Der Tod in Lauerstellung: Intensivstation Herzchirurgie Von Christoph Driessen, dpa
Köln (dpa) - Auf der Intensivstation der Herzchirurgie
kristallisiert sich alles heraus, was das Gesundheitswesen ausmacht:
enorme medizinische Möglichkeiten bei gleichzeitigem Kostendruck,
Ärzte im Spannungsfeld zwischen Halbgott-Mythos und Akkord-Arbeiter
und dazwischen der offiziell mündige, aber doch weitgehend
ausgelieferte Patient.
Nachts auf der Intensivstation der Kölner Herzchirurgie. Klingel
,
Schleuse, sterile Kleidung. Das erste, was auffällt, ist das Piepen.
Es gibt drei unterschiedliche Arten davon: Eines signalisiert, dass
die Infusionsflasche leer ist. Ein anderes weist darauf hin, dass ein
Patient zu viel oder zu wenig atmet. Und ein drittes ist der
sogenannte Drei-Sterne-Alarm bei einer bedrohlichen Situation.
Irgendwas piept immer.
Die meisten Patienten schlafen, dämmern vor sich hin oder haben
seit ihrer Operation noch gar nicht das Bewusstsein wiedererlangt.
Sie sind verschlaucht und verkabelt. Monitore messen die Herztöne,
schreiben Kurven und Zahlen. Uhren leuchten, Neon strahlt - die ganze
Überlebensmaschinerie. Alle Funktionen müssen ständig kontrolliert
werden. Der Tod ist hier in Lauerstellung.
In dieser Lage ist der Mensch zwangsläufig reduziert auf seinen
Gesundheitszustand. Auf die Intensivstation nimmt man keine Bücher
mit, noch nicht einmal persönliche Kleidung. Ob man Privat- oder
Kassenpatient ist, mag mitentscheiden, wie schnell und von wem man
operiert wird. Aber wenn man einmal raus ist aus dem OP, spielt das
auch keine Rolle mehr. Vor dem Nachtarzt auf der Intensivstation sind
alle gleich.
Für Besucher mag die Atmosphäre bedrückend sein, für Ärz
te und
Pfleger ist es ein ganz normaler Arbeitsplatz. Ein Arzt erzählt, dass
dies seine letzte Schicht ist, am nächsten Tag fährt er in Urlaub.
Zwei andere, die gerade nichts zu tun haben, unterhalten sich über
Computerprogramme. Die Assistenzärztin Antje-Christin Stabbert (29)
macht ihre Kontrollrunde durch die Patientenzimmer.
Die eher zurückhaltende junge Frau wirkt nicht so, wie man sich
eine Herzchirurgin vorstellt. Und sie weiß es. «Als ich anfing, haben
die Kollegen mir gesagt: Das ist kein Goldfischteich hier, das ist
ein Haifischbecken. Mag sein, dass man mit meiner Art nicht
durchkommt, aber ich will's mal versuchen.»
Ärzte anderer Fachrichtungen erzählen gern folgenden Witz: «
Wie
begeht ein Herzchirurg Selbstmord? Er stürzt sich von seinem eigenen
Ego in die Tiefe.» Herzchirurgen gelten als die Alpha-Tiere des
Klinikbetriebs. Oberarzt Axel Kröner (42) ist vielleicht so einer. Er
lebt für seine Arbeit. Von Aussehen und Auftreten her könnte er
sofort in «Grey's Anatomy» oder «Emergency Room» mitspielen.
«Chirurgen sind Menschen, die eine etwas andere Einstellung
haben», erzählt er. «Als ich angefangen habe, habe ich 320 Stunden im
Monat gearbeitet, das war ganz normal. Wenn Sie nachts um vier Uhr
angerufen werden und 13 Stunden operieren müssen, dann ist in dieser
Zeit kein anderer für mich da. Und wenn Sie das nicht können, dann
sind Sie hier falsch.»
