Viel Kritik an Gesundheitsplänen - Wirtschaft warnt Von Ruth Lindenberg, dpa
Den Arbeitnehmern versprach Schwarz-Gelb «mehr Netto vom Brutto»,
der Wirtschaft niedrigere Lohnnebenkosten. Beide Ankündigungen sind
hinfällig, wenn wie vereinbart die Beitragssätze zur Krankenkasse
steigen.
Berlin (dpa) - Die geplante Erhöhung der Krankenkassenbeiträge
ist
von SPD, Wirtschaft und Sozialverbänden scharf kritisiert worden.
Politiker von FDP und Union verteidigten dagegen die Grundsatz-
Vereinbarung zur Deckung des 2011 erwarteten Elf-Milliarden-Defizits
der Kassen. Vertreter des Wirtschaftsflügels der Union schlossen sich
der Kritik an. Der CSU-Politiker Stefan Müller räumte ein, dass die
Finanzprobleme des Gesundheitswesens mit den derzeitigen Plänen nicht
dauerhaft zu lösen seien.
«Die Reform löst vor allem kurzfristige Probleme», sagte M
üller
der Nachrichtenagentur dpa. «Das Defizit der gesetzlichen
Krankenversicherung muss ausgeglichen werden, sonst steuern wir auf
einen Kollaps zu», fügte der Parlamentarische Geschäftsführer der C
SU
im Bundestag hinzu. «Mir scheint jedoch, dass die Reform noch nicht
alle langfristigen Probleme endgültig lösen kann.»
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf Gesundheitsminister
Philipp Rösler (FDP) Versagen bei der Gesundheitsreform vor. Die
Regierung habe nicht mehr die Kraft und den Zusammenhalt für eine
kostendämpfende Reform. «Weil Rösler seine Arbeit nicht macht, sollen
jetzt Arbeitnehmer und Arbeitgeber mehr zahlen», sagte Steinmeier in
«Bild am Sonntag». Die Vorsitzende des Sozialverbands VdK, Ulrike
Mascher, wies auf drohenden Kaufkraftverlust für Rentner hin. Durch
die Beitragsanhebung werde «die Renten-Nullrunde zur Minusrunde»,
sagte sie der «Bild»-Zeitung.
Wirtschaftsvertreter warnten die Bundesregierung, sie gefährde m
it
zusätzlichen Belastungen der Wirtschaft durch höhere Beiträge den
Aufschwung am Arbeitsmarkt. Dem Faktor Arbeit dürfe der Anstieg der
Gesundheitskosten nicht weiter aufgebürdet werden, sagte der
Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK),
Hans Heinrich Driftmann, der «Bild am Sonntag». Arbeitgeberpräsident
Dieter Hundt verlangte, zumindest müsse der Arbeitgeberbeitrag auf
dem heutigen Niveau von 7,0 Prozent festgeschrieben werden.
Die Spitzen der Koalition hatten sich grundsätzlich auf die
Erhöhung des Beitragssatzes von derzeit 14,9 auf 15,5 Prozent
geeinigt. Der Arbeitgeberanteil stiege von 7 auf 7,3 Prozent, der
Anteil der 50 Millionen Beitragszahler von 7,9 auf 8,2 Prozent.
Erwogen wird auch die Verdoppelung der Zusatzbeiträge, die von d
en
Versicherten allein getragen werden, von 8 auf 16 Euro. Die
Höchstgrenze für den ebenfalls möglichen einkommensabhängigen
Zusatzbeitrag soll von einem auf zwei Prozent steigen. Bis Dienstag
sollen letzte Details geklärt werden.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach von
«Riesenmurks». Von den versprochenen Strukturreformen sei «weit und
breit keine Spur», sagte er den Dortmunder «Ruhr Nachrichten».
DIHK-Präsident Driftmann mahnte: «Ohne den Einstieg in die
einkommensunabhängige Gesundheitsprämie in Verbindung mit einem
steuerfinanzierten sozialen Ausgleich verabschiedet sich die
Koalition von ihren eigenen Versprechen». Stefan Müller sagte dazu
allerdings: «Es wird kein Prämienmodell geben.»
Der Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) sagte der «Rheinischen
Post» (Montag): «Eine Erhöhung der Lohnnebenkosten ist ein tödliche
s
Spiel für Arbeitsplätze in Deutschland, das muss jeder wissen.» Ein
Anstieg der Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt koste 100 000
Jobs. Der Vorsitzende der CSU-Mittelstandspolitiker, Hans
Michelbach, nannte es «gefährlich, den kräftig einsetzenden
Aufschwung und die zunehmende Beschäftigungsdynamik mit höheren
Lohnzusatzkosten zu belasten».
FDP-Generalsekretär Christian Lindner warnte jedoch davor, die
Gesundheitsreform auf Beitragserhöhungen zu reduzieren. «Weder wäre
das der Stand der internen Beratungen noch die Position der FDP». Es
sei fair, wenn das Kassendefizit gemeinsam von Arbeitgebern,
Arbeitnehmern, Leistungserbringern und Steuerzahlern ausgeglichen
werde.
CSU-Chef Horst Seehofer sagte der «Bild am Sonntag»: «Unser
oberstes Ziel bleibt es, eine erstklassige Versorgung aller
unabhängig vom Alter und vom Geldbeutel sicherzustellen.» CSU-
Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich meinte: «Wer ein
leistungsfähiges und hochwertiges Gesundheitssystem für alle will,
darf nicht verschweigen, dass es Geld kostet und von allen bezahlt
werden muss.»
Der Vize-Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann
,
erklärte, die Anhebung des Beitragssatzes schaffe für die
Beitragszahler «endlich Kalkulationssicherheit, auch wenn sich
niemand über höhere Belastungen freut».
# dpa-Notizblock
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- [Graalmann-Äußerungen](www.aok-bv.de)
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