Die Crux mit dem Kreuzband bei Fußballerinnen: Angst wächst Von Ulrike John, Jana Glose und David Joram, dpa
Die vielen Kreuzbandrisse im Frauenfußball beschäftigen Spielerinnen,
Experten, Clubs, Fans und Verbände. Nach dem erneuten Ausfall von
Lena Oberdorf wird dringend eine Lösung gesucht.
München/Düsseldorf (dpa) - Vor allem die Nationalspielerinnen leiden
mit Lena Oberdorf. «Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir
dann zusammen», schreibt DFB-Kapitänin Giulia Gwinn auf Instagram
unter ein Foto, welches das Duo vom FC Bayern eng umarmt zeigt.
Oberdorfs zweiter Kreuzbandriss innerhalb von 15 Monaten wirft wieder
einmal die Frage auf: Warum passiert diese Knieverletzung bei
Fußballerinnen öfter als bei ihren männlichen Kollegen? Und: Wird
genug dagegen getan?
Sie könne nur appellieren, «weiter dranzubleiben, zu forschen und
dann zu schauen, was man möglicherweise präventiv noch mehr dagegen
tun kann», sagte Nia Künzer am Rande einer DFB-Trainingseinheit in
Düsseldorf. Die Sportdirektorin des Deutschen Fußball-Bundes und
ehemalige Weltmeisterin hatte in ihrer Karriere selbst gleich viermal
einen Kreuzbandriss. Gwinn steht wie Oberdorf bei zwei.
Auch Nationalstürmerin Hoffmann betroffen
Zuletzt erwischte es auch die deutsche EM-Stürmerin Giovanna Hoffmann
bei RB Leipzig und die frühere DFB-Torhüterin Merle Frohms bei Real
Madrid. «Das macht gerade allen bisschen Angst, wenn man sein Handy
öffnet und irgendwie jeden Tag eine neue Verletzung auf seinem Handy
hat», sagte Oberdorfs Bayern- und DFB-Kollegin Alara Sehitler.
Bundestrainer Christian Wück, der wieder lange auf seine Münchner
Weltklassespielerin verzichten muss, schlägt jedenfalls Alarm. Der
52-Jährige sprach kürzlich mit seinem französischen Kollegen Laurent
Bonadei. Der habe alleine in den vergangenen drei Monaten drei
Kreuzbandrisse bei seinen Spielerinnen erlebt. «Das ist ein Thema,
worüber wir uns natürlich Gedanken machen müssen», sagte Wück vor
dem
Halbfinal-Hinspiel der deutschen Fußballerinnen gegen Frankreich am
Freitag (17.45 Uhr/ARD) in Düsseldorf - und schon vor der
folgenschweren Verletzung Oberdorfs.
«Woran das liegt? Ob es generell ein Frauenfußballproblem ist? Ob es
ein Überbelastungsproblem ist?» Diese Fragen stellt sich nicht nur
Wück. «Es trifft nicht nur uns, die anderen Nationen haben die
gleichen Probleme. Im Großen und Ganzen müssen wir uns da Gedanken
machen, wie wir das medizinisch besser in den Griff kriegen.»
Künzer verweist darauf, dass sich die Bedingungen seit ihrer aktiven
Zeit «enorm verbessert» hätten: «Wir haben im medizinischen, im
athletischen, im Physio-Bereich natürlich wahnsinnige Fortschritte
gemacht», sagte die 45-Jährige. «Trotzdem müssen wir feststellen,
dass es die Verletzung immer noch in einer bestimmten Häufigkeit
gibt.»
Mehr als ein Dutzend Fälle in der Bundesliga
Laut des Portals «Soccerdonna» fehlen derzeit bei den 14
Bundesliga-Teams insgesamt 16 Spielerinnen wegen eines «Ligamentum
cruciatum», so der lateinische Begriff. Prominenteste Ausfälle neben
Oberdorf und Hoffmann sind Bayern-Stammspielerin Sarah Zadrazil und
Frankfurts Torhüterin Sophia Winkler.
