Bayerns Hausärzte proben den Aufstand Von Nikolaus Nützel, dpa

München/Nürnberg (dpa) - Der Bayerische Hausärzteverband will in
einer bundesweit beispiellosen Aktion aus der gesetzlichen
Krankenversicherung aussteigen. Die Berufsorganisation hat ihre
Mitglieder aufgerufen, gemeinsam die Kassenzulassung zurückzugeben.
Dann könnten sich Kassenpatienten bei diesen Ärzten nicht mehr auf
Chipkarte behandeln lassen. Nach eigenen Angaben spricht der Verband
für knapp 70 Prozent der rund 9000 bayerischen Hausärzte. Am
kommenden Mittwoch (30. Januar) sollen sich tausende Mediziner bei
einer Großveranstaltung in Nürnberg verpflichten, dem Kassensystem
den Rücken zu kehren.

Die wirtschaftliche Situation der meisten Hausärzte sei untragbar
geworden, begründet der Verbandsvorsitzende Wolfgang Hoppenthaller
den radikalen Schritt. Die Bundesregierung, aber auch die von der CSU
geführte bayerische Staatsregierung wolle «den Beruf des Hausarztes
abschaffen», sagt Hoppenthaller und wählt harsche Worte: «Erschieße
n
kann man uns ja nicht, also hungert man uns aus.» Durch die
Gesundheitsreform werde sich die Lage weiter verschärfen.

Der Verband will die Brücken zu den Krankenkassen allerdings
keineswegs ganz einreißen. Ziel der Hausärzte sei es, in eigener
Regie «auf Augenhöhe» mit den Kassen zu verhandeln. Und der
Hausärzteverband will das Streikrecht zurückgewinnen, das die Ärzte
mit eigener Praxis vor 76 Jahren bei der Schaffung der
Kassenärztlichen Vereinigungen aufgegeben haben.

Viele Ärzte an der Basis verfolgen die Eskalation des seit
längerem schwelenden Konflikts mit gemischten Gefühlen. Der Münchner
Allgemeinarzt Hans-Joachim Willerding beispielsweise hält die
wirtschaftliche Situation seiner Berufsgruppe inzwischen für
miserabel. Er steht deshalb voll hinter dem Aufruf des
Hausärzteverbandes. «Wir müssen es machen wie die Lokführer», sag
t
Willerding. Sein Kollege Basil Bustami hingegen hat sich noch nicht
entschieden, ob er seine Zulassung zurückgeben würde. Aber es sei
wichtig, dass die Hausärzte ein Zeichen setzen, glaubt auch er. «Es
sollte jeder nach Nürnberg fahren», fordert Bustami seine Kollegen
auf.

Der Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, Helmut Platzer, macht den
Hausärzten allerdings keine Hoffnungen, dass sie weiterhin
Kassengelder erhalten, wenn sie das System verlassen. Er verstehe
nicht, dass ausgerechnet in Bayern die Ärzte auf die Barrikaden
gehen. «Hier liegen die Honorare 20 Prozent über dem bundesweiten
Durchschnitt», rechnet der AOK-Chef vor. Und in den meisten Teilen
des Freistaats gebe es nach wie vor mehr Ärzte als eigentlich nötig
seien, sagt Platzer. Die Krankenkassen würden sich deshalb «nicht dem
Druck der Straße beugen».

Auch der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV)
Bayerns, Axel Munte, warnt die Hausärzte eindringlich. Wer aus dem
System aussteige, könne nur noch privat abrechnen und gehe damit ein
unkalkulierbares wirtschaftliches Risiko ein. Munte ist zwar
ebenfalls der Ansicht, dass sich die finanzielle Lage vieler
Mediziner zuspitzt. Der Widerstand, den jetzt der Hausärzteverband
wählt, sei jedoch der falsche Weg. «Das gefährdet das System der
flächendeckenden Versorgung», glaubt der KV-Chef. Gleichzeitig betont
Munte, seine Organisation könne auch ohne die ausstiegswilligen
Hausärzte die Behandlung aller Patienten garantieren: «Es gibt genug
Internisten und Fachärzte, die einspringen.»

Der Hausärzte-Funktionär Hoppenthaller rät seinen Kollegen, sich
von solchen Argumenten nicht beirren zu lassen. Wenn sich eine breite
Mehrheit für den Systemausstieg entscheide, könnten die Kassen gar
nicht anders, als auf die Forderungen der Ärzte einzugehen, ist er
sicher. Der Hausärzteverband hat dazu ein sogenanntes «Korbmodell»
entwickelt. Dabei werden Verpflichtungserklärungen bei einem Notar
gesammelt. Erst dann, wenn in einem Regierungsbezirk eine Mehrheit
von 70 Prozent für den Ausstieg gesichert ist, machen die Ärzte
tatsächlich ernst. Das Ergebnis der Auszählung soll einige Tage nach
der Großveranstaltung in Nürnberg feststehen.
dpa fm yyby li