«Babys mit Entzugserscheinungen» - Hebammen betreuen Problemfamilien Von Heike Sonnberger, dpa
Pforzheim (dpa) - In den Armen der Hebamme strampelt ein
pausbäckiges Baby. Acht Wochen ist es alt und hat seit der Geburt
gehörig zugenommen. Der Wonneproppen zählt zu den Erfolgen von Anja
Bettini. Nicht allen Kindern, die die 28-Jährige betreut, geht es so
gut. Bettini arbeitet in Pforzheim für das im Juni gestartete Projekt
«Familienhebamme» und kümmert sich um Eltern, die mit ihrem Nachwuchs
überfordert sind. Drogen, Armut, Gewalt - Bettini setzt sich jeden
Tag mit Problemen auseinander, die schwerer wiegen als volle Windeln.
«Man darf nie tadeln, sondern muss vorleben», weiß sie.
Mit früher regelmäßiger Betreuung könnten Fälle wie der Tod de
s
zweijährigen Kevin aus Bremen und der in Schwerin verhungerten Lea-
Sophie verhindert werden, sagt Heike Kirner von der Caritas.
«Entweder waren die Familien nicht bekannt, oder das Jugendamt ist
nicht an sie herangekommen. Wenn man nur einmal in die Wohnung
hereinschneit, ist es dort sauber und die Mutter nicht betrunken.»
Die insgesamt drei Hebammen in Pforzheim begleiten die Frauen deshalb
von Beginn der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr des Kindes.
In Pforzheim wird erprobt, was Sozialexperten vor dem «Kinder-
Gipfel» von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten
an diesem Mittwoch bundesweit fordern. Im vergangenen Herbst wurde
die Stadt als Modellstandort für das Projekt «Guter Start ins
Kinderleben» der Landesregierung ausgewählt. Neben Baden-Württemberg
haben auch Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen ähnliche Projekte.
In Pforzheim mit seinen rund 116 000 Einwohnern lebten im
vergangenen Jahr 113 Mütter unter 21 Jahren. An einem Runden Tisch
treffen sich dreimal im Jahr Vertreter von mehr als 30 Organisationen
aus den Bereichen Jugendhilfe, Polizei und Medizin und besprechen
Schwachstellen im Kinderschutz. Die Ärzte der Pforzheimer
Entbindungskliniken füllen zudem bei jeder Geburt einen Fragebogen
aus, mit dem Risikofälle früh erkannt werden sollen. Das Konzept soll
bald auf Gynäkologen, Kinderärzte und Hebammen ausgeweitet werden.
Auch das gemeinsame Projekt «Familienhebamme» von Caritas und
Kinderschutzbund gehört zum Maßnahmenkatalog für eine bessere
Versorgung von Kindern. Zusätzlich zur regulären Betreuung verbringen
die Familienhebammen 30 weitere Stunden mit Mutter und Kind.
In jeder Familie gibt es dabei andere Probleme zu bewältigen:
Manche Mütter leben in sehr ärmlichen Wohnungen, andere können ihr
Kind nicht annehmen, weil sie in ihm ständig den gewalttätigen Vater
sehen. Einige sind drogenabhängig, psychisch krank oder selbst erst
15 Jahre alt. «Manche Mütter haben ein Handy und einen Computer, aber
nichts zu essen und keine Windeln», sagt Heike Kirner.
Bettini zeigt den Müttern, wie sie ihr Kind wickeln, erklärt, dass
es von Duschgel im Badewasser Neurodermitis bekommt und schreit, weil
es vielleicht Bauchweh hat. Dabei freut sie sich über kleine Erfolge:
«Ich bin schon froh, wenn keine Zigarette brennt und der Fernseher
nicht läuft, wenn ich komme.» Bettini macht mit den oft sehr
unsicheren Frauen Arzt- und Behördengänge und ermutigt sie zu mehr
Eigenständigkeit. «Die Frauen sollen uns vertrauen, dürfen sich aber
nicht von uns abhängig machen.»
Die Familienhebammen brauchen vor allem Zeit und Geld - und von
beidem haben sie zu wenig. Sie können ihre Arbeit erst abrechnen,
wenn die betroffene Mutter einen formlosen Antrag unterzeichnet hat.
Das tut diese in der Regel aber nur, wenn sie vorher zur Hebamme
Vertrauen gefasst hat. «Zwei Frauen sind uns abgesprungen, weil wir
zu forsch waren und den Antrag zu früh vorgelegt haben», berichtet
Kirner. Geld für das Projekt fließt zur Zeit nur aus städtischer
Kasse oder als Spenden. Krankenkasse und Land unterstützen das
Projekt bisher nicht finanziell. «Wenn es um vernachlässigte Kinder
geht, tut jeder so betroffen» beklagt Kirner. «Aber Geld kommt
keins.»
(Internet: www.dksb-pforzheim.de, www.caritasverband-pforzheim.de)
dpa son yysw a3 cs
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