Grüne und schwarze Parteibasis sagt Ja zu Koalition in NRW Von Bettina Grönewald und Carsten Linnhoff, dpa

CDU und Grünen haben die letzte große Hürde auf dem Weg zu einer
gemeinsamen Regierung in NRW genommen. Nach dem Ja der Basis zum
ausgehandelten Koalitionsvertrag, gilt die Wiederwahl von
Ministerpräsident Wüst nächste Woche als reine Formsache.

Bonn/Bielefeld (dpa) - Sechs Wochen nach der Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen haben CDU und Grüne mit einem starken Basisvotum
den Weg frei gemacht für die erste schwarz-grüne Regierung des
Landes. Nachdem Landesparteitage am Samstag in Bonn und Bielefeld
klar Ja zum schwarz-grünen Koalitionsvertrag gesagt haben, steht der
Wiederwahl von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Dienstag im
Düsseldorfer Landtag praktisch nichts mehr im Weg. Da CDU und Grüne
über eine komfortable Mehrheit von 115 der 195 Mandate verfügen, sind
bei der geheimen Abstimmung keine Überraschungen im
Fünf-Parteien-Parlament des bevölkerungsreichsten Bundesland zu
erwarten.

Damit wird sich die Zahl der schwarz-grünen Zweier-Bündnisse in
Deutschland absehbar erweitern: Auch in Schleswig-Holstein sollen an
diesem Montag Parteitage über den fertig ausgehandelten
Koalitionsvertrag beschließen. In Hessen und Baden-Württemberg
funktionieren Koalitionen zwischen CDU und Grünen schon seit Jahren.

Sowohl Wüst und die Landesparteichefin der Grünen, Mona Neubaur, als
auch CDU-Bundesparteichef Friedrich Merz hatten vor den Abstimmungen
eindringlich an ihrer Basis dafür geworben, den 146 Seiten starken
«Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen» anzunehmen. «Das Fundamen
t
für eine erfolgreiche Arbeit für Nordrhein-Westfalen in den nächsten

fünf Jahren ist gelegt», sagte Wüst. Der 46-Jährige sprach von eine
m
«guten Vertrag für das Land, für die Menschen und die Zukunft unserer

Kinder». Der Westfale Merz nannte ihn in einem Video-Grußwort «eine
gute Basis für eine gute Zusammenarbeit und für eine gute
Landesregierung in Düsseldorf».

Für die Christdemokraten war die Sache nach nur einer knappen Stunde
und einer einzigen Wortmeldung geritzt: Nach der in Rekordzeit
absolvierten offenen Abstimmung per Handzeichen sprach das
Parteitagspräsidium von einer «überwältigenden Mehrheit» bei nur
4
Gegenstimmen in den Reihen der rund 580 anwesenden Delegierten.

Als die diskussionslose Eil-Abstimmung der Christdemokraten Minuten
später beim Parteitag der Grünen in Bielefeld durchsickerte, wurde
das in der Halle mit großem Gelächter quittiert. Hier gab es
mehrstündigen Diskussionsbedarf.

Kritische Stimmen wurden etwa zur ungeklärten Zukunft des vom
Abbaggern bedrohten Dorfes Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier
laut sowie zum fehlenden Bekenntnis zu einem «Tarifvertrag
Entlastung» für Pflegekräfte an Universitätskliniken. Die Kritiker

kündigten an, den Koalitionsvertrag abzulehnen. Dazu hatte die Grüne
Jugend zuvor aufgerufen. Nach fast sechsstündiger Debatte stimmten
216 Delegierte mit Ja, 30 mit Nein, und 8 enthielten sich.

Neubaur, die - ebenso wie Wüst in Bonn - zum Auftakt des Parteitags
mit langem Applaus begrüßt worden war, erinnerte ihre Partei daran,
dass die Bürger nach der Landtagswahl am 15. Mai erwarteten, dass die
Grünen Regierungsverantwortung übernähmen. In den nächsten fünf
Jahren solle NRW sozial gerechter, ökologischer, digitaler,
wirtschaftlich stärker werden, sagte sie. Mit 18,2 Prozent hatte sie
ihre Partei zu einer Verdreifachung ihres Ergebnisses geführt im
Vergleich zu 2017. Die 44-jährige Diplompädagogin soll in einem
schwarz-grünen Kabinett Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klima
und Energie sowie stellvertretende Regierungschefin werden.

Wüst sagte in Bonn: «Wir wollen Nordrhein-Westfalen zur ersten
klimaneutralen Industrieregion Europas machen.» In den gemeinsamen
Gesprächen nach der Landtagswahl sei das nötige Vertrauen aufgebaut
worden, um gemeinsam neue Wege zu gehen - auch, wenn es immer noch
viele unterschiedliche Positionen in beiden Parteien gebe.

Als Beispiel nannte er den Ausbau der erneuerbaren Energien. Ziel sei
es nun, mehr Flächen für die Errichtung von Windanlagen auszuweisen.
«Lieber 50 Anlagen konzentriert an drei Stellen als drei Anlagen auf
50 Stellen.» Künftig könnten Windräder auch dort stehen, wo Natur-

und Artenschutz das bislang verhindert hätten. Der heftig umstrittene
Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Windanlagen und Wohnhäusern
soll schrittweise abgeschafft werden.

Kindern, Eltern und Lehrern versprach Wüst «Schulfrieden» und
Verlässlichkeit nach der coronabedingten Unsicherheit. «Es wird keine
System-Debatte geben. Die Förderschulen bleiben erhalten.» Die neue
Landesregierung werde 10 000 neue Lehrkräfte einstellen und die
Qualität der Ganztagsangebote stärken.

Für Montag ist die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags geplant.
Mittwoch soll das komplette neue Landeskabinett öffentlich
vorgestellt und im Landtag vereidigt werden. Der Koalitionsvertrag
sieht acht Ministerien für die CDU vor, vier für die Grünen. Die
Öko-Partei hat bereits bekannt gegeben, wen sie ins Kabinett
entsenden möchte - die CDU hütet ihre Personalgeheimnisse noch.

Die CDU war am 15. Mai mit 35,7 Prozent als klare Wahlsiegerin aus
der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland hervorgegangen.
Die Grünen konnten ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2017 auf 18,2
Prozent fast verdreifachen und landeten hinter der abgestürzten SPD
(26,7) auf dem dritten Platz. Die Freidemokraten hatten ihr
Wahlergebnis auf 5,9 Prozent halbiert. Schwarz-Gelb konnte daher
nicht weiter regieren.