«Man scrollt und scrollt» - Was macht exzessiver News-Konsum mit uns? Von Sophie Brössler, dpa

Für viele gehören Nachrichten zum Alltag. Manche Menschen leiden
jedoch unter ihrem News-Konsum. Hilft Betroffenen nur komplette
Abstinenz oder gibt es einen anderen Ausweg?

Lubbock (dpa) - Täglich prasseln Nachrichten über verschiedene Kan
äle
auf uns ein. Wir hören Schüsse in der Ukraine, sehen verheerende
Waldbrände, lesen von Corona-Toten oder hohen Energiepreisen. Ein
Klick führt zum China-Taiwan-Konflikt, der nächste zu einem schweren
Verkehrsunfall im eigenen Viertel, dazwischen ploppt eine Eil-Meldung
auf.

Einige Menschen scrollen von morgens bis abends immer wieder durch
die Nachrichten und kommen damit gut klar. Andere leiden unter ihrem
News-Konsum und merken, dass er ihnen nicht gut tut. Zwischen dem
zwanghaften Drang nach Nachrichten und Gesundheitsproblemen könnte es
einer Studie zufolge einen Zusammenhang geben. Bei Menschen mit als
problematisch eingestuftem Nachrichtenkonsum besteht demnach ein
höheres Risiko für körperliche und psychische Probleme, wie eine
Wissenschaftlerin und zwei Wissenschaftler im Fachmagazin «Health
Communication» berichten.

Die Forschenden beschreiben einen «problematischen Nachrichtenkonsum»
anhand diverser Kriterien: Betroffene überprüfen Nachrichten etwa
unkontrolliert, können sich schwerer von ihnen lösen oder denken auch
später noch viel über das Gelesene nach. Die Welt erscheine für sie
oft «wie ein dunkler und gefährlicher Ort», sagte Bryan McLaughlin
von der Texas Tech University, einer der Autoren. Corona-Pandemie,
Klimawandel, politische Konflikte: «Bei manchen Menschen können
solche Ereignisse in den Nachrichten einen ständigen Alarmzustand
auslösen.»

Um zu erforschen, ob es einen Zusammenhang zwischen problematischem
Nachrichtenkonsum und Gesundheit gibt, werteten die Forschenden Daten
einer Online-Umfrage unter 1100 Erwachsenen in den USA aus. Dabei
ging es um den Medienkonsum, aber auch körperliche Beschwerden und
psychische Probleme wie Stress und Ängste.

Die Ergebnisse zeigten, dass 16,5 Prozent der Befragten Anzeichen
eines «sehr problematischen Nachrichtenkonsums» aufwiesen. Sie hatten
der Analyse zufolge merklich häufiger psychische oder körperliche
Erkrankungen. Die Autoren geben dabei aber zu bedenken, dass aus den
Daten nicht ersichtlich sei, ob der Medienkonsum tatsächlich die
Ursache für die Probleme ist oder ob andere Faktoren dafür eine Rolle
spielen.

Zur Klärung brauche es anders aufgebaute Studien, sagte Leonard
Reinecke, Professor für Medienwirkung und Medienpsychologie an der
Universität Mainz, der nicht an der Studie beteiligt war. Klar sei,
dass schlechte Nachrichten kurzfristige Negativeffekte auf unsere
Stimmung hätten. «Wir nehmen das Weltgeschehen über Nachrichten auf
»,
so Reinecke. «Wenn ein Krieg in Europa herrscht, wenn Menschen
sterben, wenn wir von der Pandemie selbst betroffen sind, dann lässt
uns das natürlich nicht kalt.»

Dass Menschen eher auf schlechte Nachrichten klicken, ist laut Nora
Walter evolutionär bedingt. Die Professorin für
Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule für Ökonomie und
Management war ebenfalls nicht an der Studie beteiligt. «Wir klicken
Katastrophen-Schlagzeilen an, um nach Informationen zu suchen, die
uns vor einer möglichen Bedrohung schützen», so Walter. «Aber wenn

man sich ständig nur mit negativen Nachrichten umgibt, besteht die
Gefahr, dass man irgendwann keinen positiven Gedanken mehr fassen
kann.»

Durch das Internet seien Mediennutzer zu jeder Zeit mit einer
grenzenlosen Nachrichtenflut konfrontiert. «Auf Social Media kommt
immer wieder eine neue Info, ein neuer Post, ein neues Video. Man
scrollt und scrollt», so Walter. «Da ist es schwierig zu sagen: Jetzt

stoppe ich und mache etwas anderes.» Wenn man sich durch seinen
Nachrichtenkonsum beeinträchtigt fühle, könne man ihn aber wieder in

den Griff bekommen. Eine Strategie: Man beschränkt sich auf eine
gewisse Anzahl an Artikeln pro Tag, erklärt die Psychologin. «Oder
man begrenzt sich zeitlich und nimmt sich zum Beispiel eine halbe
Stunde zum Lesen. Sobald der Wecker klingelt, hört man auf.»

Auch die Autoren der Studie plädieren dafür, Nachrichten nicht ganz
abzuschalten - sondern einen gesunden Umgang mit ihnen zu finden. Die
Verantwortung hierfür sehen sie nicht nur bei den
Nachrichtenkonsumenten selbst, sondern auch der Medienbranche.
Journalisten sollten sich nicht nur auf aufmerksamkeitsgenerierende
Geschichten konzentrieren, so McLaughlin.