Zehn Jahre CDU-Vorsitz - Merkels Machtspur Von Kristina Dunz und Marc-Oliver von Riegen, dpa

   Berlin (dpa) - Eigentlich hat sie auf diesen «Quatsch» keine L
ust.
Aber von nun an wird sie sich einmal im Jahr fotografieren und
befragen lassen für die Langzeitstudie «Spuren der Macht». Sie ist 35

Jahre alt, trägt kurzes Haar, Rollkragenpullover und blickt etwas
scheu in die Kamera. Es ist das Jahr 1991. «Ich habe eine gewisse Art
von Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen», sagt die frisch
gekürte Bundesfrauenministerin Angela Merkel. «Außerdem habe ich
einigermaßen gute Nerven.» Als die Foto-Studie der Autorin Herlinde
Koelbl auf den Markt kommt, hat Merkel die Ära ihres einstigen
Förderers und des Partei-Übervaters Helmut Kohl wegen der Affäre um
illegale Spenden und verschwiegener Namen beendet. Wenig später ist
sie CDU-Vorsitzende.

   «Ich nehme die Wahl an», sagt Merkel am 10. April 2000. Auf de
m
Bundesparteitag in Essen stimmen 95,9 Prozent der Delegierten dafür,
dass die in Ostdeutschland aufgewachsene Tochter eines evangelischen
Pfarrers die Volkspartei führt. Merkel dankt für die Unterstützung:
«Ich hoffe, sie hält eine Weile an.» Diese Weile dauert nun zehn
Jahre. Merkel ist in zweiter Amtsperiode Bundeskanzlerin und hat die
Union ein Stück nach links gerückt, weil das Potenzial der
Stammwähler für Wahlerfolge zu gering ist. Das US-Wirtschaftsmagazin
Forbes beschreibt sie 2006, 2007, 2008 und 2009, in Zeiten der
Finanz- und Wirtschaftskrise, als mächtigste Frau der Welt.

Merkel bricht mit Kohl

   Einen Meilenstein dahin setzt sie am 22. Dezember 1999. Mit einer

schonungslosen Analyse der Folgen der CDU-Spendenaffäre fordert sie
die Partei in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) auf, sich
von Kohl zu emanzipieren. Er hatte eingeräumt, für die CDU 1,5 bis 2
Millionen Mark Spenden gesammelt und nicht im Rechenschaftsbericht
verbucht zu haben. Die Namen der Spender nannte der Altkanzler nicht,
weil er ihnen sein «Ehrenwort» darauf gegeben habe. «Kohls Mädchen
»
straft dies so ab: «Ein Wort zu halten und dies über Recht und Gesetz
zu stellen, mag vielleicht bei einem rechtmäßigen Vorgang noch
verstanden werden, nicht aber bei einem rechtswidrigen Vorgang.» Es
gehe um die Glaubwürdigkeit der ganzen Politik. Die Partei müsse sich
zutrauen, auch ohne ihr Schlachtross Helmut Kohl zu kämpfen.

   Kohl hat die Spender bis heute nicht genannt. Und er hat Merkel
wohl bis heute nicht verziehen. Am 5. Mai wird die Kanzlerin bei
einer Feier zu seinem 80. Geburtstag (3. April) in Ludwigshafen sein
und seine Verdienste würdigen. Zurücknehmen wird sie nichts. Mit dem
Artikel provozierte Merkel einen Neuanfang, der nicht nur Kohl traf.
Auch der damalige Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble blieb danach
nur noch wenige Monate im Amt.

«Wer sie unterschätzt, hat schon verloren.»

   Ihre erste Zeit als Parteichefin ist steinig. Kanzler Gerhard
Schröder (SPD) setzt seine Steuerreform durch, weil er CDU-regierten
Ländern Zugeständnisse macht. Die Entscheidung über den
Bundeswehreinsatz in Mazedonien spaltet die Unionsfraktion. Derzeit
wird Merkel in Teilen der Union vorgehalten, sie vernachlässige den
konservativen Flügel. Merkel betont, sie sei Hüterin aller Wurzeln
der Partei. Von der Riege der CDU-Ministerpräsidenten bekommt Merkel
aber inzwischen - im Gegensatz zu früher - kaum noch Gegenwind.