Nächster Morgen, Frühbesprechung. Auf einer riesigen Leuchtwan
d
hängen die Brustkörbe aller Patienten im Röntgenbild. Davor ein Pulk
von zwanzig weiß- und zehn blaugekleideten Ärzten. Das Wort führt
Klinikdirektor Thorsten Wahlers (51), eine international bekannte
Koryphäe, die 1996 sogar bei einer Herzoperation des russischen
Präsidenten Boris Jelzin hinzugezogen wurde.
«Kommen Sie mal vor!», weist er ein paar Medizinstudenten an. Sie
sollen sich ein bestimmtes Röntgenbild ansehen. «Was ist da der Stein
des Anstoßes?» Allgemeines Rätseln. Nur einer erkennt schließlich,
dass der schwarze Fleck ein alter Verband ist, der bei einer
Operation vor vielen Jahren vergessen wurde. Wahlers schüttelt den
Kopf: «Das sieht einer, und alle anderen sehen's nicht -
unglaublich!»
Was wäre eigentlich, wenn sich Wahlers selbst einmal irren würde?
In der strengen Ärztehierarchie deutscher Krankenhäuser scheint es
nicht gerade opportun, den Chef zu kritisieren. Wahlers widerspricht:
«Sie stehen ja hier dauernd unter Beobachtung. Bei der Visite sind 20
Leute, die ihre eigene Meinung haben. Sie können da nicht einfach
irgendwas erzählen, da fangen die Leute an zu diskutieren. Die
Mehrzahl meiner Entscheidungen muss schon irgendwo richtig sein.»
Einmal im Monat gibt es eine «Mortalitätskonferenz», bei der alle
Sterbefälle noch einmal unter dem Aspekt durchdiskutiert werden, ob
man vielleicht etwas hätte besser machen können.
Die Chefvisite. Zwanzig Kittelträger rauschen nacheinander in die
verschiedenen Patientenzimmer, stellen sich rund ums Bett auf und
sind nach wenigen Minuten wieder draußen. Wahlers legt wert darauf,
dass er sich zu jedem Kranken hinunterbeugt und ihm ein persönliches
Wort sagt. Das sei in vielen Krankenhäusern anders.
Ob der Patient diese Worte allerdings immer als so aufbauend
erlebt, ist die Frage. Einem erst 47 Jahre alten Mann, der tags
zuvor aus einem Provinzkrankenhaus in die Klinik verlegt worden ist,
bringt Wahlers in wenigen knappen Sätzen die vielleicht schlimmste
Nachricht seines Lebens bei: «Sie haben schon ein ziemlich krankes
Herz. Es könnte sein, dass wir zu der Empfehlung kommen, einen Bypass
zu legen. Das Herz ist schon ein bisschen ausgeleiert. Gucken Sie
mich nicht so ungläubig an!»
Später, in seinem Büro, sagt er, es wäre eigentlich Aufgabe des
behandelnden Arztes in dem anderen Krankenhaus gewesen, den Patienten
aufzuklären. «Ich muss das auslöffeln, was meinen Sie, wie ich mich
dabei fühle?»
Die Chefvisite offenbart das ungeheure Machtgefälle zwischen dem
allwissenden Arzt und dem um sein Leben fürchtenden Patienten, der
die Lage meist gar nicht überblicken kann. Bei alten Leuten, von
denen wohl angenommen wird, dass sie nicht mehr so gut hören, wird
auch schon mal direkt über ihre Köpfe ein medizinisches Fachgespräch
geführt.
Wie erlebt Wahlers diese Situation selbst? Die Frage überrascht
ihn. In einer Machtposition sehe er sich nicht, sagt er. «Ich muss
eine Leitlinie und Vorbild für die jüngeren Mitarbeiter sein. Durch
die Begrenztheit der Zeit wirkt man auch manchmal kühl.» Dies bedeute
aber nicht, dass ihn das Patientenschicksal kalt lasse. «Ich weine
wieder mehr, als ich das als 40-Jähriger getan habe.»
