Absurde Jagd auf Affen wegen Affenpocken: neuer Name dringend gesucht Von Christiane Oelrich, dpa

Seit die einst obskuren Affenpocken sich in der Welt ausbreiten,
warnen Experten wegen des Namens. Krankheitsnamen sollen nichts und
niemanden stigmatisieren. Jetzt werden aber die ersten Affen Opfer.

Genf (dpa) - Virus aus Wuhan, Schweinegrippe, Affenpocken: was solche
Namen für Viren oder Krankheiten auslösen können, ist bekannt. Als
das neuartige Coronavirus von Wuhan in China aus Anfang 2020 in der
Welt ausbreitete, wurden vielerorts Menschen ausgegrenzt, die für
Chinesen gehalten wurden. Wegen der Schweinegrippe 2009 wurden in
vielen Ländern Millionen Schweine geschlachtet, und wegen der
Affenpocken sind jetzt in Brasilien die ersten Affen mit Steinen und
Gift attackiert worden - alles irrationale Reaktionen in der irrigen
Annahme, man könne sich dadurch vor einer neuen Gefahr schützen.

Die WHO macht seit Wochen Druck, dass der Name Affenpocken geändert
wird. Aber sind so einprägsame Bezeichnungen nicht besser als
Buchstaben- und Zahlenkombinationen wie H1N1 für Schweinegrippe oder
Sars-CoV-2 für das Coronavirus? «Was einfach ist, ist ja nicht
notwendigerweise geboten», sagt Richard Neher vom Biozentrum der
Universität Basel der Deutschen Presse-Agentur.

Er unterzeichnete im Juni einen Aufruf, neutrale Namen für
Affenpocken-Untergruppen zu finden und nicht von Westafrika- oder
Kongobecken-Gruppen zu reden. Damit werde der falsche Eindruck
erweckt, die jüngsten Ausbrüche überwiegend in Europa, den USA und

Brasilien hätten etwas mit Afrika zu tun, heißt es darin. Das sei
diskriminierend und stigmatisierend. Die mehr als zwei Dutzend
Virologinnen und Virologen kritisierten, dass dazu auch noch oft mit
Fotos afrikanischer Patienten gestellt werden würden. Am Freitag
fruchtete ihr Aufruf: Die Untergruppen werden nun mit römischen
Zahlen I und II benannt, wie die WHO am Abend berichtete.

«Das Problem mit den geografischen Bezeichnungen ist zum einen, dass
sie oft nicht stimmen, zum anderen, dass sie oft dazu führen, dass
die Orte, nach denen die Erreger benannt werden, Nachteile erfahren»,
sagt Neher. Zum Beispiel, dass Reisen in die Regionen vermieden
werden. Zudem würden Länder, die Krankheiten gut überwachen und etwa

neue Virenvarianten entdecken und beschreiben, bestraft, wenn die
neue Variante dann nach dem Land benannt werde. Die legendäre
Spanische Grippe 1918 etwa wurde zwar von Spanien als erstes
gemeldet, die ersten Fälle traten aber schon früher in den USA auf,
wie die US-Gesellschaft für Mikrobiologie (ASM) berichtet.

Dass sich Begriffe wie Schweinegrippe oder Wuhan-Virus schnell
durchsetzten, sei menschlich, schrieb Susan Hardy, Dozentin für
Sozialwissenschaften auf der Webseite der Universität von Sydney.
«Angst braucht einen Namen, und etwas zu benennen suggeriert, dass
etwas getan wird.» Es gehe auch um die Suche nach Sündenböcken.

Bei der neuen Influenza-Virusvariante 2009 waren es die Schweine,
obwohl das Virus auch Menschen infiziert und von Mensch zu Mensch
übertragen werden kann. Beim Coronavirus sprach nicht nur der
damalige US-Präsident Donald Trump vom «Wuhan-» oder «China Virus
»,
um Peking Schuld an der Ausbreitung zuzuschieben. Er verlangte
explizit, China müsse zur Rechenschaft gezogen werden.

Seit 2015 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Richtlinien, um
zu verhindern, dass Krankheitsnamen negative Folgen für Handel,
Reisen, Tourismus oder Tierwohl haben oder kulturelle, soziale,
regionale oder ethnische Gruppen womöglich an den Pranger stellen.

Das Affenpockenvirus heißt so, weil es in den 1950er Jahren in
Dänemark erstmals in Affen nachgewiesen wurde. Es hätte auch
dänisches Virus heißen können, wie das Marburg-Virus, das so heißt,

weil es in den 1960er Jahren der hessischen Stadt identifiziert
wurde. Bei den Affenpocken ist heute klar, dass sich zwar Affen - wie
Menschen - infizieren können. Natürliche Wirte sind aber Nagetiere.
Bei der jüngsten Ausbreitung wird das Virus durch engen Körperkontakt
zwischen Menschen übertragen und hat mit Affen nichts zu tun.

Für die Virus-Bezeichnung ist ein Gremium aus Hunderten Virologen
(ICTV) zuständig. Sie haben auch das Coronavirus Sars-CoV-2 benannt.
Krankheitsnamen beschließt die WHO. Sie nannte etwa die durch
Sars-CoV-2 ausgelöste Krankheit Covid-19.

Womöglich kann es den ein oder anderen Affen schützen, wenn der Name
geändert wird. Doch auch bei Gelbfieber-Ausbrüchen wurden in
Brasilien Affen angegriffen.

Die Stigmatisierung und Diskriminierung der von einer Krankheit
Betroffenen ist noch eine ganz andere Sache. Die in den 80er Jahren
zuerst bei schwulen Männern in den USA festgestellte Immunschwäche
wurde zunächst Grid genannt - für gay-related immune deficiency -
etwa: mit Schwulen in Verbindung stehende Immunschwäche. Obwohl seit
langem bekannt ist, dass sich die Krankheit keineswegs auf schwule
Männer beschränkt, hat die Änderung des Namens in Aids (acquired
immune deficiency syndrome - etwa: erworbenes Immunschwächesyndrom)
zunächst kaum etwas bewirkt. Noch über viele Jahre sind Menschen von
Schwulen aus Angst vor einer Ansteckung abgerückt.