Regierung will Krankenpflege entlasten - Kliniken drohen Strafen

Seit Wochen streiken Klinikbeschäftigte in Nordrhein-Westfalen für
bessere Bedingungen. Auch sonst ist die Krankenpflege oft am Limit.
Die Regierung kündigt eine Reform an - doch Zweifel bleiben.

Berlin (dpa) - Deutschlands Krankenhäuser sollen künftig so viele
Krankenpflegerinnen und -pfleger beschäftigen müssen, wie für eine
gute Pflege tatsächlich gebraucht werden. Dazu will die
Bundesregierung in drei Stufen ein Instrument zur Personalbemessung
einführen, wie am Donnerstag aus Regierungskreisen verlautete.
Kliniken, die die geplanten neuen Vorgaben nicht erfüllen, sollen
demnach spätestens ab 2025 mit Sanktionen bestraft werden, wie es
hieß. Erste Reaktionen auf den Vorstoß fielen gemischt aus.

Wie groß die Lücken und der Frust in der Krankenpflege sind, zeigt
sich derzeit etwa in Nordrhein-Westfalen. Seit zehn Wochen kämpfen
Beschäftigte dort an sechs Universitätskliniken mit Ausständen für

bessere Arbeitsbedingungen. Der Ärztliche Direktor der
Universitätsklinik Essen, Professor Jochen A. Werner, sagte der
Deutschen Presse-Agentur, die Versorgung sei «massiv» beeinträchtigt.

Der Personalmangel werde durch die Streikmaßnahmen und durch
coronabedingte Ausfälle verschärft. Es komme bereits mitunter zu
«akut bedrohlichen Situationen».

Um die Lage längerfristig generell zu verbessern, sollen Patientinnen
und Patienten künftig täglich in acht sogenannte Leistungsstufen
eingeteilt werden. So heißt es in einer Erläuterung der Deutschen
Krankenhausgesellschaft zu dem geplanten neuen Instrument, auf die in
der Regierung verwiesen wurde. Vorgesehen sind demnach vier Stufen in
der Grundpflege und vier Stufen in der Spezialpflege. Für jede Stufe
soll in Minuten festgelegt werden, wie lange für die Pflege gebraucht
wird.

In der Summe soll sich so ein Zeitwert pro Patient ergeben, wobei
weitere Berechnungsgrößen («Grund- und Fallwerte») dazukommen solle
n.
Unterm Strich soll so der Bedarf an Pflegepersonal abgebildet werden,
so die Krankenhausgesellschaft. Der offiziell festgelegte Bedarf an
Pflegezeit pro Patientin oder Patient wird durch das neue Instrument
demnach im Schnitt voraussichtlich um 8,1 Prozent steigen.

Mit Eckpunkten, die nun von der Regierung an die Bundestagsfraktionen
der Ampelkoalition geschickt wurden, soll die Gesetzgebung für die
Reform vorbereitet werden. Eine Erprobungsphase ist ab 1. Januar 2023
geplant, wie es in den Regierungskreisen weiter hieß. Beteiligt
werden soll dabei vorerst eine «repräsentative Auswahl» an
Krankenhäusern.

Ab 1. Januar 2024 soll das Personalbemessungsinstrument verpflichtend
in allen Kliniken eingesetzt werden. Wenn für eine Klinik allerdings
tarifvertragliche oder anders vertraglich getroffene Vereinbarungen
zur Entlastung des Pflegepersonals vorliegen, dann sollen die
Kliniken das neue Instrument nicht anwenden müssen. Dann sollen auch
keine Sanktionen drohen. Wie es in den Regierungskreisen weiter hieß,
wäre ein Entlastungstarifvertrag, wie ihn die Uniklinik-Beschäftigten
in NRW derzeit zu erkämpfen versuchen, eine solche mögliche
Alternative zum geplanten Personalbemessungsinstrument.

Die Gewerkschaft Verdi begrüßte die Ankündigungen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mache damit klar, «dass er
die strukturelle Personalnot in den Kliniken ernsthaft angehen will»,
sagte Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Die gesetzlichen
Krankenkassen sehen in dem Vorstoß zwar ein «hoffnungsvolles Signal».

Allerdings «wäre der Aufbruch in eine moderne Pflegepersonalbemessung
der richtige Schritt», sagte Verbandssprecher Florian Lanz der
Deutschen Presse-Agentur. Besser als das vorgesehene Vorgehen wäre
es, den Pflegebedarf anhand digital erfasster Diagnosen und
Pflegemaßnahmen automatisch zu ermitteln. Lauterbach dürfe
entsprechende bestehende Ansätze nicht ignorieren, so Lanz.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch,
sagte, qualifiziertes Personal sei Voraussetzung für eine Würde
wahrende Krankenhauspflege. «Aber schon jetzt ist klar, dass
Personalbemessung keine neuen Arbeitsplätze schafft.» Darüber hinaus

fehle ein Personalbemessungsinstrument in der Altenpflege. Die Grünen
im Bundestag hingegen meinen, die Regierungspläne schafften «konkrete
Perspektiven für einen Zuwachs an Kolleginnen und Kollegen», wie zwei
ihrer Abgeordneten in einer Stellungnahme mitteilten.