Wenn Ärzte unter sich sind, klingen ihre Bemerkungen oft
sarkastisch. «Man kann sich nicht davon frei sprechen, dass man
zynische Charakterzüge entwickelt», sagt der Stationsoberarzt Georg
Langebartels (45). «Das ist eine Form der Druckentlastung.» Man dürfe
daraus keinesfalls den Schluss ziehen, Ärzte seien unfähig zum
Mitleid. Der letzte Fall, der ihn persönlich aufgewühlt hat, betraf
einen Jugendlichen, der nach einem Unfall in einem Badesee auf die
Station kam und dort nach drei Tagen starb. Langebartels hat später
lange mit der Klasse des Jungen darüber gesprochen. «Das war auch
meine Bewältigung.»
Er empfindet es selbst als das Schwierigste an seiner Arbeit, sich
jeden Tag auf neue Menschen einstellen zu müssen. Im Jahr kommen 1600
Patienten auf die Station. «Die Kunst ist, herauszufinden, welcher
Patient welche Informationen benötigt. Das ist das eine. Und dann
muss man versuchen, komplizierte Informationen auf eine empathische
Art vorzutragen.»
Langebartels macht seinen morgendlichen Rundgang. Wer bei der
Chefvisite etwas nicht verstanden hat, könnte ihn jetzt fragen. Aber
es fragt keiner. Die meisten wollen es so genau offenbar gar nicht
wissen, aber ihr Gesicht hellt sich auf, wenn der Doktor zum Beispiel
auf das pulsierende Herz auf dem Ultraschallbild zeigt und sagt: «Das
ist alles super in Ordnung.» Zu dem 47-Jährigen aus dem
Provinzkrankenhaus sagt er: «Sie kommen jetzt in den OP, und
hinterher reden wir dann noch mal ausführlich.» Langebartels wirkt
mitfühlend und sicher zugleich - er ist vermutlich genau der Typ
Arzt, dem man sich in einer solchen Situation anvertrauen will.
Der einzige Raum, der auf der Station leer steht, ist das
Ärztezimmer. Das liegt daran, dass die Ärzte immer etwas Anderes zu
tun haben, als zum Beispiel in aller Ruhe Krankenakten durchzusehen.
Bei den Pflegern ist es genauso. Die Arbeitsbelastung ist immens.
«Wir haben nur eine bestimmte Summe X pro Patient und müssen immer
mehr rationalisieren», erläutert Wahlers. «Die demografische
Entwicklung wirkt sich aus.» Die Leute werden immer älter, die Zahl
der Kranken nimmt zu, dadurch wird das Geld knapp. Theoretisch sind
die Möglichkeiten der Intensivmedizin fast grenzenlos, weil die Ärzte
jedes Organ durch Apparate oder medizinische Verfahren ersetzen
können. Ob es im Einzelfall wünschenswert und ob es bezahlbar ist,
sind andere Fragen.
«Es müsste eine gesellschaftliche Debatte darüber einsetzen, dass
man bestimmte Dinge zusatzversichern müsste», meint Wahlers. Ein
brisantes Thema. Blutwäsche ab 75 nur noch, wenn man dafür vorher
eingezahlt hat? Wahlers' Kollege Bernd W. Böttiger, Direktor der
benachbarten Klinik für Anästhesie, ist da anderer Meinung: «Solange
wir es uns leisten können, solche Unmengen von Geld etwa in die
Banken zu stecken, solange müssen wir uns doch wohl auch noch ein
Gesundheitssystem leisten, das einigermaßen sozial ist. Es wäre für
mich unerträglich, in einem System zu arbeiten, in dem manche nicht
behandelt werden, weil sie nicht versichert sind.»
Es ist Abend. Der 47-Jährige Patient hat die Operation gut
überstanden. Alles piept normal. Langebartels geht nach Hause. Das
war mal ein ruhiger Tag.
[Herzklinik]: Kerpener Straße 62, Köln
dpa cd yynwk a3 ch
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