bender sagte: «Statt vom

Desaster der reduzierten Mehrwertsteuer für Hotels zu lernen, treibt
die Koalition ihre Klientelpolitik auf die Spitze.»

Der Kassen- Spitzenverband betonte, der G-BA habe den nötigen
Sachverstand. Der oberste Arzneimittelkontrolleur Jürgen Windeler
forderte in der «Financial Times Deutschland», Patienten dürfe man
nicht zumuten, zugunsten von Firmeninteressen unnütze Pillen zu
schlucken.

   «Die Vorwürfe sind haltlos», sagte der Sprecher von Minister

Philipp Rösler (FDP), Christian Lipicki. «Die Politik entscheidet
selbst, was im Sinne der Versicherten zielführend ist.» Alle weiteren
Regelungen - außer der neuen Zuständigkeit des Ministeriums - habe es
bereits im Gesetzentwurf gegeben. Auch vfa-Geschäftsführerin Cornelia
Yzer wies zurück, dass die Politik vom vfa abgeschrieben habe.

Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn sagte der dpa, die
Arzneibewertung werde rein wissenschaftlich erfolgen. «Alles andere
wäre fatal und wird es mit uns nicht geben.» Die FDP-
Gesundheitsexpertin Ulrike Flach sagte: «Der G-BA wird nicht
entmachtet, sondern erhält eine rechtssichere und tragfähige
Grundlage für die neu eingeführte schnelle Nutzenbewertung.»

   Seit Jahren treiben die von den Firmen frei festgesetzten Preise
für neue Medikamente die Ausgaben der Kassen in die Höhe. Viele
Mittel sind oft kaum verändert - höhere Preise gelten Experten oft
als nicht vertretbar. Die Nutzenbewertung soll Basis für
Rabattverhandlungen zwischen Herstellern und Kassen werden.

   Herbe Kritik setzte es auch an der geplanten Finanzreform für di
e
Kassen. Die Kassen warnten vor einer neuen Finanzlücke. «Wer einen
steuerfinanzierten Ausgleich erst ab 2015 in Aussicht stellt,
riskiert spätestens ab 2013 Zusatzbeiträge auf breiter Front und kann
nicht für sich beanspruchen, eine verteilungsgerechte Lösung
geschaffen zu haben», sagte die Sprecherin des Kassen-
Spitzenverbands, Ann Marini.

AOK-Chef Herbert Reichelt begrüßte die Anhebung des Beitragssatzes
von 14,9 auf 15,5 Prozent 2011 als zwingend nötige Stabilisierung.
Doch ab 2014 gebe es zu wenig Bundeszuschüsse, meint auch er. So
müsse der Sozialausgleich für Zusatzbeiträge dann wohl über noch
höhere Extrabeiträge finanziert werden - statt wie geplant über
Steuermittel. Der Ministeriumssprecher entgegnete: «Die Finanzierung
des Sozialausgleichs aus Steuermitteln ist sichergestellt.»

Nach einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK unter
3000 Versicherte finden 51,7 Prozent die Reformpläne der Regierung
schlecht. Der Paritätische Gesamtverband, der Gewerkschaftsbund, der
Beamtenbund und die Arbeitgeber lehnten bei einer internen Anhörung
die Pläne als unsozial, nicht nachhaltig oder schädlich für die
Arbeitsplätze ab.

# dpa-Notizblock

## Internet
- [Arzneimittel-Gesetzentwurf] (http://dpaq.de/stMtA)

## Orte
- [Bundesgesundheitsministerium](Friedrichstraße 108, 10117 Berlin)
- [AOK-Bundesverband](Rosenthaler Straße 31, 10178 Berlin)

Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK

Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.

Jetzt der TK beitreten





Zur Startseite