Kabinett beschließt Erbrechts-Reform: Pflege wird mehr honoriert

Berlin (dpa) - Wer Angehörige vor ihrem Tod jahrelang gepflegt
hat, kann künftig vielfach mit einem höheren Erbe rechnen. Auch die
Fälle, in denen «unwürdige» Erben leer ausgehen, sollen klarer
gefasst werden. Und Schenkungen zu Lebzeiten dürften in Zukunft mehr
Bestand haben. Das sind die Kernpunkte einer Reform des über 100
Jahre alten Erbrechts, die das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen
hat.

Mit der Reform, die schon zur Mitte des Jahres nach der
Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat in Kraft treten soll,
soll insgesamt dem «letzten Willen» des Erblassers größeres Gewicht
eingeräumt werden, wie Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD)
erklärte. Zugleich werden aber vor allem die Pflegeleistungen
durchgehend besser honoriert - auch eine Reaktion auf den zunehmenden
Pflegenotstand in Deutschland.

Nach geltendem Recht konnten für Pflege bislang nur Kinder und
Enkelkinder gegenüber den anderen Erben einen höheren Erbteil
verlangen - und auch nur dann, wenn sie tatsächlich
Einkommenseinbußen hinnehmen mussten. Beides soll sich mit dem neuen
Gesetz ändern. Erstens kann künftig zum Beispiel auch die Schwester,
die die bettlägerige Erblasserin über Jahre betreut hat, «einen
AUSGLEICH FÜR PFLEGELEISTUNGEN» erhalten. Zudem ist nicht weiter
Voraussetzung, dass sie ihren Beruf für die Pflege aufgeben musste.
Auch die Rentnerin kann nun diesen Ausgleich verlangen.

Beispiel: Die verwitwete kinderlose Erblasserin wurde von ihrer
nicht berufstätigen Schwester gepflegt. Der Bruder kümmert sich
nicht. Die Erblasserin stirbt. Es gibt kein Testament. Der Nachlass
beträgt 100 000 Euro, die Pflegeleistungen sind mit 20 000 Euro zu
bewerten. Derzeit erben die Schwester und der Bruder noch je die
Hälfte. Künftig kann die Schwester einen Ausgleich für ihre
Pflegeleistungen verlangen, der von der Erbmasse von vornherein
abgezogen wird. Erst der Rest wird geteilt. Im Ergebnis erhielte die
Schwester 60 000 Euro.

Der Deutsche Anwaltverein begrüßte die Regelung und wies darauf
hin, dass nun auch Ehepartner des Verstorbenen erstmals einen
Ausgleich für Pflege erhalten können. Rechtsanwalt Wolfgang
Schwackenberg, Mitglied im Vorstand der Abteilung Erbrecht, sagte der
Deutschen Presse-Agentur, die jetzige Lösung sei um ein vielfaches
gerechter als der bestehende Rechtszustand. Die Höhe des Ausgleichs
orientiere sich an den Sätzen des Sozialgesetzbuches. «Der Ausgleich
hätte ein wenig höher ausfallen können.»

Mit der Reform sollen auch die Fälle neu geregelt werden, in denen
Erben ihren GESETZLICHEN PFLICHTTEIL am Nachlass verlieren können.
Das Pflichtteilsrecht bestimmt den Erbanspruch von Ehegatten und
engen Verwandten, wenn der Verstorbene diese in seinem Testament
nicht berücksichtigt hat.

Bislang konnte ein Erblasser in seinem Testament einen Angehörigen
zum Beispiel enterben, der ihm, seinem Ehegatten und leiblichen
Kindern nach dem Leben getrachtet hat. Künftig soll es auch ein
ENTERBUNGSGRUND sein, wenn dies dem Lebenspartner oder den
Stiefkindern widerfährt. Andererseits kann ein Erbe nicht mehr
deshalb leer ausgehen, weil er «einen ehrlosen oder unsittlichen
Lebenswandel wider dem Willen des Erlassers führt», wie es bisher im
Gesetz heißt. Stattdessen soll künftig nur die Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zur
Entziehung des Pflichtteils berechtigen.

Große praktische Bedeutung dürfte die geplante neue PRIVILEGIERUNG
VON SCHENKUNGEN haben. Oft verschenken Personen schon zu Lebzeiten
größere Vermögenswerte etwa an Nachbarn, die sich um sie im Alter
gekümmert haben. Über diesen Schenkungen schwebte bislang der
sogenannte Pflichtteilergänzungsanspruch. Bis zu zehn Jahren konnte
der Pflichtteilberechtigte verlangen, dass das verschenkte Vermögen
in den Nachlass kommt. Er wurde dann so gestellt, als ob es die
Schenkung nicht gegeben hätte und konnte denjenigen Geldbetrag
verlangen, der dem vollem Pflichtteil entsprochen hätte.

Die Reform sieht nun vor, dass die Schenkung für die
Pflichtteilberechnung graduell immer weniger Berücksichtigung findet,
je länger sie zurück liegt. Eine Schenkung im ersten Jahr vor dem
Erbfall würde voll in die Berechnung des Nachlasses einbezogen, zwei
Jahre davor jedoch nur noch zu 9/10 und in jedem weiteren Jahr um je
ein Zehntel weniger. Zudem sollen Pflichtteilsberechtigte in
Extremfällen nicht SOFORT EINEN ERBANSPRUCH GELTEND machen können,
etwa wenn dadurch der Bestand eines Unternehmens gefährdet wird. Der
Haupterbe kann dann um Stundung bitten.
dpa us yydd z2 li