«Frauen haben aus verschiedenen Gründen ein deutlich erhöhtes Risiko,
im Sport und gerade im Fußball an Kreuzbandverletzungen zu leiden»,
sagte Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln der dpa. «Die
Wissenschaft geht mindestens von einem doppelt so hohen Risiko aus.
Einige Quellen sprechen sogar von einem fünf bis sechs Mal so hohen
Risiko.»
Viele Gründe für mehr Kreuzbandrisse bei Frauen
Die bisher erforschten Ursachen fasst Froböse so zusammen:
«Anatomische Gründe wie eine Neigung zu leichten x-Beinen bei Frauen,
eine engere knöcherne Führung des Kreuzbandes, weniger Muskelmasse,
schwächeres Bindegewebe.»
So sei das Kreuzband meist dünner bei Frauen, hormonelle Einflüsse
wie bei der Menstruation würden es zusätzlich schwächen. Oft gebe es
eine etwas andere Bewegung, Mechanik und Abläufe aufgrund der
gegebenen anatomischen und physiologischen Struktur als bei Männern -
«was auch erhöhte Belastung des Kreuzbandes bedingt».
Das alles hat sich natürlich bis zu den Verbänden herumgesprochen.
Der DFB registrierte in der Saison 2023/24 insgesamt 26
Kreuzbandrisse in der 1. und 2. Frauen-Bundesliga. Die Auswertung
erfolgt über ein zentrales Verletzungsregister, das unter der
wissenschaftlichen Leitung des Universitätsklinikums Regensburg
steht. Die Zahlen zur Spielzeit 2024/2025 stehen noch aus. Analysiert
würden unabhängig davon aber sämtliche Verletzungssituationen und
Muster, teilte der DFB mit.
Anfälliger in Karrierephasen mit viel Stress?
Leonard Achenbach - der Münchner Orthopäde und Unfallchirurg ist
Koordinator Fußballmedizin beim DFB und betreut die Frauen des FC
Bayern - spricht von einem Verdacht, dass es in «Karrierephasen mit
viel Stress» vermehrt zu Kreuzbandrissen komme. Das müsse aber
wissenschaftlich noch bewiesen werden: «Derzeit stützen sich diese
Annahmen ausschließlich auf Erfahrungswerte, eine fundierte
wissenschaftliche Analyse steht noch aus.»
Die UEFA hat die Forschung der Ursachen - geschlechterübergreifend -
zur obersten Priorität ihrer Abteilung Medizinisches und Antidoping
erklärt. Sie unterstützt das Projekt «Give the Voice Back» («Eine
Stimme geben»). Dabei können betroffene Spielerinnen und Spieler ihre
persönlichen Geschichten teilen. So könnten neue Erkenntnisse
gewonnen werden.
Zyklus orientiertes Training soll vorbeugen
Derweil finanziert der Weltverband FIFA an der englischen Universität
Kingston eine Studie zum Einfluss des Menstruationszyklus auf
Verletzungsrisiken im Spitzensport. Auch der DFB setzt sich für
Zyklus orientiertes Training ein, das in vielen Vereinen bereits
angewendet wird.
Doch die Fußballerinnen erleiden nicht nur häufiger einen
Kreuzbandriss, sondern brauchen auch länger als männliche Profis, bis
sie wieder spielfähig sind. So kehrte auch Oberdorf erst über ein
Jahr nach ihrer ersten schweren Knieverletzung zurück.
«Ich kenne Spielerinnen, die kaum etwas gemerkt haben, und
Spielerinnen, bei denen es sehr wehgetan hat», sagte
Nationalspielerin Bibiane Schulze Solano Monate nach ihrem
Kreuzbandriss der «Frankfurter Allgemeine Zeitung». «Solche Schmerzen
wie in diesem Moment habe ich noch nie erlebt.»
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