Augenprothesen für mehr Lebensqualität - Der Beruf des Ocularisten Von Carla Benkö, dpa
Ein Auge zu verlieren, ist ein harter Schicksalsschlag. Durch die
Herstellung von Augenprothesen kann ein kleiner Berufszweig zumindest
kosmetisch Abhilfe schaffen.
Berlin/Nürnberg (dpa) - Mit geübter Hand dreht Jan Liebermann ein
Glasröhrchen in der 700 bis 800 Grad heißen Flamme eines
Bunsenbrenners. Immer wieder bläst er hinein und bearbeitet das Glas,
bis sich eine gleichmäßige Kugel am Ende der dünnen Röhre bildet.
Hier wird gerade ein Glasauge hergestellt. Mit einem bunten Glasstift
malt der sogenannte Ocularist die Farbe der Iris auf. Diese hier wird
blau.
Ocularisten wie Liebermann stellen Augenprothesen für Menschen her,
die aus den verschiedensten Gründen ein Auge verloren haben. Das, was
der 41-Jährige hier gerade anfertigt, ist jedoch keine fertige
Augenprothese, sondern ein Rohling. Die endgültige Form passt
Liebermann im Termin mit den Patienten an.
Das kugelförmige Glasauge wird dann zu einer Schale geformt, die
perfekt in die Augenhöhle des jeweiligen Patienten passt. An seinem
Arbeitsplatz im Berliner Kunstaugeninstitut hat Liebermann Hunderte
dieser Rohlinge in jeder erdenklichen Irisfarbe. Von Hellblau bis zu
dunklem Braun: In seinem Fundus hat der 41-Jährige für jeden
Patienten die passende Augenfarbe.
Patienten haben häufig Schicksalsschläge erlebt
Ein funktionierendes Auge kann Liebermann natürlich nicht herstellen,
dafür aber eines, das von einem echten kaum zu unterscheiden ist.
«Als Laie sieht man den Unterschied im Idealfall nicht. Die Prothese
bewegt sich in alle Richtungen mit», sagt der 41-Jährige. Das gebe
den Menschen Lebensqualität und Sicherheit zurück.
Als Ocularist braucht man nicht nur im Umgang mit dem Glas
Fingerspitzengefühl. «Jeder bringt seine eigene Geschichte mit. Jeder
hat eine eigene Verlustursache, durch die er sein Auge verloren hat»,
sagt Liebermann, der in seinem Job häufig mit schweren
Schicksalsschlägen konfrontiert ist.
Es gebe keine Statistik, wie viele Menschen in Deutschland eine
Augenprothese tragen, sagt Uwe Rauch, Vorstandsmitglied bei der
Deutschen Ocularistischen Gesellschaft (DOG). Man gehe aber allgemein
von einer Zahl unter 40 000 aus. Früher gehörten noch viele
Kriegsversehrte und Unfallopfer zu den Patienten. Diese Zahlen seien
deutlich zurückgegangen.
Dafür hätten die krankheitsbedingten Augenverluste dramatisch
zugenommen, sagt Rauch. «Deutlich über die Hälfte der Neupatienten
kommen mit Tumorerkrankungen.» Regelmäßig herausnehmen muss man eine
Augenprothese nicht unbedingt. «So oft wie nötig und so selten wie
möglich - lautet die Devise, was die Pflege betrifft», erläutert
Rauch.
Die Ausbildung dauert sieben Jahre
Sieben Jahre dauert die Ausbildung zum Ocularisten nach DOG-Angaben.
«Man braucht diese Zeit, um das zu erlernen», sagt Rauch, der in
Nürnberg ein eigenes Institut namens Kunstaugen Rauch führt. Bei der
Herstellung eines Glasauges müsse man die Kombination aus Temperatur
und Timing permanent abschätzen, erklärt Liebermann. «Das macht es so
komplex.» Für die Herstellung der Glasprothesen nutzen Ocularisten
ein mit dem Mineral Kryolith versetztes Spezialglas.
Ocularisten sind allerdings nicht nur reine Techniker. «Wir haben
einen enormen psychologischen und sozialen Aspekt in unserem Beruf,
dem wir gerecht werden müssen», sagt Rauch. «Der kosmetische Aspekt
ist nur einer, für den wir sorgen müssen. Daneben sind der
Tragekomfort und ein guter Sitz sehr wichtig.» Wie realistisch eine
Augenprothese im Endeffekt aussieht, hänge dabei maßgeblich von der
Augenhöhle und den anatomischen Umständen ab. Also unter anderem
davon, wie der Patient sein Auge verloren hat und wie die Operation
verlief.
Altes Handwerk, neues Material
Bei der Herstellung von Augenprothesen aus Glas hat sich in den
vergangenen Jahrzehnten kaum etwas verändert. Allerdings hat sich
neben Glas der Kunststoff als Material etabliert. «Weltweit werden
mittlerweile mehr Kunstaugen aus Kunststoff hergestellt als aus
Glas», sagt Rauch. Auch in Deutschland würden zunehmend
Kunststoffaugen angeboten, in der Ausbildungsordnung der DOG kommt
die Anfertigung von Prothesen aus dem Material ebenfalls vor.
Die Augen aus Kunststoff sind um einiges teurer, aber auch länger
haltbar. Dennoch bleiben Augenprothesen aus Glas in Deutschland
aktuell weiter verbreitet. Eine solche Prothese wird hierzulande in
der Regel einmal im Jahr von der gesetzlichen Krankenkasse
übernommen. Dann sollte sie auch ausgetauscht werden, denn die
Tränenflüssigkeit greift mit der Zeit die Glasoberfläche an. Für ei
n
Kunststoffauge muss laut Rauch zuerst ein Kostenvoranschlag erstellt
werden.
Mittlerweile werde zudem daran gearbeitet, Augenprothesen in der
Zukunft aus dem 3D-Drucker zu erstellen. Auch damit setzt sich die
DOG in einer eigenen Abteilung auseinander. Doch bis das möglich ist,
sind Patienten weiterhin auf die filigrane Arbeit der etwa 50
Ocularisten angewiesen, die in Deutschland arbeiten. «Ich finde es
sehr schön, dass ich diesen Beruf erlernen durfte», sagt Liebermann.
«Wer weiß, ob es den Beruf in 50 Jahren durch irgendwelche
Technologien so noch gibt.»
Das Glasauge im Termin perfekt auf den Patienten anzupassen, dauert
ungefähr eine Stunde. «Jedes Auge ist ein Unikat», sagt Liebermann.
Um die Prothese noch realistischer aussehen zu lassen, malt er sogar
die feinen Äderchen im Auge nach oder passt das Augenweiß an das
intakte Auge des Patienten an.
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