EU-Experten schlagen Alarm: Mehr Drogen, mehr Gewalt, mehr Korruption

Lissabon (dpa) - Zahlreiche Drogen sind in Europa mehr denn je im
Umlauf. «Besonders besorgniserregend ist, dass die Partnerschaften
zwischen europäischen und internationalen kriminellen Netzwerken zu
einer Rekordverfügbarkeit von Kokain und zur Herstellung von
Methamphetamin im industriellen Maßstab in Europa geführt haben»,
sagte die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, am Dienstag bei
der Präsentation des Jahresberichts der Drogenbeobachtungsstelle der
Europäischen Union (EMCDDA) mit Sitz in Lissabon. Diese Entwicklung
berge die Gefahr eines erhöhten Konsums und größerer Schäden.

«Etablierte Drogen waren noch nie so leicht zugänglich wie jetzt und
es tauchen weiterhin potente neue Substanzen auf», betonte auch
EMCDDA-Direktor Alexis Goosdeel. Hinzu komme, dass heutzutage jeder -
direkt oder indirekt und in irgendeiner Form - von den Folgen der
«komplexeren Lage» betroffen sei. «Dazu gehören schutzbedürftige

junge Menschen, die für Straftaten rekrutiert werden, eine erhöhte
Belastung der Gesundheitshaushalte und die Kosten für die
Gemeinschaften, die sich unsicher fühlen oder in denen die
Institutionen durch Korruption und Kriminalität untergraben werden.»

Wichtige Probleme wie Obdachlosigkeit, die Behandlung psychiatrischer
Erkrankungen und die Jugendkriminalität würden verschärft. In einigen

Ländern werde eine Zunahme von Gewalt und Korruption verzeichnet,
betonte er. Dazu: 2020 wurden in der EU laut EMCDDA schätzungsweise
1,5 Millionen Drogendelikte gemeldet - 15 Prozent mehr als 2010.

Die tragischste Folge bleiben die Todesopfer: Die Zahl der Menschen,
die EU-weit durch eine Überdosis oder an den Folgen ihres
Drogenkonsums starben, kletterte 2020 auf 5796. Das sind ca. 13
Prozent mehr als 2019 (5141). Mit 1581 erfassten Todesopfern ist
Deutschland nach absoluten Zahlen an der Spitze. EU-weit war fast
jedes zehnte Todesopfer (neun Prozent) jünger als 25.

Im Bericht taucht das Wort «Rekord» mehrfach auf: In der EU sei 2020
trotz pandemiebedingter Einschränkungen eine Rekordmenge von 213
Tonnen Kokain sichergestellt worden, heißt es. Im selben Jahr sei in
den EU-Ländern auch bei Amphetamin bei insgesamt 25 000
Sicherstellungen eine Rekordmenge von 21,2 Tonnen zusammengekommen.
Das ist ein Anstieg von immerhin rund 40 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr (2019: 15,4 Tonnen). Zudem seien in den letzten Jahren
entlang der wichtigsten Heroinschmuggel-Routen nach Europa
Rekordmengen an Methamphetamin beschlagnahmt worden.

Sorgen bereiten auch die neuen psychoaktiven Substanzen, die nicht
den internationalen Drogenkonventionen unterliegen. China und Indien
seien inzwischen wichtige Herkunftsländer. Diese sogenannten «Legal
Highs» werden auch als Badesalze, Kräutermischungen oder Reiniger
verkauft und sind so lange legal, bis sie als gesundheitsgefährdend
eingestuft und verboten werden. Das kann unter Umständen sehr lange
dauern. Zuletzt überwachte die EMCDDA etwa 880 Substanzen, von denen
52 allein im Jahr 2021 zum ersten Mal in Europa gemeldet wurden.

Die EMCDDA warnt: «Die Globalisierung treibt Innovation im Bereich
Drogenhandel und -produktion weiter voran.» Es gebe neue
Schmuggelrouten, Versteckmethoden und neue Herstellungsverfahren. Die
EU habe sich zudem «zu einer bedeutenden Herstellerin einiger Drogen
entwickelt, und zwar sowohl für den inländischen Konsum als auch
für den Weltmarkt». Dies lasse sich unter anderem an der
Zerschlagung von mehr als 350 Produktionseinrichtungen im Jahr 2020
ablesen.