Die Flucht nach Mexiko Von Anne Marie Mergier

Berlin - 1980 wurde Ines Geipel für die Olympische Delegation für
die Spiele 1984 in Los Angeles ausgewählt. Ines dachte, ihr Schicksal
würde sich damit ändern. Und es änderte sich, aber es nahm einen
seltsamen Verlauf.

   Die Leichtathletik-Föderation der DDR beschloss, ihre Sportler i
n
Mexiko trainieren zu lassen. «Ich bin zweimal nach Mexiko gereist:
zunächst Ende 1983 und noch einmal 1984. Wir trainierten in den
olympischen Anlagen der Hauptstadt. Zum ersten Mal sah ich einen
außergewöhnlichen Ort, den ich mir niemals hätte vorstellen können.
»

   Ines hat sehr persönliche Motive, warum die Erinnerung an ihre
Zeit in Mexiko sie emotional stimmen. Erst nach einer Weile erzählt
sie von ihrem Geheimnis. Vielleicht enthemmt sie der Bolero, der im
«Café Milagro» in der Kreuzberger Bergmannstraße, in dem wir sitzen
,
gespielt wird. «Während meines zweiten Aufenthaltes in Mexiko habe
ich mich hoffnungslos in Ernesto Canto verliebt. Sie sollten ihn
kennen: Er war olympischer Sieger im 20-Kilometer-Gehen in Los
Angeles. Unsere Geschichte war wunderschön. Sie bedeutete mir sehr
viel.»

   Ernesto Canto nahm sie mit in die mexikanische Hauptstadt, er
stellte sie seinen Eltern und Geschwistern vor, sie gingen aus. «Ich
konnte sehen, wie die Menschen lebten, ich war bei ihnen zu Hause,
bin durch die Straßen gelaufen, sah Gesichter, die anders waren. Ich
weiß, dass das, was ich tat, aufs Strengste verboten war. Aber ich
habe es getan.»

   Kurze Stille. Count Basie ersetzt die Musik von Los Panchos. «Ic
h
war glücklich. Das war das Einzige, was zählte. Eigentlich war es in
Mexiko, dass ich meine Angst ablegte und die Befreiung meines Inneren
begann. Das kam mich sehr teuer zu stehen. Aber ich bereue es nicht.»

Die Leidenschaft zwischen der deutschen Sprinterin und dem
mexikanischen Geher wurde so stark, dass sie beschlossen,
zusammenzuleben. Ines sagt lachend: «So zusammengefasst erscheint
unsere Geschichte wie eine Seifenoper ... Aber keineswegs. Ernesto
und ich verabredeten uns in Los Angeles. Ich war fest entschlossen,
in den USA Asyl zu beantragen.»

Aber die Stasi verfolgte die Pläne, und die DDR-Sportfunktionäre
waren nicht gewillt, eine so vielversprechende Athletin zu verlieren.
«Die Rückkehr in die DDR war sehr bitter. Man nahm mir meinen Pass ab
und begann, mich unter Druck zu setzen. Es wurde noch schlimmer, als
ich beschloss, mich scheiden zu lassen. Jahre später habe ich
erfahren, dass die Stasi unter ihren Agenten einen suchte, der
Ernesto ähnelte, um mich zu verführen.»

   Die Hoffnung, Ernesto wiederzusehen, starb, als die DDR zusammen
mit den anderen Ostblockstaaten entschied, die Olympischen Spiele in
L.A. zu boykottieren. (...)

   Jahre später, man hatte Ines Geipel durch eine Operation für d
en
Hochleistungssport untauglich gemacht, die Mauer war gefallen und
Ines hatte im Prozess um die Dopingfälle in der DDR ausgesagt,
begann sie ein neues Leben in Darmstadt. Ines studierte Philosophie
und Soziologie und begann zu schreiben.

«Haben Sie damals nie daran gedacht, Ernesto Canto zu suchen?» Sie
lächelt. «Ich hatte Lust dazu, aber es waren auch so viele Jahre
vergangen, ohne dass wir voneinander gehört hätten. Ich war eine
andere. Manchmal tötet die Realität die Erinnerung. Und die
Erinnerung unserer Geschichte ist heilig für mich, ich wollte sie
intakt erhalten.»
dpa ho fs xx a3 k6 pn

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