   CSU-Chef Horst Seehofer sagt über Merkel: «Wer sie unterschä
tzt,
hat schon verloren.» Die Reihe der Verlierer ist lang. Hinter sich
gelassen hat sie auch den früheren CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber,
dem sie 2002 nach einiger Überwindung den Vortritt bei der
Kanzlerkandidatur ließ, und dann sein Scheitern miterlebte. Nach dem
Misserfolg der Union bei der Bundestagswahl 2002 reklamiert Merkel
auch den Fraktionsvorsitz im Bundestag für sich, um ihre Position in
der Opposition zu stärken. Trotz aller Gegenwehr war
Unionsfraktionschef Friedrich Merz seinen Posten los.

   Beim Bundesparteitag 2003 in Leipzig vollzieht die CDU unter
Merkel einen radikalen Kurswechsel in der Sozialpolitik: Sie fordert,
die Krankenversicherung auf ein einkommensunabhängiges Prämienmodell
umzustellen und das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen.

«Aber eines Tages ist es soweit»

   Dann wird wahr, was Merkel 1997 in «Spuren der Macht» aus Är
ger
über den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard
Schröder angekündigt hatte. «Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn
irgendwann genauso in die Ecke stellen werde. Ich brauche dazu noch
Zeit. Aber eines Tages ist es soweit. Darauf freue ich mich schon.»
2005 löst sie ihn als Kanzler ab. Der Sieg ist mit einer schweren
Niederlage verknüpft: Die Union fährt mit 35,2 Prozent ein bis dahin
historisch schlechtes Wahlergebnis ein und ist zum Regieren auf eine
große Koalition mit der SPD angewiesen.

   Als Kanzlerin geht Merkel auch Konflikten auf internationaler
Bühne nicht aus dem Weg - sind die Männer auch noch so mächtig. In
Moskau spricht sie den Tschetschenien-Krieg an, in Washington das US-
Gefangenenlager Guantánamo, in Berlin empfängt sie zur Empörung
Pekings den Dalai Lama. 2009 kritisiert sie dann noch offen den
deutschen Papst, der den Piusbruder und Holocaust-Leugner Richard
Williamson nach Exkommunizierung wieder in den Schoß der Kirche
aufnahm. Noch nie hatte ein deutscher Kanzler eine Entscheidung des
Papstes derart öffentlich infrage gestellt.

Was kommt nach der Kanzlerschaft?

   Merkel ist nun 55 Jahre alt. Die Macht ist nicht spurlos an ihr
vorübergegangen. Ihre Lippen wirken schmaler, ihre Mundwinkel zeigen
deutlicher nach unten. Wenn sie Glück hat, kann sie einmal in der
Woche länger schlafen, einen Film sehen oder die «weltbeste
Kartoffelsuppe» kochen. Seit Wochen ist sie mit dem Dauerkonflikt der
schwarz-gelben Koalition beschäftigt. Immer wieder wird ihr
Führungsschwäche vorgehalten, weil sie lange schweige. Zu ihren
Erfahrungen zähle aber die «Erledigung der Angelegenheit durch
Erschöpfung des anderen», sagen Wegbegleiter.

   Es gibt auch die private Angela Merkel, die zu Hause Jeans trägt

und selbst einkaufen geht. Und was kommt nach der Kanzlerschaft?
Manche in der Union tippen auf ein internationales Amt, andere auf
den Rückzug ins Private. «Ich möchte irgendwann den richtigen
Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden (...) Ich will dann
kein halbtotes Wrack sein, sondern mir nach einer Phase der
Langeweile etwas anderes einfallen lassen», sagt Merkel. Das war
1998, bevor ihre ganz große Karriere begann.
dpa du/vr yydd a3 fd/bi

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